Interview mit Timo Helmers, Veranstalter des VIVID Post-Rock Festivals

Interview mit Timo Helmers, Veranstalter des VIVID Post-Rock Festivals

Am 25. und 26. September fand in einem alten Kino in Kristiansand, Norwegen erstmalig das VIVID Post Rock Festival statt.

Ich habe den Veranstalter Timo Helmers zu einem Interview getroffen und er hat mir erzählt, wie er dazu kam, ein Festival zu veranstalten und welche Schwierigkeiten sich in der Organisation ergeben haben.

Timo, wie bist du nach Norwegen gekommen?

Ich bin wegen der Arbeit nach Norwegen gekommen. Ich komme aus einem kleinen Dorf, wo immer das gleiche passiert ist und ich wollte da mal raus. Dann bin ich zufälligerweise hier gelandet, als mich eine Frau von einer Agentur, die Arbeit im Ausland vermittelt, angerufen hatte und mir einen Job in Neuseeland angeboten hat. Aber mein Englisch ist nicht so gut und sie sagte, ich könnte dann ja erst mal in Norwegen arbeiten, um Englisch zu lernen. Und über eine dänische Zeitarbeitsfirma habe ich dann in Norwegen gearbeitet. Ich konnte aber nie den Gedanken an Neuseeland vergessen und irgendwann habe ich mir das Ticket gekauft. Und einen Monat, bevor ich abgereist bin, habe ich ein Mädchen kennengelernt. Dann bin ich für ein Jahr nach Neuseeland gegangen, sie ist mitgekommen, wir sind zusammengekommen und danach habe ich auch meine Sachen gepackt und bin hier in Norwegen mit ihr zusammengezogen. Ich habe durch sie dann viele Freunde gefunden, alle so aus dem Musiker- und Künstlermilieu. Irgendwann war dann Schluss und ich wusste nicht, ob ich bleiben oder wieder nach Deutschland ziehen sollte, aber dann bin ich da geblieben und habe irgendwann meine neue Freundin (Idunn) kennengelernt.

Dann erzähl uns doch mal kurz, was genau du beruflich machst.

Ich bin Bühnenbauer beim Theater. Eigentlich bin ich gelernter Zimmermann, aber diese Stelle habe ich im Internet gesehen und mich drei Stunden vor Bewerbungsschluss beworben. Beim Bewerbungsgespräch habe ich kein Wort verstanden, sondern immer nur genickt und ja gesagt und dann hatte ich die Stelle. Das war im Oktober 2010 und seit Februar 2009 lebe ich hier fest.

Und was macht deine Freundin beruflich?

Sie ist Medienentwicklerin und arbeitet eigentlich an der Universität in Oslo. Jetzt hat sie aber ein halbes Jahr frei gekriegt und nun schauen wir, wie wir alles machen wollen. Sie ist schwanger, im Januar kommt das Kind und dann müssen wir schauen, ob wir nach Oslo ziehen oder hier bleiben.

Also kurz gesagt kommt niemand von euch aus einem musikalischen Schaffenskreis, aber ihr habt vermutlich beide eine Leidenschaft für den Post-Rock?

Nein, Idunn mag das überhaupt nicht. Sie hat das am Anfang „Pling-Plong-Musik“ genannt, aber dann waren wir letztes Jahr beim Postfest in Århus – da kam auch die Idee für’s Festival – und sie war zwei Abende dabei und es hat ihr ganz okay gefallen. Gestern Abend hat es ihr aber auch ganz gut gefallen. Ich habe auch von zwei Leuten gehört, ich hätte ihnen die Augen geöffnet und ganz neue Musik gezeigt! Das war geil.

Also hast nur du deine Leidenschaft in der Musik?

Ja, also bis ich 12/13 war habe ich mir im Supermarkt irgendwelche CDs mit solchen Top 10 und so weiter gekauft. Irgendwann fiel meinen Freunden und mir dann ein Katalog vom „Lost and Found“ Mailorder in die Hände und die hatten eben Merchandise von Hardcore- und Punkbands. Und dann haben wir uns T-Shirts gekauft, die wir geil fanden wegen der Motive, kannten die Bands aber überhaupt nicht. Die Musik haben wir uns danach gekauft und es hat dann so mit Oldschool-Hardcore angefangen. Als die Phase irgendwann vorbei war, sind alle in unterschiedliche musikalische Richtungen gegangen und ich glaube, ich bin der Einzige gewesen, der so in die Richtung Indie Pop, Indie Rock und so gegangen ist. Ich weiß aber gar nicht genau, wie ich zum Post Rock gekommen bin. Ich glaube, ich habe irgendwann mal This Will Destroy You gehört. Und 2010 bin ich zum ersten Mal mit einem Kumpel zum dunk! gefahren und habe alle Bands angeschaut und war erstaunt, wie groß die Szene eigentlich ist.

Okay, also du eher Post-Rock, deine Freundin eher nicht so…

Genau, aber sie hatte eben Lust, ein Festival zu planen.

Und bei ihr steht dann auch das Konzept dieses Festivals, also die Verbindung von Musik und visueller Kunst, sehr im Vordergrund?

Ja, genau. Du hast sicher unseren Flyer gesehen mit dem Artwork von einem Menschen, der in so einer Maschine steht? Das hat ein Bekannter von uns gezeichnet. Das war eine Maschine, die irgendwann im zweiten Weltkrieg oder so gebaut wurde, die das Gehör verstärken sollte. Dann hat sich damit einer an den Strand gestellt und gehört, ob irgendwo Bomber angeflogen kommen. Das Motiv fanden wir sehr geil und dann haben wir auch die Schriftart dazu entwickelt und den ersten Flyer dann dieses Jahr auf dem dunk! verteilt.

Das heißt, es war Mitte Mai schon spruchreif. Wann habt ihr angefangen zu planen?

Wir haben Mitte Dezember angefangen. Wir haben viele Sponsoren, zum Beispiel von der Stadt. Die haben einen Kultur-Fond für junge Menschen, und von denen haben wir 15.000 Kronen bekommen. Dann hatten wir eine Förderung, die eigentlich dafür gedacht ist, norwegische Musiker ins Ausland zu bringen. Aber was viele nicht wissen ist, dass sie auch einen gewissen Betrag zur Verfügung haben, um den man sich bewerben kann, um Musiker aus dem Ausland nach Norwegen zu bringen. Den haben wir für 6LA8 aus Pakistan genutzt, um die hierher zu bringen. Leider gab es die Schwierigkeit, dass einer von den beiden kein Studentenvisum bekommen hat. Er will unbedingt in Malaysia studieren, weil er aus seinem Land raus will, und bei der Botschaft haben sie gesagt, er sollte lieber nicht fragen, wie es um seinen Antrag steht, weil er ihn sonst nicht bewilligt bekommt. Dann hatte er natürlich Angst, dass er da nicht studieren kann und deswegen konnte er nicht hierher kommen.

Ja, dann hatte ich eigentlich das Lineup schon komplett, alle Bands, die ich haben wollte, haben Ja gesagt, weil sie das Konzept auch so geil fanden. ColorLine hat sogar die Überfahrten für die Bands gezahlt. Wir sind eben nicht profitorientiert und wollen die Preise so gering wie möglich halten. Ich denke, das ist uns auch gelungen, zumindest für norwegische Verhältnisse. Mit dem Getränkelieferanten haben wir einen Deal, dass man uns 10.000 Kronen von der Rechnung erlässt. In Norwegen darf man nicht durch Reklame für Alkohol gesponsert werden, deswegen machen wir das alles über die Abrechnung. Und die ganzen Helfer arbeiten alle unentgeltlich.

Um nochmal zu den Bands zu kommen: Du hattest die Idee, Bands aus Entwicklungsländern zum Festival zu holen. Was war dein Plan dahinter?

Ich wollte denen einfach eine Bühne bieten. Zum Beispiel 6LA8 habe ich mal im Internet gehört und dann dachte ich mir, dass es interessant wäre, eine Band aus Pakistan herzuholen. Was denken sich Menschen, wenn sie hören, dass eine Band aus Pakistan spielt? Und dann haben wir von Music Norway den vollen Pott mit 24.000 Kronen bekommen, um die Band hierher zu holen.

Dann ist hier die Location natürlich auch sehr besonders, in diesem alten Kino. Und die meisten Gäste saßen ja auch gestern auf den Stufen.

Ich habe mich eigentlich schon ein bisschen darüber geärgert. Weißt du, wir haben sechs Stunden lang die Sitze ausgebaut und dann setzen sich trotzdem alle hin. Und ich weiß nicht, wie das bei den Bands angekommen ist, dass alle saßen, anstatt vor der Bühne zu stehen.

Aber es lädt eben dazu ein, es ist alles so gemütlich.

Das war auch genau unser Ziel. Dass wir eine Plattform bieten, die die Menschen zusammenführt, wo sich alle wohlfühlen und über die Musik reden. Gestern sind so viele Leute zu mir gekommen und haben gesagt, was das für ein geiles Konzept ist. Deswegen haben wir auch im Backstage-Bereich kein Bier stehen, damit die Musik nach vorne gehen und sich unter die anderen Besucher mischen müssen, wenn sie etwas trinken wollen. Aber wir versuchen auch, denen backstage ganz viel zu bieten, weil sie auch kein Geld für ihre Auftritte kriegen. Nur Tides from Nebula werden von einer Bank gesponsert und die Anderen kriegen nichts.

Okay, gestern war ja der erste Abend und findest du, das lief alles gut?

Technisch ist gestern einiges schiefgelaufen, aber am Anfang ist das alles immer etwas schwierig. Beim dritten Konzert lief dann alles schon besser. Da war der Sound gut, das Licht stimmte, und das ist für’s erste Festival doch schon mal gut.

Klar, das Festival findet zum ersten Mal statt, ihr seid alle noch nicht härteerprobt und dies ist quasi die Generalprobe für alles. Da habe ich als Besucherin noch keine Erwartung daran, dass alles sitzt. Bei Festivals, die seit 15 Jahren existieren, erwarte ich eher, dass Sound und Beleuchtung stimmen. Weil die es schon wissen müssten. Darum ziehe ich auch meinen Hut vor euch, dass ihr das dennoch so gut macht. Was sagst du denn zu den Besucherzahlen bisher?

Ich war gestern Abend enttäuscht. Eigentlich war es eine gute Anzahl an Leuten und alles war so gemütlich. Ich habe um die 100 Besucher geschätzt, dabei waren es nur 53 bezahlende Gäste gestern Abend. Das heißt, dass wir knapp 50 unter der Schmerzgrenze liegen. Deswegen kann ich auch nicht heute Abend auf die Bühne gehen und sagen, dass es nächstes Jahr auf jeden Fall wieder stattfinden wird. Aber wir machen es zum ersten Mal und die Stimmung ist gut und das ist das Wichtigste. Man kann im ersten Jahr nicht erwarten, dass das Festival ins Plus kommt. Nur haben wir eben auch Angst, dass es in die Hose geht und die Leute dann nächstes Jahr nicht wiederkommen.

Ich finde auf jeden Fall, dass ihr die Rahmenbedingungen für ein gutes Festival alle erfüllt habt. Die Frage ist eben nur, ob ihr nächstes Jahr wieder die gleiche Förderung bekommt, wenn dieses Jahr die Besucherzahlen nicht so sind wir erwartet?

Davon können wir natürlich nicht ausgehen. Wir müssen natürlich einen Lagebericht abgeben und dann werden wir sehen, wie es sich im Endeffekt auswirkt. Und wir hoffen natürlich auch auf das Feedback. Ich finde auch einfach, dass es ein schönes Hobby ist, ein Festival zu organisieren, auch wenn es viel Stress bedeutet. Wir haben viele private Sponsoren, die ich eigentlich nicht haben wollte, aber letztlich haben die keine Aktien hier drin und deswegen ist es mir auch egal. Die Community ist ja klein, aber vielleicht können wir es weiter verbreiten und die Leute haben vielleicht Lust, den weiten Weg hierher zu kommen. Wir hatten aber auch so ein Guerilla-Marketing gemacht, Idunn und ich. Das ging für zwei Wochen. Godspeed You spielen am 06. November in Oslo und dazu gibt es eine Veranstaltung bei Facebook. Und wir haben alle 900 Leute, die dazu eingeladen waren, persönlich angeschrieben und zu diesem Festival eingeladen! Und wir haben fast durchgehend nur positive Resonanz zu unserem Konzept bekommen. Und im Januar, nachdem wir die Bestätigungen für die Förderung der Bands bekommen haben, bin ich ins Hotel gegangen und habe für zwei Tage das ganze Hotel für die Bands gebucht. Als ich da rausgegangen bin, dachte ich nur, was mache ich hier eigentlich für einen Scheiß? Aber es ist alles schön und ich will gar nicht, dass es zu ende geht.

Danke Timo für deine Offenheit und deine Zeit!

Viel Spaß auch mit dem Festivalbericht und den Fotos!

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Von Veröffentlicht am: 06.10.2015Zuletzt bearbeitet: 09.09.20181926 WörterLesedauer 9,6 MinAnsichten: 941Kategorien: InterviewsSchlagwörter: , 1 Kommentar on Interview mit Timo Helmers, Veranstalter des VIVID Post-Rock Festivals
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Über den Autor: Lara Void

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