Metric im Interview
Gleißendes Licht und eine riesige Discokugel über dem Zuschauerraum – das kommt jedem entgegen, der am Nachmittag des 23. Oktobers vor dem Konzert von Metric die Kantine in Köln betritt. Wir haben mit Sängerin Emily Haines und Gitarrist James Shaw über ihre aktuelle Platte „Pagans in Vegas“, das mysteriöse nächste Album und das Musikbusiness geredet.
Emily Haines: Ziemlich gut, sie ist auch jetzt zu Ende.
James Shaw: In Europa jedenfalls, heute ist das letzte Konzert hier.
Haines: In einigen Tagen geht es dann mit der „Topaz Tour“ in Nordamerika weiter.
Shaw: Es war klasse! Das ist eine riesige Band, und für uns war das der weiteste Vorstoß in den Mainstream, den wir bisher jemals gewagt haben…
Haines: …was uns aber während dieser großen Support-Tour letztendlich wieder daran erinnert hat, wo unsere eigentlichen Wurzeln als Indie-Band liegen.
Shaw: Die Einflüsse waren eigentlich immer schon da, diesmal haben wir eben Synthesizer und Drumcomputer aus dieser Zeit benutzt; da kam der typische Sound natürlich früher oder später ganz von alleine. Anstatt es irgendwie in eine andere Richtung zu lenken, haben wir das dann aufgegriffen und ausgearbeitet. Dazu kommt noch, dass wir viele von den Bands, die du genannt hast, beim Aufnehmen auch selbst gehört haben. Klar, dass wir da viele Referenzen einbringen, denn wir zeigen unsere Einflüsse gerne.
Shaw: Das stimmt, „Fantasies“ und „Synthetica“ waren sich in gewisser Hinsicht relativ ähnlich, auch von der Produktion, dem Ethos und der Herangehensweise her. „Synthetica“ beispielsweise hatte ein übergeordnetes Konzept mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Wir wollen aber auch nicht immer wieder dieselbe Platte machen, deshalb haben wir nicht alle unsere Ideen einer einzigen Prämisse untergeordnet: Diesmal haben wir einfach getan, was wir wollten, und was sich gut und richtig angefühlt hat. Alles kam viel natürlicher, denn diesmal haben wir nicht von vornherein irgendeinen Ansatz ausgesucht. Wir haben uns selbst ja auch verändert, und das wollten wir damit ebenfalls zeigen.
Shaw: Da haben wir schon drüber nachgedacht, allerdings machen wir uns deswegen auch nicht verrückt. Ich finde, das schließt sich nicht aus, eine Platte ist ein ganz anderes Medium. Es wird anders gehört, es entsteht anders, es wird anders ausgeführt – es ist ein ganz anderer Kontext. Sobald das Album fertig ist, sind die Songs offen für neue Interpretationen, und wir haben zehn neue Möglichkeiten zu zeigen, was Metric live damit anstellen kann.
Haines: Letztendlich ist es bei jeder neuen Platte so, dass die neue Musik ein Teil des Live-Erlebnisses werden muss, denn darauf läuft es immer hinaus: Es sind die Konzerte, bei denen die Band wirklich aufblüht.
Shaw: Das ist tatsächlich einer der Vorteile, wenn man ein eigenes Label hat: Keiner kann dir erzählen, was du zu tun und zu lassen hast, und du kannst solche Entscheidungen auf den letzten Drücker fällen, wenn es dir passt.
Haines: Es ging in erster Linie darum, den Songs zu folgen und ihnen das zu geben, was sie brauchen: Diese Stücke und die von „Pagans“ sind im gleichen Zeitraum entstanden, aber es haben sich diese zwei verschiedenen Richtungen herauskristallisiert: Für die einen Songs wollten wir zum Beispiel weniger Live-Schlagzeug oder wir konzentrierten uns auf die Synthesizer, und das wurde dann zu „Pagans“; und bei den anderen haben wir überhaupt keine elektronischen Instrumente, sondern nur Live-Recordings, einen gänzlich organischen Sound: Viel mehr Klavier, und es wird orchestral und cinematisch. Diese beiden Seiten haben sich auf natürliche Art gebildet, weil wir die Herangehensweise von früheren Alben aufgebrochen und uns mehr Freiraum gelassen haben. Außerdem soll die Musik ja nicht eintönig werden und uns und dem Zuhörer Spaß machen.
Haines: Dafür habe ich ganz egoistisch gesagt zu viel Spaß mit „Pagans“ alleine. Ich möchte erst einmal alles aus dieser Platte mitnehmen. Das nächste Album wir dann einen ganz anderen Vibe und eine andere Show mit sich bringen, und das machen wir lieber getrennt. Außerdem kommt es mir im Jahr 2015 so vor, als wenn das zu viel Musik auf einmal wäre.
Shaw: Die Leute wollen so schon keine Platten bezahlen, da werden die erst recht nicht zwei auf einmal kaufen wollen. Man hört sich sowieso nur noch 38 Sekunden Musik am Stück an, da sind die meisten richtig überfordert, wenn man ihnen knapp zwei Stunden vorsetzt und sagt: „Hör dir das in einem Rutsch an und versuch es zu verstehen“, das ist zu viel auf einmal.
Haines: Und ich denke, mit zwei getrennten Platten ist es mehr wie ein kleines Geschenk, eine emotionale Reise, die sie mit uns bestreiten.
Haines: Sehr viel E-Mail-Verkehr. Das habe ich wirklich unterschätzt. (lacht) Es ist ein gewaltiger Job, den Jimmy, ich und noch eine Person da erledigen, wirklich allumfassend.
Shaw: Was das Musikbusiness seit jeher gemacht hat, sowohl positiv als auch negativ gesehen, ist dass sie den Bands und Künstlern Scheuklappen aufgezogen haben, sodass die keine Ahnung hatten, was um sie herum passiert. Das kann natürlich dazu führen, dass du einem Geschäftsmann vertraust, der dir all dein Geld klaut. Aber es kann auch den ganzen anderen störenden Scheiß ausblenden, damit du nur noch Musik schreiben kannst. Wir haben diese Scheuklappen nicht mehr, wohl oder übel. Oder besser: Wohl und übel. Es ist jedenfalls mehr Arbeit in allen Bereichen.
Haines: Sicherlich! Ich mochte die Idee, für „Pagans“ dieses unverfälschte Erlebnis für den Zuhörer zu kreieren, weil Musik oftmals als eine Art Köder benutzt wird, um dich woanders hinzuführen und dir irgendetwas zu verkaufen. Hier kannst du aber einfach nur hinhören und dich überraschen lassen, zum Beispiel durch Vorabstreams. In Zukunft wollen wir auf dem Wege auch Material bereit stellen, das nirgendwo sonst zu finden ist, sodass wir unser eigenes kleines Plätzchen haben, abseits vom omnipräsenten Internet…
Shaw: …und dem Einkaufszentrum, bestehend aus Youtube und Vevo und wie sie alle heißen. Niemand sollte in dieses Einkaufszentrum geschickt werden, nur um unsere Musik hören zu können.
Shaw: Das war niemals eine Sache, auf die ich sehnsüchtig gewartet habe, wohl eher das Gegenteil: Ich mag es nicht sonderlich zu singen, weil ich dann mehr Tee trinken muss (grinst rüber zu Haines, die gerade an ihrem Tee nippt). Ich habe einfach diesen Song geschrieben, und am Ende der Aufnahmen stellten wir fest: Da fehlt noch irgendetwas. Zu dem Zeitpunkt haben wir schon so viele Risiken in Kauf genommen, dass wir uns einfach sagten: Wir haben jetzt schon das komplette Haus über die Klippe geworfen, warum also nicht auch noch den letzten Stuhl?
Haines: Was für ein Schlusswort!
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