KRITIK: The War On Drugs – I Don’t Live Here Anymore

KRITIK: The War On Drugs – I Don’t Live Here Anymore

Adam Granduciel ist unbestritten ein Perfektionist im Hinblick auf Songwriting und Produktion. Das haben die ersten vier Alben von The War On Drugs aufs deutlichste gezeigt. Als Lohn gab es für A Deeper Understanding (2017) den Grammy für das beste Rock-Album des Jahres.

Bei dem neuen Album I Don’t Live Here Anymore haben Bandleader Adam Granduciel und Co-Produzent Shawn Everett versucht nochmal eine Schippe draufzulegen. Die Aufnahmen und das Abmischen haben sich über drei Jahre und zwölf Sessions in sieben Studios von New York bis Los Angeles hingezogen. Den Ursprung des Albums bilden mehrere Jamsessions des Kerns der Band, bestehend aus Granduciel, Bassist Dave Hartley und Multi-Instrumentalist Anthony LaMarca, die auf das Jahr 2018 zurückgehen.

Nach den vorab veröffentlichten Singles Living Proof (19.07.2021) und Change (27.10.2021) waren die Erwartungen von Fans und Kritiker:innen an I Don’t Live Here Anymore verständlicherweise hoch. Das Warten hat sich aber gelohnt, auch wenn Granduciel sich bewusst sein muss, dass jedes neue Album immer an dem grandiosen A Deeper Understanding gemessen werden wird.

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Wer der tieftraurigen und fast hoffnungslosen Lyrik von Granduciel nicht erliegt, der wird wahre tiefe Emotionen, die über Musik und Text transportiert werden, wohl nie fühlen können. Das neue Album ist stellenweise Weltschmerz à la The War On Drugs pur. Bloß keine großen Experimente sondern nur ein tieftrauriger Bob Dylan der mit Tom Petty an der nölenden Gitarre ein Bruce Springsteen-Cover singt und einige Mark Knopfler-Gitarren-Schnörkel in den Song mischt. Das klingt unbeschwert und verspielt, doch man kann nur erahnen, welche Arbeit und wieviel Schweiß dahinter stecken muss, damit es leicht und locker klingt.

Das leider nur zehn Tracks umfassende Album, dessen Dramaturgie und Spannungskurve die Hörer:innen packt, gönnt sich mal wieder keine echten Ausfälle. Granduciel schafft es immer wieder sich auch innerhalb des Albums neu zu erfinden und klingt mal wie ein Wanderprediger und mal wie ein Marktschreier.

Den Anfang macht der hymnische vorab veröffentlichte Track Living Proof, der thematisch und musikalisch im besten Sinne an Strangest Thing und Thinking of a Place aus dem Album A Deeper Understanding erinnert. Eine schöne traurige Ballade, die mit Klavierunterstützung dahinschwebt. Wenn man jemandem The War On Drugs erstmals vorstellen möchte, eignet sich dieser ruhige Song hervorragend.

Bei Harmonia’s Dream nimmt das Album dann richtig Schwung auf und der musikalisch stark an Bruce Springsteen und Don Henley erinnernde Song ist eine überzeugende Fingerübung in Sachen Americana trifft Folk-Rock. Solche Songs gehören in ein großes Stadion mit Massen an Fans, die entfesselt Tanzen und Mitgrölen können.

Die zweite Single-Auskopplung Change folgt mit einem etwas verschlepptem Tempo und ist ein nachdenklicher Road-Song, der pures Songwriting-Handwerk repräsentiert. Man fühlt regelrecht den warmen Wind auf der Haut, während das Cabrio durch die Nacht cruist. Und im Hintergrund klimpert Mark Cohn während er von seinem Silver Thunderbird träumt.

Der Song I Don’t Wanna Wait beginnt wie der Klassiker In The Air Tonight und man erahnt Phil Collins hinter der Bühne. So viel an Abkupfern hätte man Adam Granduciel nicht zugetraut aber der Track funktioniert und entwickelt sich mit viel Gitarren gekonnt weg vom glatten Genesis-Anfang zu einer eigenständigen rauen Songstruktur.

Direkt anschließend folgt mit Victim die nächste musikalische Überraschung, den so viele elektrische Loops und Schnörkel sucht man ansonsten in einen The War On Drugs-Song vergeblich. Der Song selbst ist sicherlich keiner der Höhepunkte des Albums aber solide Rock ’n‘ Roller-Handarbeit mit einem Ausflug experimentelle Klangwelten.

Mit dem Titeltrack I Don’t Live Here Anymore kehrt dann wieder musikalische und lyrische Beständigkeit ein. Gerne denkt man an Pain oder Nothing To Find aus dem Vorgänger-Album, dann weiß man sich in guter Gesellschaft. Auch wieder so ein Song, der nach Stadionrock klingt und sicher gerne auch in solcher Umgebung gespielt werden will.

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Mit schön dezentem Klavierspiel beginnt der Track Old Skin und ist sogleich ein schöner Kontrast zu dem Stadionrock der vorherigen Songs. Granduciel schafft es leicht, die Hörer:innen mit seinem Songwriting einzufangen und sobald die Gitarren und das Schlagzeug einsetzen, weiß man, das ist vertrautes Terrain und es kann nichts mehr passieren. Die Songstruktur erinnert erneut vertraut an Bruce Springsteen. Selbst die Mundharmonika kennt man schon.

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Der Track Wasted ist wieder ein flotter Tanztrack, der ein klasse Bühnen-Song ist. Locker und mitreißend, genau das was man braucht, um ein Publikum beim Liveauftritt mitzunehmen. Irgendwo wippt da Dire Straits-Mastermind Mark Knopfler mit dem Fuß und man fühlt sich an Twisting By The Pool erinnert.

Nach langem Warten ist Zeit für die nach Living Proof zweite traurige Ballade. Rings Around My Father’s Eyes ist eine intime Abrechnung mit Dingen, die weh getan haben und immer noch weh tun. Man kauft Adam Granduciel jedes Wort ab und spürt den Schmerz, den er spürt. Ein wunderbarer melancholischer Song, von denen es gerne mehr hätten auf das Album schaffen können.

Zum Finale des Albums gibt es den Track Occasional Rain, der am Ende nochmal The War On Drugs pur ist. Schöne Lyrics eingebettet in eine musikalische Wolke aus Gitarren, Bass, Schlagzeug und Synthesizern, welche die Worte umschwebt und einhüllt. Ein schöner, unspektakulärer aber grundsolider Song, der zu den Guten auf dem neuen Album gehört.

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Überraschenderweise ist das Album an der Stelle aber auch zu Ende und man fragt sich – wieder einmal bei The War On Drugs – wo die Zeit geblieben ist. Diesmal umso mehr, denn das Album ist mit 52:19 Minuten tatsächlich ganze 14 Minuten kürzer als A Deeper Understanding (66:17 Minuten).

Nachdem sich Timothy Schowalters Strand Of Oaks mit ihrem Album In Heaven (Kritik) bereits den ersten musikalischen Höhepunkt für 2021 in der Abteilung Indie-Rock/Americana gesichert haben, ziehen Adam Granduciel und seine Band The War On Drugs mit I Don’t Live Here Anymore nach. Wer aber final die Spitzenposition besetzen wird, dass müssen letztendlich die Hörer:innen entscheiden.

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Von Veröffentlicht am: 01.11.2021Zuletzt bearbeitet: 01.11.20211030 WörterLesedauer 5,2 MinAnsichten: 1881Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: The War On Drugs – I Don’t Live Here Anymore
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Über den Autor: Richard Kilian

"Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik" Wer mit Stephen King, Charles Bukowski, Andrew Vachss und Elmore Leonard sowie Marillion, Cigarettes after Sex, Motorpsycho, The Jayhawks, Sufjan Stevens, Rush und God is an Astronaut etwas anzufangen weiß, der ist bei mir richtig.

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