Martin Kohlstedt – Strom
LP kaufen Vö: 17.11.2017 Edition KohlstedtDas Klavier. Schönstes, kitschigstes, emotionalstes, abgenutztestes, poppigstes Instrument. Mit drei Tönen in höchste Höhen, in leiseste Momente, mit drei weiteren aber genauso schnell zur Warteschleifenmusik.
Martin Kohlstedt schält sich aus dem Urschleim, den Nils Frahm hinterlassen hat, mit großem Geschick heraus. Der Tanz zwischen Klischee und Idee, zwischen Emotion und Plakat gelingt ihm auf Strom erstaunlich oft.
Kohlstedt gelingt das Kunststück seine Instrumentalmusik äußerst visuell zu gestalten. Immer wieder ziehen am inneren Auge Landschaften vorbei, die seine Klangwelten hervor rufen. Die Produktion leuchtet das Klavier in all seinen Facetten aus. Jedes Tastenrascheln, jeder Filzhammer, jedes Holzknacksen ist zu hören und eine äußerst intime Atmosphäre entsteht. Die dahinter sachte vorbei ziehenden Synthesizer-Flächen erzeugen den Gegenpol. Alles liegt in weiter Ferne. Diese Gegenüberstellung, dieses Nah und Fern malt die erwähnten Landschaften.
Strukturen haben die insgesamt neun Stücke nur im Entfernten. Dankenswerterweise verzichtet Martin Kohlstedt auf Pop-Platitüden wie Strophe/Chorus-Aufbauten. Dennoch lugt der Pop an allen Ecken hervor. Track 2, „KSY“ kommt in schönster Verspieltheit daher, baut sich auf, überschlägt sich, wird ganz klein und trägt sich zum Ende mit fast schon eingängigen Melodien. „DOM“ hat einen ähnlichen Aufbau, ist aber insgesamt majestätischer, mit einer gehörigen Prise Yann Tiersen versehen. Wo „HEA“ eine klare Brücke Richtung Alben eins und zwei ist, wartet man bei „TAR“ förmlich darauf, Tori Amos’ Engelsstimme zu hören.
Das Spiel mit den musikalischen Farben, den Andeutungen geht munter weiter, wirkt aber fast nie beliebig. Jedes Stück steht für sich, ein eigenes Universum, dass – so hat es Kohlstedt im Pressetext angekündigt – in seinem ganz eigenen Element besteht. Überall knistert, rauscht und weht es.
„CHA“ und „JIN“ schließen das Stürmen ab. Man kann nicht umhin, das ganze über Stunden auf Repeat laufen zu lassen. Die beständige Gradwanderung zwischen Sturm und Klang, zwischen Kitsch und Kakophonie ist aufreibend genug, dass man aufgelöst, beschäftigt, seltsam unruhig zurück bleibt. Und sich ohne zu zögern erneut in den Strom wirft.
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