KRITIK: Marianne Faithfull & Warren Ellis – She Walks In Beauty

KRITIK: Marianne Faithfull & Warren Ellis – She Walks In Beauty

Bereits vor drei Jahren veröffentlichte Marianne Faithfull mit Negative Capability ein gleichermaßen großartiges wie bewegendes Album, welches zugleich von nicht wenigen Beobachtern als ihr möglicherweise letztes Werk gedeutet wurde.

Zu sehr waren die körperlichen Gebrechen der vom Leben gezeichneten Faithfull offensichtlich geworden, und zu sehr saßen vielleicht auch noch die großen Abschlusswerke von Leonard Cohen und David Bowie in den Knochen, die zwei Jahre zuvor jeweils nur kurz nach deren Veröffentlichung verstorben waren.

Dass nun mit She Walks In Beauty doch noch ein weiteres Album erschienen ist, ist eine gleich doppelte Überraschung: Nicht nur, dass Faithfull ohnehin seit Jahren mit ihrer Gesundheit zu kämpfen hatte, die ihr die künstlerische Arbeit zunehmend erschwerte – im letzten Jahr infizierte sie sich darüber hinaus nur kurz nach Ausbruch der Pandemie mit Covid-19, lag auf der Intensivstation, wurde beatmet und von ihren Ärzten bereits aufgegeben. Dass sie sich dennoch zurück ins Leben und kurz darauf ins Aufnahmestudio gekämpft hat, hat sie wohl jenem unbedingten Überlebenswillen zu verdanken, der sie in der Vergangenheit bereits von ihrer Heroinsucht und schließlich vom Leben auf der Straße befreite.

All das wäre nicht weiter interessant, wäre die von Brüchen gezeichnete Aufrichtigkeit der Künstlerin nicht zugleich in jedem Ton, jedem akustisch erklingenden Atemzug in ihrem Werk wahrzunehmen. Ihre mit den Jahren immer tiefer und rauer gewordene Stimme ist durch den schweren Krankheitsverlauf im vergangenen Jahr zum Singen nicht mehr in der Lage, aber das hat Faithfull nicht davon abgehalten, ein weiteres, ein nach eigener Auskunft letztes Album aufzunehmen – auf dem sie den Akt des Singens durch das gesprochene Wort ersetzt. Und ganz egal ob singend, sprechend oder hauchend, immer erfüllt einen am Ende das selbe, gleichermaßen wohlige wie sehnsuchtsvolle Gefühl, das nur diese Stimme auszulösen vermag. So auch auf diesem Album.

Video: Marianne Faithfull & Warren Ellis discuss their new album „She Walks In Beauty“

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Und es ein besonderes Album geworden – das steht hier ausnahmsweise nicht deshalb, weil es sich in Kontexten wie diesem nur allzu gut lesen lässt. Faithfull ist auf diesem letzten Karriereschritt an ihre eigenen Anfänge zurückgekehrt, in eine Zeit noch weit vor ihrem künstlerischen Aufstieg Mitte der 60er Jahre, als sie der Song As Tears Go By über Nacht zum Popstar machte. Sie kehrt zurück in die Zeit ihrer Jugend, als von einer intakten Popkultur weder in Großbritannien noch sonst wo die Rede sein konnte, und in der ihr stattdessen die Poesie von Künstlern wie Shelley und Keats, von Tennyson und Thomas Hood das Tor zur Welt offenbarten. 

Auf She Walks In Beauty vertont sie nun diese Gedichte, die für sie in Zeiten großer Einsamkeit zu einem rettenden Anker wurden und im letzten Jahr erneut geworden sind. Damit schließt sich gewissermaßen ein Kreis – die Mitte 70-jährige Marianne Faithfull im Jahr 2021 verschmilzt auf dem vorliegenden Album durch den Akt einer zärtlichen Umarmung für die knapp 50 Minuten mit der jugendlichen Marianne Anfang der 1960er Jahre, die trotz blühender Fantasie wohl gewiss noch keine Vorstellungen von den Turbulenzen der kommenden Jahrzehnte hatte, die damals noch vor ihr lagen. Die auf dem Album vertonte Poesie begleite sie schon ihr ganzes Leben lang, hat Warren Ellis, der die Entstehung des Albums erneut in enger künstlerischer Zusammenarbeit begleitet hat, im Zuge der Veröffentlichung gesagt. Wer das Album gehört hat, bevor er dies liest, wird das ohnehin gespürt haben. 

Das Album ist eine Abkehr vom klassischen Pop, dessen weites Feld Faithfull über die fast 60 Jahre ihres künstlerischen Schaffens in all seiner Weite erkundet hat. Perkussive Elemente sind nicht mehr zu vernehmen, stattdessen dominieren Flächen den Klang des Albums. Neben Ellis haben unter Anderem Nick Cave, Brian Eno und Vincent Ségal an der musikalischen Erarbeitung des Albums mitgewirkt, doch Faithfull bleibt mit ihrer einzigartigen Stimme das Zentrum des Geschehens. Gänsehaut überkommt einen bereits bei den einleitenden Versen des Openers She Walks In Beauty, wenn es heißt: „She walks in beauty, like the night/ Of cloudless climes and starry skies; And all that’s best of dark and bright/ Meet in her aspect and her eyes“, und sie endet erst, wenn die letzten Sätze im abschließenden The Lady of Shallot gesprochen, und die letzten Töne erklungen sind.

Sollte es das tatsächlich gewesen sein, so ist She Walks In Beauty der beste von vielen guten Gründen, Marianne Faithfull in würdiger Erinnerung zu behalten.

Resümee:
Mit She Walks In Beauty veröffentlicht Marianne Faithfull ihr nach eigenen Angaben letztes Album. Durch den Akt der gesprochenen Poesie hat sie die Not zur Tugend umgemünzt, da sie durch einen schweren Krankheitsverlauf im vergangenen Jahr zum Singen nicht mehr in der Lage ist. Doch das Album unterstreicht, dass weniger die konkrete Technik als vielmehr der sich dahinter verbergende Ausdruck das Zentrum ihres künstlerischen Schaffens darstellt, der seit jeher ihr Markenkern gewesen ist. She Walks In Beauty ist ein in jeder Hinsicht gelungener künstlerischer Schlusspunkt einer großen Künstlerin.

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Von Veröffentlicht am: 09.05.2021Zuletzt bearbeitet: 09.05.2021867 WörterLesedauer 4,3 MinAnsichten: 1123Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: , 0 Kommentare on KRITIK: Marianne Faithfull & Warren Ellis – She Walks In Beauty
Von |Veröffentlicht am: 09.05.2021|Zuletzt bearbeitet: 09.05.2021|867 Wörter|Lesedauer 4,3 Min|Ansichten: 1123|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: , |0 Kommentare on KRITIK: Marianne Faithfull & Warren Ellis – She Walks In Beauty|

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Über den Autor: Luca Glenzer

Musiker und Soziologe.

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