KRITIK: Christian Winther – Urfuglen

KRITIK: Christian Winther – Urfuglen

Christian Winther, norwegischer Musiker stimmt mit seinem neuen Album, Urfuglen auf unreal wirkende Taktfolgen ein.

Innerhalb der schon etwas kurzen Zeitspanne von nur zwei Jahren veröffentlichte Herr Winther im September sein zweites Album, welches schon hörbar untypisch für Fysisk Format-Verhältnisse einerseits mit einer sehr chilligen Note auskommt, aber unter Berücksichtigung der verschiedenen Stile die hier im Vita-Mix landeten, fügt es sich doch erstaunlich gut in den umfangreichen Backkatalog des Labels ein. An seiner Musik haftet immer etwas positiv schwebendes, mal geht es fluffig, instrumental, von Schellenkranz und Trompeten begleitet auf eigens ausgedachte krautige Exkursionen à la Torg, als Teil des Trondheim Jazz Ensembles wird eine Flamenco-Free-Jazz-Siesta zelebriert und mit einem weiteren Beispiele aus seinem krass umfangreichem Fundus entführt uns Christian, zusammen mit Ina Sagstuen, in akustische veranlagte Post-Pop-Watte.

Christian Winthers aktuelles Solo-Werk ist erneut von Experimenten geprägt, der Norweger erschloss sich den Prog-Rock der Hochphase und mittlerweile reichen die Finger meiner linken Hand nicht mehr aus, um alle hier vorhandenen musikalischen Duftmarken aufzuzählen. Wir können Jazz und Improvisationen „Made in Oslo“ vernehmen, ein wichtiger Ausgangspunkt wäre die „Stimmung des Post-Punk“ und die Japanische Psychedelica der Nachkriegszeit schwingt ebenfalls in seinen Klanggemälden mit.

Mit dem inneren Wunsch den dissonanteren Klängen auf dem Follow-up zu The Clearing, eine schillernde, wärmende Harmonie mitzugeben, scharte Christian unter anderem Mitmusiker:innen früherer Projekte um sich und die daraus resultierende Spontanität zeugt von viel Intuition, spielerischem Verständnis, dem alle ihren wasserfesten Stempel „aufdrücken“. Ein besonderer Aspekt, der unbedingt Erwähnung finden sollte gereicht fast schon einem seltenen Unikat, denn alle Beteiligten spielen nicht nicht nur ein eigenes Instrument sondern greifen zusätzlich zur Gitarre. Für die Live-Aufnahme des Albums stand weiterhin allen Beteiligten ein separates Mikrofon zur Seite und die Mehrzahl an Gesangsspuren erhöhte die Intimität des vorliegenden Werkes nur noch mehr.

Langeweile sollte hier definitiv nicht aufkommen, leiten die Norweger:innen den ersten Track 109 mit einem Verwirrung stiftenden Math-RockKapitel ein, setzen den Haken und biegen in die mit „Shuffle-Beats aus dem Elektrozaun“ ausgestattete Gasse und kollidieren mit nervösem Gitarren-Tapping, das angenehme Dissonanzen in die aufgeräumte Grundstimmung einbringt. Dada Gesänge überlagern präsente Spoken Word Kombinationen, kooperieren mit ihnen und auch absichtlich schief drüber gezogene Riffs brechen die gute Laune nicht wegweisend auf, sondern verkörpern die oft wichtigen Ecken und Kanten.

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Anja Lauvdal oder etwa Ina Sagstuen komplettieren mit ihren Stimmen eine an Signor Rossi Soundtrack erinnernde Szenerie, der auch eine gewisse Affinität zu Jazz und Interesse an internationalen Rhythmen zuzuschreiben ist die auf World-Music basieren. Vor 30 Sekunden wurde dir die brasilianische Tropicana ans Herz gelegt und im nächsten Moment, garantiert nicht unbedingt im gleichen Track, tanzen lateinamerikanische, Flamenco-Gitarren zückende Amigos an deinen Augenwinkeln vorüber. Easy Listening passt schon hier und da um ein umfangreiches Bild, irgendwie mit zwei Wörtern einzugrenzen, sei dann doch nur die halbe Miete, da hier einfach zu viel passiert, innerhalb von einigen, wenigen Minuten. Vielmehr entsteht der Drang aufzustehen und unbeobachtet durch die Wohnung zu schleichen, passende Küchengeräte aus dem Schrank zu holen, um damit die aufwendige Geräuschkulisse rhythmisch nachzuahmen.

Unerwartet tauchen Anjas Piano-Fetzen auf, der Bass von Magnus Neergard bekommt einen Soloauftritt und im Abschluss duellieren die Prog mäßigen Riffs Winthers mit sich selbst und eine Piano-Salve geleitet Urfuglen Part 2 an sein Ziel. Tuva Syvertson stimmt in ein Duett mit Christian ein, alle vertonten Lyrics erreichen unsere aufgestellten auf norwegisch und wohl niemand hätte damit gerechnet wie eingängig skandinavische Sprachen doch klingen können.

Das neunminütige Opp beginnt tiefstapelnd mit minimalen Post-Rock Elementen, die alsbald wabernd mit spooky Krautrock-Rhythmen funky durch den Raum fliegen und aufgebrochen durch Math-Rock, das Tempo gekonnt entschlacken bevor die Synthie Klänge kurzzeitig chaotische Ausbrüche an-und abschwellen lassen und Spendelet wandert auf eingeschlagenen Pfaden konsequent weiter voran.

Marmor, der leider schon vorletzte Track erinnert an eine Band wie Gastr Del Sol, stellt das halbe Sad/Slowcore Genre auf den Kopf, die allgegenwärtigen Lyrics auf norwegisch setzen moderne Akzente zu denen Veslemøy Narvesen seine Schlagzeugkomponenten mit Funk und Punk betankt und es entsteht eine treibende Angelegenheit, aus der die positive Abgeklärtheit spricht. Dicht neben dem Opener steht Marmor für die geradlinigeren Songs des experimentellen, aber nicht verkopftem Longplayers, der ursprünglich als eine Live-Premiere für den Auftritt zum fünfjährigen Jubiläum des Osloer Motvind Festivals angedacht und durch die andauernde Pandemie eben in eine Studio-Premiere umgewandelt wurde.

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Kompositionen von David Grubbs (Bastro), Jim O´Rourke (Sonic Youth) und die Chicagoer Musikszene im Allgemeinen rücken gefällig nah an Urfuglen heran, erinnern hier in ihren schönsten Momenten an eine Interpretation der aufgezählten Songschreiber.

Abschließend erinnert Ingensteds an einen Crossover aus No Wave-Gitarren und chilligen Breakbeats, die mit viel surrealer Atmosphäre um die Gunst der Vocal-Harmonien werben und am Ende des Traumes in einem malerischen Gemälde vereint nur darauf warten immer wieder neuentdeckt zu werden. Tor Ulvens erste poetische Verfassung, The Shadow Of The Primordial Bird, lässt sich hinter Albumtitel und den in Landessprache konzipierten Texten erkennen welche ein fabulierende Parallelwelt erschaffen in der oft die Kälte und Unbarmherzigkeit des grauen Alltags verarbeitet wird.

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Schriftstellerin Susanne Christensen schwärmt, schwebend wie Musiker:innen und Publikum für Urfuglen und beschreibt das Album in den Linernotes das es beschwörende, erhellende und antidepressive Klänge zuhauf beinhaltet.

Urfuglen wurde am 23.09.2022 auf dem Osloer Fysisk Format veröffentlicht und kann hier auf rotem Vinyl bestellt werden.

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Von Veröffentlicht am: 16.11.2022Zuletzt bearbeitet: 16.11.2022954 WörterLesedauer 4,8 MinAnsichten: 628Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: Christian Winther – Urfuglen
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Über den Autor: Nico Pfueller

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