KRITIK: Francis of Delirium – Lighthouse

KRITIK: Francis of Delirium – Lighthouse

Die Produzentin, Mixerin und Ton-Ingenieurin Catherine Marks bekam erst kürzlich ihre erste britische Nr. 1 als Co-Produzentin für das Debütalbum The Record der Indie-Supergroup boygenius, bestehend aus Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus.

Wenn man es objektiv betrachtet, ist sie aber gerade auf dem Weg eine weitere Nr. 1 zu schaffen angesichts ihres Mitwirkens an der Produktion des Debütalbums Lighthouse des in Luxemburg beheimateten Indie-Rock-Duos Francis of Delirium, das aus der 22-jährigen Songwriterin, Gitarristin und Sängerin Jana Bahrich und dem 30 Jahre älteren Schlagzeugers Chris Hewett besteht.

Beide haben gemeinsame Wurzeln in Kanada, Bahrich ist in Vancouver geboren und Hewitt stammte aus Seattle. Kennengelernt habe sie sich in Luxemburg, wo er als Vater eines Schulfreundes von Bahrich in einer Schülerband mitspielte. Schon bald merkten beide, dass sie eine gemeinsame Vision von Rock-Musik haben. Beide sind übersprudelnd kreativ und von der Grunge-Bewegung mit Nirvana und Pearl Jam an der Spitze beeinflusst. Zudem ist Bahrich eine gnadenlos uneitle und wunderbar pointierende Texterin, die keine Angst vor Offenheit und Verletzlichkeit hat.   

Zeitgleich mit dem Beginn der Corona-Pandemie in Europa veröffentlichten sie 2020 unter dem Projektnamen Francis of Delirium ihre ersten beiden EPs All Change und Wading, die ihrer beider Vorlieben für kraftvolle Rhythmen, donnernde Riffs und intensive Texte über Selbstzweifel, Probleme und Ängste zeigen. Das mediale Echo war überwältigend, obwohl sie noch nicht wirklich viele Gelegenheiten hatten, die Songs live zu performen. 

Sobald die Beschränkungen aufgehoben waren, hieß es rauf auf die Bühnen. Gigs in Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien, eine Tour durch die USA als Support für The Districts, Soccer Mommy, Briston Maroney, Horsegirl und Auftritte bei Festivals wie dem Treefort Fest, Shaky Knees, Eurosonic und Iceland Airwaves sowie als Support für The 1975 und Wolf Alice folgten. Kann man als Newcomerband aus Luxemburg mehr verlangen?

Francis of Delirium hat das Potenzial, die wichtigste Band für die luxemburgische Szene zu werden. Jana Bahrich ist die wohl lauteste Stimme eines ansonsten eher ruhigen Landes und hat nebenbei mit dem Song Quit Fucking Around eine Indie-Hymne geschaffen. Mit ihrem unverwechselbaren Sound hat sie die Chance weit zu kommen. 

Die dritte EP Funhouse (2022) und das gerade via Dalliance Recordings erschienene Debüt-Album Lighthouse (22.03.2024) sind ein Beleg dafür. Lighthouse ist tatsächlich eine Erleuchtung. Die beiden haben nochmals eine Schippe draufgelegt und jeder einzelne Song bleibt im Ohr und im Herzen. 

Der Albumtitel steht metaphorisch für ihre Musik, die sich schon immer an der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit bewegt hat, sowohl musikalisch als auch textlich. Durch die Einbindung von Piano-Elementen und Akustikgitarren erweitert sich die Instrumentierung der Sängerin, und lässt die Songs des Albums intim und entwaffnend wirken. 

Schon die vorab veröffentlichten Single Real Love, First Touch und Blue Tuesday haben die Erwartungen in die Höhe geschraubt. Das Album kann diese problemlos erfüllen und sogar übertreffen. Beim Hören kommen einem Vergleich in den Kopf die von Alanis Morissette bis Melissa Etheridge reichen. Aber da ist auch immer dieser Garagensound, den man aus Seattle kennt.

Gleich im Opener Ballet Dancers never love again lässt es Jana Bahrich so richtig krachen. Das klingt nach Billy Corgan und seinen Smashing Pumpkins zu Zeiten von Siamese Dream und Mellon Collie and the Infinite Sadness. Da hämmert das Schlagzeug gnadenlos, jaulen die Gitarren und Jana Bahrich kämpft tapfer gegen die Lautstärke an. Bis sie im Finale wieder ruhig und bei sanfter Akustikgitarre unterwegs ist. 

Die folgenden Tracks Real Love und First Touch sind zu Recht die ersten zwei Singles und haben auch beim zwanzigsten Hören ihren Charme nicht verloren. Absolute Weltklasse, diese beiden Songs gehören unbedingt auf die Playlisten des Jahres 2024.   

Wer dachte, damit sei die Geschichte des Albums erzählt, der hat weit gefehlt, denn schon der nächste Track Want you öffnet eine ganz neue Seite und lässt die Hörer:Innen mit offenem Mund zurück. Es entfaltet sich ein wunderbarer Liebessong mit Herzschmerz-Attitude und zauberhaftem Gesang. 

Doch dann wird das Tempo wieder kräftig angezogen und mit Blue Tuesday ist die dritte Single-Auskoppelung vertreten. Ein schneller und fiebriger Song mit stampfendem Schlagzeug und aufheulenden Gitarren. Nach dem Zwischensprint kommt mit Cliffs wieder ein langsamerer Song, der aber dennoch seine Grunge-Elemente präsentiert. 

Nach dem Motto Sad Girls sings Sad Songs könnte man den nächsten Track Starts to End abtun, aber Nein, da steckt eine ganze Menge an Lana del Rey-Touch drin, der diesen Song verzaubert. Die Streicher und akustischen Gitarren tun ihr Bestes und schaffen es dem Song die Ernsthaftigkeit zu geben, den er verdient hat.   

Bei Alone Tonight geht es dann wieder etwas flotter zu, ohne die Grunge-Töne einige Songs vorher zu erreichen. Der Song ist eine leichte und problemlose Fingerübung und fühlt sich auch so an. Was folgt ist der sicher eindringlichste und komplizierteste Song des Albums. Mit Something´s Changed geht Jana Bahrich bewusst volles Risiko und kann komplett überzeugen. Die Mischung aus Liebeslied und treibendem Rock-Song ist ein Genuss. 

Mit dem Track Who you are öffnet sich Jana wieder und zeigt ihre verletzliche weibliche Seite. Eine kraftvolle und wunderschöne Ballade mit langen Chorpassagen. Einfach traumhaft schön und wie schwebend dargeboten, umgesetzt und produziert. 

Der finale Track Give it back to me soll die nächste Single-Auskopplung werden und das hat er auch verdient. Nach einem sich langsam steigernden Einstieg spulen ab der Mitte des Tracks die Gitarren und das Schlagzeug ihr gewohntes Programm ab und lassen den Song zum Ende hin in einer Welle aus Grunge und Indie ausklingen. 

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Ohne zu übertreiben ist dieses Album ein echtes Highlight zum Jahresanfang. Es ist dem Projekt Francis of Delirium um die gnadenlos begabte Jana Bahrich zu wünschen, dass schnell ein Major-Label ein Auge auf sie wirft, damit das Können und die Kreativität nicht im kleinen Luxemburg begraben wird.  

Im Zuge ihres Albumreleases kommt die junge Künstlerin mit Begleitung im April dieses Jahres für vier Konzerte nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz. Wer gute moderne Rock-Musik hören möchte, sollte die Gelegenheit nicht verpassen. 

  • 19.04.2024 – Bern, Gaskessel 
  • 21.04.2024 – Wien, Flucc
  • 23.04.2024 – Berlin, Kantine am Berghain
  • 24.04.2024 – Hamburg, HÄKKEN

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Von Veröffentlicht am: 22.03.2024Zuletzt bearbeitet: 22.03.20241075 WörterLesedauer 5,4 MinAnsichten: 456Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: Francis of Delirium – Lighthouse
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Über den Autor: Richard Kilian

"Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik" Wer mit Stephen King, Charles Bukowski, Andrew Vachss und Elmore Leonard sowie Marillion, Cigarettes after Sex, Motorpsycho, The Jayhawks, Sufjan Stevens, Rush und God is an Astronaut etwas anzufangen weiß, der ist bei mir richtig.

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