KRITIK (4 Ohren): The Mars Volta – The Mars Volta

KRITIK (4 Ohren): The Mars Volta – The Mars Volta

The Mars Volta sind zurück – und ganz anders als gedacht. Ist das gut oder nicht? Unsere Redakteure Arne Krause und Jens Broxtermann sind sich da nicht einig. Deswegen gibt es diesmal nicht nur eins, sondern gleich zwei Reviews.

The Mars Volta waren von 2003 bis 2012 (manche sagen nur bis 2009) die aufregendste Band der Welt, nur The Blood Brothers kamen da irgendwo in die Nähe. Dann war alles zu Ende und man war mit hunderten Soloreleases von Omar Rodriguez-Lopez, der okayen Antemasque-Platte oder den okayen At The Drive-In-Platten musikalisch alleine und deswegen dauernd auf der Suche nach Musik, die irgendwie an diesen Brainfuck rankam. Der kam aber nicht und so blieb vielen Menschen 10 Jahre nichts anders übrig, als darauf zu hoffen, dass The Mars Volta sich wieder zusammentun würden (zumal auch The Blood Brothers Geschichte waren).

Der Wunsch allein muss schon mit Vorsicht betrachtet werden. Wer sollte sich denn da genau zusammentun? The Mars Volta hatten immer nur zwei Mitglieder: Omar Rodriguez-Lopez und Cedric Bixler-Zavala. Alle anderen waren immer nur Performer, die die Vision musikalisch umsetzten und keineswegs treibende Kraft beim Songwriting oder bei der Konzeption waren. Letztes Jahr wurde dann im Zuge des Release des Boxsets La realidad de los sueños nach und nach klar, dass TMV früher oder später wiederkommen würden.

Nachdem nun die meisten ehemaligen Musiker:innen entweder tot, verletzt oder mit einem der beiden zerstritten sind bzw. waren, war klar, dass wir bei einer Reunion ein verändertes Line-Up bekommen würden. Doch so aufregend ist das eigentlich gar nicht: Eva Gardner (auf der Tremulant EP am Bass und heute in der Band von P!nk) ist wieder dabei, Latin-Drummer Willy Rodriguez ist neu dabei und an Keyboard und Sampler ist, wie schon seit dem Tod von Jeremy Ward am Sampler und seit dem Tod von Ikey Owens auch am Keyboard, Marcel Rodriguez-Lopez. So viel ist also gar nicht neu. Bis auf die Kleinigkeit, dass die Musik völlig anders klingt.

War es früher (bis 2009) noch so, dass man von Spielfreude und überbordenden Arrangements noch atemlos geflasht war und ruhigere Songs wie The Widow oder Asilos Magdalena eine schöne Pause zum kurzen Luftholen waren, ist der erste Aspekt nunmehr nicht mehr existent. Es gibt keine 13-minütigen Songs voller Soli, Noise und scheinbarem Chaos, bestehend aus nicht endend wollenden Schichten aus Gitarrenspuren, mehr. Mit ihren selbstbetitelten Album legen The Mars Volta ihrer eigenen Aussage nach ihr „Pop-Album“ vor. Pop ist allerdings relativ, es ist jetzt nicht so, dass die Songs mainstreamtauglich sind. Allerdings ist es ein Album mit Songs, die um die 3-4 Minuten lang sind. Die Songs haben größtenteils Pop-Strukturen, sind mal etwas RnB-ähnlich, mal eher Softrock – halt so gar nicht wie TMV früher geklungen haben. Noch präsenter ist nun auch der Einfluss karibischer Rhythmen.

Equus 3 und Que Dios Te Maldiga Mi Corazon sind wohl die beiden Songs, die am ehesten nach den alten The Mars Volta klingen, ebenso die letzte Minute von The Requisition. Aber alles in allem muss man feststellen: The Mars Volta klingen sehr anders als vor 10 Jahren. Ruhiger vor allem. Aber auch konziser, songorientierter und deutlich zugänglicher. Davon kann man natürlich enttäuscht sein. Aber The Mars Volta haben sich noch nie wiederholt, warum sollten sie 10 Jahre warten, nur um sich zu wiederholen? Die beiden sind nun auch 10 Jahre älter und nehmen deutlich weniger Drogen als früher. Dass sich das auf die Musik auswirkt, ist nicht wirklich überraschend.

Bleibt also die Frage: Ist The Mars Volta ein richtig gutes Album?

Ja, das ist ein richtig gutes Album. Es gibt so viel zu entdecken, mit jedem Durchlauf findet man etwas Neues. Jedes Mal gefällt mir irgendein neuer Aspekt, eine neue Melodie. Trotz mitunter schlichten Songstrukturen bemerkt man selten, dass die Songs so kurz sind, weil immer etwas spannendes passiert. Der Bass von Eva Gardner ist auf den Punkt und mit sehr wenig Attack gespielt (anders als früher, aber so klingt der Bass fast wie ein Synthie-Sound), die Drums sehr songdienlich (also kein Drumgewitter wie auf The Bedlam In Goliath mehr) und je länger man hört, desto mehr Gitarre findet man. Die Keyboards sind mal im Vordergrund (aber nicht wie auf The Whip Hand …), mal verschwimmt die Grenze zur Gitarre, mal sind sie dezent im Hintergrund. Und die Vocals sind so gut wie noch nie. Man musste die sehr spezielle Stimme von Bixler-Zavala schon immer mögen, jetzt ist sie deutlich weniger edgy und quietschig, sondern sehr viel mehr darauf ausgelegt, gute Melodien zu kreieren. Ein gutes Beispiel ist etwa Cerulea, der 7. Track des Albums.

Cerulea beginnt geradezu schockierend poppig, dann folgt aber ein von Gitarre und Gesang sowie sanften Keyboards getragener Refrain, der sofort ins Ohr geht. Erst dann setzen Bass und Drums ein. Gute Refrains gab es schon immer, sie waren nur entweder zeitlich weiter voneinander entfernt oder aber kamen deutlich häufiger im Song vor. Ganz anders Palm Full Of Crux: ebenfalls sehr poppig und fast kitschig mit den ganzen Holzbläsersounds – dann aber konterkariert von einem Text, der so düster ist, dass es einen erschaudern lasst. Die Texte sind für TMV-Verhältnisse alle ziemlich gut zu verstehen – Bixler-Zavala thematisiert u.a. die Vergewaltigung seiner Frau durch Danny Masterson und die Erfahrungen nach dem Verlassen von Scientology.

The Mars Volta machen noch immer spannende Musik, die man immer und immer wieder hören kann und jedes Mal etwas anderes gut findet. Aber ist das jetzt ein Masterpiece oder ist es Etikettenschwindel, dass dieses Album unter dem Namen The Mars Volta läuft? Das ist ganz klar ein The Mars Volta-Album und läuft völlig zurecht unter diesem Bandnamen. Darüber muss man eigentlich nicht diskutieren. Wer Erwartungen hatte und diese nicht erfüllt bekommen hat, muss das mit sich alleine ausmachen. The Mars Volta waren nunmal nie wie Bad Religion und das ist auch gut so. The Mars Volta waren schon immer eine Challenge zu hören, das hat sich definitiv nicht geändert – nur eben anders als sonst.

Ich jedenfalls kann derzeit nichts anders hören, sondern muss immer wieder auf Repeat drücken. Ob es mein Lieblingsalbum von The Mars Volta wird, muss sich zeigen. Frances The Mute ist für mich nach wie vor unerreicht. Aber das ist schon sehr, sehr gute Musik. Ob es ein Masterpiece ist kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Ich bin gespannt, ob ich das Album auch noch in drei Monaten höre. Könnte aber gut sein.

Text: Arne Krause

Die zweite Kritik findest du auf Seite 2

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Von Veröffentlicht am: 21.09.2022Zuletzt bearbeitet: 21.09.20221504 WörterLesedauer 7,6 MinAnsichten: 1156Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: , 0 Kommentare on KRITIK (4 Ohren): The Mars Volta – The Mars Volta
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Über den Autor: Arne Krause

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