We Deserve This – Nulllinie

We Deserve This – Nulllinie

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier ein sehr schönes Postrockalbum mit einer wirklich professionellen Produktion vorliegt.

Eine Schublade ist bekanntlich a) ein oben offenes Behältnis, das horizontal aus einem weiteren Behältnis gezogen werden kann und meist auf seitlich angebrachten Schienenführungen bewegt wird und b) eine Musikrichtungskategorisierungshilfe, die dem mittelmäßig fundierten Rezensenten aus der Patsche helfen kann. Die Inanspruchname einer ebensolchen bestätigt die Mittelmäßigkeit, ist aber trotzdem manchmal unumgänglich.

„We Deserve This“ aus Velbert in Deutschland spielen einfach durch und durch Postrock. Besser gesagt: „We Deserve This“ spielt Postrock. Denn einer der faszinierendsten Aspekte an diesem Werk: Alle Instrumente wurden von einem Mann eingespielt und auch das Songwriting ist hier ohne eine etwaige Demokratie zu umgehen Chefsache: Jan-Dirk Platek hat alles selbst in der Hand und macht dabei Vieles richtig.

Der Titeltrack und somit gleichzeitig das Album „Nulllinie“ beginnen mit spacigen Gitarren, die einen durch schönes Delay verfeinert, innerhalb eines Augenblicks in die Welt des Kopfkinos befördern. Es folgen Riffwalzen und nach nur einem Track ist klar, dass auch der Sound des Albums für eine Homeproduction höchst professionell ausfällt. Wabberne Gitarren schmiegen sich an glasklares Schlagzeug und unter allem legt ein wunderbar bauchiger Bass das Fundament. Wer schon immer mal wissen wollte, wie sich andere Leute den Soundtrack zu einem Ritt auf Träumen vorstellen, kann sich in „Traumreiter“ Jan-Dirk Plateks Umsetzung davon anhören. Sigmund Freud hätte mit der Interpretation der Nummer und des zugrunde liegenden Traumes wohl so seine Schwierigkeiten, da sie wie der Rest des Albums ganz ohne Gesang und folglich ohne Text auskommt, aber zu einer abendlichen Zigarre hätte er diese schönen Melodien sicher nicht verschmäht. Mit „When Every Change Is Back“ folgt ein für Postrockbands eher unübliches Unterfangen, nämlich das Kokettieren mit fröhlichen Melodien. Das allerdings auch dies immer mehr in Mode kommt bewiesen Mogwai bereits anno 2008 mit „The Sun Smells Too Loud“. Und Mogwai-Referenzen sind bekanntlich in diesem Genre immer eine gute Sache. Der Song „G66“ entpuppt sich als eine sphärische (ein Muss-Wort in jeder Postrockrezension) Komposition, die viel mit Keyboardklängen experimentiert, aber generell etwas hinter der Qualität der anderen Songs zurückbleibt. Mit „Trails“ ist mein Vertrauen allerdings sogleich wieder hergestellt. Bei dem Synthesizer-Gewitter zu Beginn formt sich sofort das Wort „Techno“ im eigenen Munde. Aber keine abschätziges „Ach, Techno“ wie nach einer weiteren Vergewaltigung elektronischer Musik. Nein. Man will „TECHNO“ schreien, wie wenn man diesen wunderbaren, tanzbaren Sommerelektro hört, der einen das Leben selbst als Pessimisten bejahen lässt. Freilich handelt es sich nicht um einen astreinen elektronischen Song. Aber wenn dreckige Gitarren den Ast weniger rein machen, kann einem das ja nur recht sein. Mit „Seelensammler“ wird das Album beendet. Letzte Songs haben ja immer eine spezielle Funktion zu erfüllen: Einerseits sollte die Quintessenz der Band noch einmal zum Ausdruck gebracht werden, andererseits sollte der geneigte Zuhörer mit einem Lächeln zum wiederholten geneigten Zuhören angeregt werden. Hier wird beides mit Bravour bewerkstelligt und dieser epische (ein weiter Muss-Wort in jeder Postrockrezension) Song ließ zumindest meinen Finger zur Replaytaste schnellen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier ein sehr schönes Postrockalbum mit einer wirklich professionellen Produktion vorliegt. Damit ich die Wörter „sphärisch“ und „episch“ zukünftig auch in Großbuchstaben schreibe und so laut schreie wie „TECHNO“ würde ich mir manches Mal ein bisschen mehr Anecken wünschen. Hier und da ein Ausbruch aus dem gemächlichen 4/4-Takt, ein schräger Rhythmus oder ein Sound, der trotz allem Professionalitätsanspruch ein bisschen dreckiger daherkommt, würden das Album auf die nächste Stufe stellen.

Für Fans von Bands wie den Iren God Is An Astronaut oder den Schweden pg.lost auf jeden Fall ein Empfehlung! Nördlich also. Und gäbe es bekannte Bands aus den weiten Sphären des Weltalls, würde ich diese hier, aufgrund der sehr breitflächigen und weltraumartigen Klangkulisse bei vielen Songs jedenfalls auch rezensieren.

We deserve this? Keine Ahnung ob ich das verdiene, aber alle guten Seelen da draußen haben sich das jedenfalls verdammt noch mal verdient!

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Von Veröffentlicht am: 12.08.2014Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018703 WörterLesedauer 3,5 MinAnsichten: 877Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: , , , 0 Kommentare on We Deserve This – Nulllinie
Von |Veröffentlicht am: 12.08.2014|Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018|703 Wörter|Lesedauer 3,5 Min|Ansichten: 877|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: , , , |0 Kommentare on We Deserve This – Nulllinie|

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Über den Autor: Sebastian Goetzendorfer

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