Faber – Sei ein Faber im Wind

Faber – Sei ein Faber im Wind

Angenehm frischer Wind in der sonst recht versumpften, deutschsprachigen Singer/Songwriter Landschaft.

Der Zürcher Julian Pollina, wie Faber mit bürgerlichem Namen heisst, hat italienische Wurzeln, zählt gerade einmal 23 Lenze und mischt die deutschsprachige Musiklandschaft ordentlich auf. In Zeiten, in denen schmerzhaft aufgehipsterte Schmierfinken mit ihrem lyrisch völlig anspruchslosen Dämmerpop die Charts bevölkern, gibt es doch tatsächlich noch Hoffnung! Er sei mit sizilianischen Volksliedern aufgewachsen und liebt Chansons, Polka und Folk, was man ohne Zweifel in seiner Musik hört, zudem bilde ich mir ein, dass er von großen Künstlern wie Sven Regener (Element Of Crime) oder dem unvergessenen Rio Reiser eine Menge Inspiration bezogen hat. Für sein junges Alter klingt er sehr reif, singt zynisch und fast schon arrogant vom Leben, als hätte er das meiste bereits hinter sich. Er scheut sich nicht, zu fluchen und anzügliche Themen anzusprechen, er wirkt als sei es ihm letztlich völlig scheißegal, was andere von ihm halten. Und vor allem das macht Sei Ein Faber Im Wind so authentisch und so sympathisch.

Nach einer Ouvertüre, in der sich eine besoffene Trompete gegen nüchterne Artgenossen und ein wohlklingendes Barroompiano durchsetzt, zeigt uns Wem Du’s Heut Kannst Besorgen, welche Richtung das Fabersche Machwerk hier einschlage möchte. Kubanische anmutende Klänge, mit Bläsern, Klavier und karibischer Percussion, dazu Fabers verbraucht wirkende Stimme, kreieren hier ein laszives Gelage. Es geht um Verführung und Dekadenz, man ist geneigt ihm alles ungefragt abzunehmen, bis sich das Objekt der Begierde als Minderjährig entpuppt und man feststellt, mit welch zynischen Biss dieses Stück verfasst wurde. In Nichts flucht der Künstler munter weiter und die Feier wird auch musikalisch fortgesetzt, jetzt allerdings eher mit Gypsygitarre, Ragtimeklavier und jazzigen Anleihen. Im Refrain überschlägt sich Fabers Stimme und wirkt dabei ganz herrlich unperfekt. Er knurrt und brummt im wieder karibisch angehauchten Es Könnte Schöner Sein und beschreibt dort im Rahmen sommerlicher Musik seine eigene („Ironie im Text und schöne Harmonien“). Die ernsteren Seiten gibt es natürlich auch in den Songs junger Künstler, so wird Lass Mich Nicht Los, mit der tieftraurigen Pianospur und dem sehr präsenten Kontrabass zu einem angemessenen Hintergrund für die fürchterlich intensive, verzweifelte, zerrissene Stimme des Sängers und seinem lyrischen Dilemma („Lass mich nicht los! Lass mich nicht auf Dich los!“). Die zynische Seite bleibt allerdings nicht lange außen vor. Der höchst unmoralische Appell, sich nicht treu zu bleiben, seine Freunde zu verraten und die Seiten zu wechseln, kommt mit wunderbaren Melodien und dramatischem, von einem Bläserensemble veredelten Schluss und gehört zu den Höhepunkten des Albums. „Wenn Du dann am Boden bist, weißt Du wo du hin gehörst“, die zentrale Aussage von Alles Gute steht und spricht ganz klar für sich und führt uns musikalisch wieder ein bisschen Richtung Weltmusik, was allerdings ganz hervorragend dazu passt. Die sicherlich meisterhafte, künstliche Arroganz des Zürchers kehrt mit dem Gitarren-Chanson In Paris Brennen Autos wieder, der inhaltlich von der Unerträglichkeit des eigenen Seins berichtet und handwerklich dezent auf Waits‘ 80er-Triologie verweiset und dem bitterbösen Bratislava. Die slowakische Hauptstadt findet der Protagonist offenbar alles andere als erträglich und berichtet über professionelle Mädchen, die für ein wenig Geld blasen und sich ficken lassen und über die Hurensöhne, Faschisten und Nazifressen, denen er ihn diesem Drecksloch begegnet. Höchst rhythmisch wird hier das erste Viertel des Albums rezitiert, der Refrain zeigt sich als leicht irrer Pianopart. Hinsichtlich der sarkastischen Bösartigkeit Fabers wird der Vogel mit Wer Nicht Schwimmen Kann Der Taucht abgeschossen, in der er die Flüchtlingskrise aus der Sicht eines typischen AfD-Wählers schildert und auch seine Stimme erreicht hier ihre endgültige Qualität. Sicherlich erkennt nicht gleich jeder seine offensichtliche Empörung gegenüber eben dieses Menschenschlags, weshalb er sich wohl auch schon Kritik gefallen lassen musste.

Brüstebeinearschgesicht lässt zum ersten Mal die Nöte eines jungen Menschen erahnen und gefällt mit Hammondorgel und Tremologitarre und schmutziger Stimme auch außerordentlich gut. So Soll Es Sein ist recht unaufgeregter Gypsypop und führt zu einem der wirklich großen Moment des Werkes, dem Titeltrack. Das Gitarrenpicking erinnert stark an Leonard Cohens frühe Alben, der Text wirkt anfangs etwas banal. Worte wie „Rapper“ oder „Unterarmtattoo“ wollen nicht recht zur erwachsenen Musik passen und dass er die weggelaufene Liebschaft als Nutte bezeichnet, dürfte ihm Empörung vonseiten der üblichen Moralapostel einbringen, aber letztlich passt doch alles zusammen und man hat größte Freude ihm beim Schmachten zu zuhören.

Vinylfreunde können hier übrigens auch bedenkenlos zuschlagen, das Gesamtpaket ist überaus wertig und klingt hervorragend. Das Die-Cut-Cover mit den großen Polaroidkarten ist hier ein ganz besonderes Schmankerl.

Alles in allem ist Sei Ein Faber Im Wind ein besonders gut gelungenes Debut, dass sich vor allem lyrisch vom Rest der Singer/Songwriter Szene angenehm abhebt.

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Von Veröffentlicht am: 28.07.2017Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018835 WörterLesedauer 4,2 MinAnsichten: 907Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on Faber – Sei ein Faber im Wind
Von |Veröffentlicht am: 28.07.2017|Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018|835 Wörter|Lesedauer 4,2 Min|Ansichten: 907|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on Faber – Sei ein Faber im Wind|

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Über den Autor: Steffen Eggert

Ich bin 37, verheiratet, habe zwei Töchter, lebe in Bayern und bin im echten Leben Sozialpädagoge. Meine musikalischen Wurzeln liegen grundsätzlich im Bereich Indie, Punk und im klassischen Heavy Metal, bin aber eigentlich offen für alles, solange es gut gemacht ist...

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