KRITIK: No More – Kissin‘ In The Blue Dark
„Kissin‘ in the blue dark / Playin‘ pool and wild darts“ säuselte Lana Del Rey einst in ihrem Hit Video Games.
Zehn Jahre später entleihen No More dieses Zitat als Albumtitel für ihren neusten Longplayer und schlagen somit eine Brücke zwischen ihrem eigenen dunklem New Wave Sound und der von Del Rey oftmals bedienten Pop-Romantik. Eine Symbiose die auch zwischen den beiden sehr unterschiedlichen CDs dieses Doppelalbums besteht.
Als sich No More 1979 gründeten, verfolgte die Band einen sehr kühlen und von der Presse oftmals als „deutsch“ zitierten Ansatz von Punk und New Wave. Mit Suicide Commando gelingt ihnen dabei ein Hit, der bis heute in die Popkultur strahlt. Eine belgische Industrialband benennt sich nach dem Song, DJ Hell löst mit dem Track Begeisterung auf der Loveparade aus und der französische Electro-Pionier Vitalic bedient sich für eine Cover-Version. Doch ausgerechnet in der Zeit wo Suicide Commando zum Kult avanciert, existiert No More gar nicht mehr. Die Band löste sich 1986 auf um dann 22 (!) Jahre später überraschend wieder auf der Bildfläche zu erscheinen.
Ein Überraschung-Comeback das bis heute anhält
2006 veröffentlichten No More als Duo mit dem Compilation-Album Remake / Remodel erstmals neue Lieder. Seit 2008 tourt die Band auch wieder und veröffentlicht immer mehr neue Musik. Der neue Soundansatz reicht dabei von Kraut-Industrial-Sounds bis hin zu kühlem elektronisch inspiriertem Pop.
Das Kissin‘ In The Blue Dark mit 29 Tracks ziemlich opulent ausgefallen ist, dürfte auch daran liegen, dass die Band zuletzt an einem Soundtrack-Vorhaben gearbeitet hat, welches sich urplötzlich zerschlagen hat und dessen Material klar Einfluss auf das neue Album nahm. Aus diesem Arbeitsprozess nahm die Band z.B. den Opener Berlin Soul mit, welcher nun die „blaue“ Seite des Doppelalbums eröffnet. Das Albumkonzept teilt die Songs in die gefühlvollen, sanften und elegischen Tracks für die blauen Stunden und die opulenten Stücke, welche die ganze Schwärze der Nacht atmen.
Die Band ist sich dabei ihres eigenen Schaffens sehr bewusst und so ist es kein Wunder, das zielsicher die beiden offensichtlichen Hits (Paris Blue, It’s Easy To Get Lost) als Vorabsingles ausgewählt wurden.
Paris Blue erzählt eine Geschichte aus dem Paris der Nachkriegszeit. Dem Track fließt dabei so viel Pop-Romantik durch seine Adern, wie man es bei dem eher kühlen Sound von No More bisher noch nicht gehört hat. Die Hinwendung zum Pop wird im entspannt angelegten It’s So Easy To Get Lost noch offenkundiger. Das ist aber durchaus positiv zu sehen, denn No More laufen so zu keinem Zeitpunkt Gefahr in die Selbst-Zitate-Falle zu tappen. Vielmehr schaffen sie es ihrem Sound einen modernen Anstrich zu verpassen und treffen dabei den sich kreuzenden Längen- und Breitegrad von Echo And The Bunnymen und The XX.
Ein Album, spanend wie eine kindliche Nachwanderung
So erinnert der Titeltrack an kühlen Liverpooler Post Punk und spätestens der Gesang von Sänger Andy Schwarz in A Happy Place weckt die Assoziationen zu Oliver Sim von The XX. Noch deutlicher wird diese Referenz in The Sun, Henriette, The Sun, dem einzigen Stück mit Vocals auf der “dunklen” Albumseite.
Auf der zweiten Albumhälfte lassen No More dann deutlich mehr Platz für experimentelle Soundansätze. Auch wenn die Dekonstruktion von Sounds im Schaffensprozess der Musik eine übergeordnete Rolle gespielt haben muss, stülpen No More den Stücken ein geradezu opulentes Kleid über. Orchestrale Elemente und breite Synthie Flächen versetzen einen in traumwandlerische Stimmung zwischen Melancholie und nächtlicher Romantik.
Kissin‘ In The Blue Dark gehört für mich zu den überraschendsten Platten des Musikherbstes. Und das im positiven Sinn. No More war eine Band die ich nicht mehr auf dem Schirm hatte, welche es jedoch geschafft hat aus dem Stand weg wieder als interessant und spannend wahrgenommen zu werden. Man muss sich nur darauf einlassen.
Der Song für die Playlist/das Mixtape: The Sun, Henriette, The Sun
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