Swans – The Glowing Man

Swans – The Glowing Man

SWANS – Zerlegung von Rockmusik führt zur Katharsis.

Die zweite Inkarnation der SWANS (2010 bis 2016) neigt sich dem Ende zu. Michael Gira (62) und seine für SWANS-Verhältnisse konsistent gebliebene Gruppe pausieren. Vorläufig.

Schwitzhütte und Brachial-Achterbahn können für uns als Bewußtseins- und Körpererfahrungs-Erweiterung erst mal warten, denn als Abschiedsgeschenk gibt es nicht nur eine herbstliche SWANS-Tournee, sondern auch ein weiteres monolithisches Meisterwerk auf zwei CDs und drei Vinyl-Scheiben. Es ist schön zu hören das „The Glowing Man“ sich keinesfalls hinter den dramaturgisch genau so starken Vorgängern „The Seer“ und „To be kind“ zu verstecken braucht: auch auf dem neuen Album liegen grazile Anmut und derbe Brachialität häufig neben, aber auch über- und untereinander.

Einerseits klingt es abgegriffen, andererseits ist Michael Gira Atheist – sonst könnten die SWANS (erste Phase war übrigens 1982 bis 1997) als „spirituell“ bezeichnet werden, wirkt das Album doch ein bisschen wie eine etwas dämonisierte Bergpredigt. Teufel aber auch!

Vom ersten Moment an klingt „The Glowing Man“ unglaublich intensiv, auch wenn der Einstieg „Cloud of forgetting“ eher verhalten beginnt und auch der erste Höhepunkt des Albums, das fünfundzwanzigminütige „Cloud of unknowing“ sich eher langsam zu einem Crescendo steigert, welches für die SWANS in ihrer aktuellen Dekade typisch ist. Die Songs haben innerhalb ihrer bis zu halbstündigen Laufzeiten sowie in Verbindung zu den umgebenen Liedern elegante Überleitungen. Trompete, Steelgitarre. Melotron, Cello (von Meister-Derwisch Okkyung Lee), Mandoline und Banjo, sowie und selbstverständlich Glocken erweitern das Hörvergnügen, dazu Gira´s faszinierende Stimme, mehrere Gastvocals und ganz verschieden klingende Background-Chöre…fantastisch…! Dazu viereckig wirkende Industrial-Passagen, filigrane Folk-Momente sowie gefühlte zweihundert Instrumente…sowie Gira´s hypnotisch wirkende, sich wiederholenden Texte wie „Bury my mind, bury my mind, bury my mind, bury my mind. Follow the sleeper. Follow the maker. Follow the keeper. Follow the leaver“ oder die Drogengeschichte eines Freundes: „Frankie M.“.

Hier ist kein Raum für Nebenbeschäftigungen.

Ohren und Verstand unterwerfen sich dem genialen Pandemonium, von der Seele ganz zu schweigen – insofern es eine gibt.

Die Musik der SWANS wirkt wie aus der Zeit gefallen, ist aber dennoch zeitigeistig, da manchmal direkt, manchmal auch unterbewußt so einiges zum Lodern und zum Kochen gebracht wird, was uns Drei-Minuten-Aufmerksamkeitsspanne-Multimedia-Hibblern innewohnt. Die sich mantramässig wiederholenden Percussions, Drums und Gitarren haben etwas trancemässiges, und wenn Michael Gira eindringlich Textzeilen wie „Monster eater, Jesus feeler, zombie sucker, zombie healer, monster eater – I am washing your skin“ herauslässt, mögen Zuhörerin und Zuhörer an den ein oder anderen Menschen aus ihrer Umgebung denken – oder ans eigene Ich, oder ans letzte Biest am Himmel, welches in Nacken oder Bauch oder zwischen Cortex und Thamalus haust.

Etwas ruhiger geht es lediglich bei „When will I return“ zu, welches ein sehr persönliches und damit ebenfalls starkes Lied ist. Jennifer Gira singt über ihre schmerzhaften Erfahrungen von körperlicher Gewalt.

Demnach nicht gerade eine Verschnaufpause, bevor es zu einem weiteren Höhepunkt weitergeht: so gut wie alles was die SWANS in ihrer neuen Inkarnation ausmacht findet sich im halbstündigen Titelsong „The Glowing Man“. Ein etwas verfrickelter Einstieg, Aufbau und Anschwellen der Instrumente, eine im Grunde genommen recht einfache Idee wird geschmackvoll (jedenfalls für Leute die sich für „interessante“ Musik interessieren) und natürlich brachial sowie mehrere Genres bedienend und brechend ausgeweitet, das Ganze mit einem Text bei dem Gira sich bei einem von ihm sehr gemochten Zen-Gedicht inspirieren ließ, welches er auch zitiert.

Der letzte Track des Albums heißt „Finally Peace“. Jennifer und Michael Gira singen: „Now the city´s dissolving, and heaven´s inhaling, while the ocean is thinking of a surface reflecting: your glorious mind, your glorious mind.“ Sogar das Wort „Love“ ist von Gira zu vernehmen, und er ist einer der wenigen Menschen, wo dies nicht abgedroschen klingt. Die Musik ist für SWANS-Verhältnisse beinahe poppig und sicherlich mellow. Es ist schön – allerdings auch etwas überraschend – zu hören und zu spüren, wie nach all dem Hochziehen, Fallenlassen, Exorzieren und Katharsis herbeiführen am Ende eine versöhnliche und fast schon freundliche Atmosphäre kreiert wird.

Dystopisch.
Düster.
Gewalttätig.

sagen Freunde über „The Glowing Man“.

Opulenter Abschieds-Geniestreich

möchte ergänzt werden.

Nach einer ausgedehnten USA-Tour im Sommer befinden sich die SWANS im kommenden Herbst auf Europa-Tournee. Die empfehlenswerten Konzerte dauerten in der Vergangenheit nie weniger als zweieinhalb Stunden und können durchaus als körperliche Erfahrung gewertet werden. Nachdem der Schreiber das große Vergnügen hatte, die SWANS gleich zweimal im Berliner Festspielhaus Numero Eins, genannt „Berghain“ zu sehen, wird im Herbst das ebenfalls sehr schöne Huxleys der Austragungsort sein.

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Von Veröffentlicht am: 23.06.2016Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018789 WörterLesedauer 3,9 MinAnsichten: 886Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on Swans – The Glowing Man
Von |Veröffentlicht am: 23.06.2016|Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018|789 Wörter|Lesedauer 3,9 Min|Ansichten: 886|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on Swans – The Glowing Man|

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Über den Autor: Nico Kerpen

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