Interview mit Flasche und Torres am 09.09. im Gebäude 9, Köln
Interview mit Flasche und Torres am 09.09. im Gebäude 9, Köln
Die 24-jährige Mackenzie Scott a.k.a Torres hat 2015 mit „Sprinter“ ein außergewöhnlich reifes und abgrundtiefes Album präsentiert, das nicht nur in den einschlägigen Feuilletons Anklang findet. prettyinnoise.de interviewte die junge Frau mit St. Vincent-Tattoo und Hang zur spirituellen Postapokalypse kurz vor ihrer Show am 9.9. im Gebäude 9 in Köln. Statt einer typischen Frage-Antwort-Runde gab es für Torres eine selbstgebastelte PiN-Fragenflasche zum „selber ziehen“.
Als Hommage an Torres‘ Song „A Proper Polish Welcome“ bringe ich ihr zum Interview eine volle Flasche, die statt Klaren unnummerierte Zettel enthält. Mackenzie zieht ihre Fragen/Aufforderungen also selbst und per Zufallsprinzip, rollt sie auf, lacht und nimmt sich Zeit für ihre Antworten.
Ich kann es mir nicht mehr anhören. Nicht, dass ich finde, dass es schlecht ist. Ich höre mich nur so gar nicht mehr so an. Ich glaube auch nicht, dass es ein naives Album ist. Ich denke nur, dass sich meine Stimme da naiv und zu süß anhört und das stört mich (lacht). Aber ich bin immer noch sehr stolz darauf und binde auch immer Songs vom Debüt in mein Live-Set ein.
Klar, ich denke, jede Platte wird ein Spiegel dessen sein, was ich gerade bin.
Es passierte irgendwann zwischen dem ersten und zweiten Album. Die Live-Shows entwickelten sich immer zu dieser brachialen, rockgeladenen Performance. Für mich selbst war es auch eine ganz schöne Überraschung. Es wurde einfach zu der Art, wie ich auftrete.
Ist wirklich jemand auf die Bühne gesprungen? Die Sache ist die, dass ich so einen Adrenalinpegel auf der Bühne habe, dass ich mich an so etwas nicht erinnern würde. Wahrscheinlich könnte jemand auf die Bühne springen, mir einen Hut und eine Sonnenbrille aufsetzen und ich würde es nicht merken. Wenn ich auf der Bühne stehe, dann bin sozusagen komplett nach außen befördert, aus meinem Körper heraus irgendwie.
Vor drei bis vier Jahren hätte ich „Lady Lazarus“ gesagt. Ich liebe das Gedicht immer noch. Aber ich weiß, dass es das Gedicht ist, das jeder nennen würde. Ich glaube das andere, das ich auch liebe heißt „November Graveyard“. Ich glaube, in dem Gedicht beschreibt Sylvia einfach einen Friedhof in einer wunderschönen, metaphorischen Sprache. Aber das würde ich nur wegen der Bilder wählen. Wenn es um den Inhalt geht, müsste ich doch sagen „Lady Lazarus“. Ich finde, es ist ein so perfekt kreiertes Gedicht. Besonders, wenn man es laut vorliest. Es gibt noch eins, das sehr herausragend ist: „Edge“. Sehr dunkel. Es ist das letzte Gedicht aus der Ariel-Sammlung. Das Gedicht ist wirklich eine sehr direkte Ankündigung ihres Suizids. Es ist wundervoll. Ziemlich tief.
Natalie Portman in Star Wars – The Phantom Menace/ Die dunkle Bedrohung.
Das wäre dann „The Exchange“ (in diesem Song behandelt Mackenzie das Thema Adoption). Aber das spiele ich nicht live. Ich möchte eigentlich keine Songs schreiben, die mir zu wertvoll sind, um sie live zu spielen. Aber es musste raus. Da konnte ich nicht drum herum kommen. Er musste aufs Album.
Kraftwerk! Ich habe mich in den letzten 1,5 Jahren in Kraftwerk verliebt. Ich bin regelrecht verknallt. Die erste Platte, die mir in die Hände fiel war „Trans Europe Express“. Aber jetzt bin ich mehr in der „Autobahn“-Welt. Ich finde auch die Vorformation gut –„Organisation“. Es ist witzig, weil ich von den Hits direkt in die Tiefe eingestiegen bin. Mein Schlagzeuger liebt deutsche Bands. Er hat mich also total mit der Vor-Kraftwerk-Band „Organisation“ angesteckt. Die haben nur dieses eine Album „Tone Flote“ mit den ganzen Sounds. Es ist wie Kraftwerk – ohne die Pop-Elemente. Es ist toll.
Eine schwarze Gibson ES 335, die ich vor ein paar Jahren von meiner Familie bekommen habe. Kurz bevor ich mein erstes Album aufnahm. Und ich nehme sie kaum mit, weil ich Angst habe, dass ihr etwas passiert. Ihr Name ist Josephine (lacht).
Lyrik und Romane. Tatsächlich werde ich zurzeit am meisten beeinflusst von den Romanen, die ich lese. Ich kann immer etwas für meine eigene Kunst darin finden. Ich versuche verschiedene Genres zu lesen. Ich mag es, die Welt durch immer wieder andere Augen zu sehen. Aktuell lese ich sogar ziemlich witzige Sachen. Erst kürzlich habe ich „A Confederency of Dunces“ beendet (Anm. der Redaktion: „Die Verschwörung der Idioten“ (ein sogenannter Schelmenroman).
Lieblingsfilm – „Napoleon Dynamite“ (Anm. der Redaktion: Indie-Art-House-Komödie über Highschool-Slacker) oder „Phantom der Oper“.
Schauspieler – Julianne Moore und Phillip Seymoure Hoffman.
Definitiv meine Eltern. Wenn ich nicht dieses Support-System gehabt hätte, hätte ich Angst gehabt, meine Ziele so zu verfolgen, wie ich es getan habe. Ich weiß nicht, wie es geworden wäre, hätte ich meine Familie nicht ermutigt und mir gesagt, ich könnte alles schaffen, was ich mir vornehme. Es gibt viele Leute, die es ohne einen solchen Rückhalt schaffen. Aber ich weiß nicht, ob ich es geschafft hätte.
Das Klavier. Aber ich habe meinen ersten Song auf der Gitarre geschrieben.
Ich denke, dass ich das nicht bringen würde. Das ist dann wohl eher Kate Bush und Tori Amos vorbehalten.
Etwas, was peinlich war und gleichzeitig schön, ist tatsächlich erst kürzlich passiert im Mai oder Juni, da waren wir auf U.S.-Tour. Mein komplettes Equipment hat gestreikt nach nur 3 Songs. So etwas ist mir zuvor noch nie passiert, da bekam ich echt Panik. Zuerst wusste ich nicht, was ich tun sollte und dann habe ich die Gitarre genommen und auf den Boden geschmettert. Am Ende wurde die Situation zu einem intimen Austausch zwischen dem Publikum und mir. Ich tendiere dazu, mich normalerweise hinter der Gitarre zu verstecken, aber so war mein Schutzschild weg und die Leute sehr warm.
„To Pimp a Butterfly“ von Kendrick Lamar. Es ist so genial. Ich habe es ganz oft gehört. Zuerst habe ich es nicht verstanden, es ist kein leicht verdauliches Album. Nach einigen Monaten kam ich jedoch zu dem Fazit, dass es brillant ist.
Da habe ich tatsächlich letztens noch drüber nachgedacht. Postapokalyptisch, würde ich sagen. Aber nicht ohne Hoffnung.
Ein Vorteil ist gleichzeitig ein Nachteil. Ich bin nicht die beste Gitarristin, technisch gesehen, obwohl ich dieses Instrument über alles liebe. Andererseits bringt mich die Einschränkung dazu, mich beim Songwriting auf das Wichtige zu reduzieren. Ich werde nie Jimi Hendrix oder St. Vincent sein, aber ich muss es auch nicht. Ich höre mich eben an wie ich. Und zudem arbeite ich immer daran, besser zu werden.
(Lacht) Ich würde sehr gerne weiter touren. Insbesondere in Asien. Ich würde auch gerne weiter nach Osteuropa reingehen. Ich kann es nicht erwarten „A Proper Polish Welcome“ in Polen zu spielen.
Zum Ende des Interviews schmeiße ich beim Aufstehen die Fragenflasche mit meiner Tasche um. Sie zerschellt auf dem Boden. Wir räumen die Scherben gemeinsam auf. Soll ja Glück bringen.
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