Nils Frahm im Interview 2012

Nils Frahm im Interview 2012

Anlässlich der Recording-Tour quer durch Europa gewährte mir ein äusserst höflicher und aufmerksamer Nils Frahm ein Interview im Backstagebereich des Kölner Stadtgartens.

Du bist 1982 geboren und gehörst zu den aufsehenerregendsten Musikern der neuen klassischen Musik. Geniesst du diesen Status?

Ich kann da ganz unbefangen natürlich ja sagen, wobei die neoklassiche Szene auch nicht besonders gross ist. Aber sie wächst stetig. Das es eine Szene gibt ist ganz hilfreich, dann können sich Leute orientieren.

Nach einer Ausbildung bei dem russischen Konzertpianisten Nahum Brodski gründest du das Durton Studio in dem vorwiegend analoge Technik zum Einsatz kommt. Erzähl doch einmal was über diese für dich bestimmt sehr aufregende Zeit.

Der Klavierlehrer Nahum Brodski unterichtete mich als 8 Jahre alt war, so ungefähr bis 14. Der Klavierlehrer war in sofern wichtig in dem er meine ganze technische Grundlage gelegt hat. Nahum Brodski wohnte damals in dem Ort in dem ich aufgewachsen bin. Brodski emigrierte damals in den 70ern nach Deutschland weil er politisch nicht konform war und landete in unserem Dorf. Er gab dort Hausfrauen Unterricht was natürlich für seine Begabung eine unglaubliche Verschwendung war. Er sprach kaum deutsch und so kommunizierten wir in einer eigenen Sprache. Er war ein phantastischer Lehrer, auch wenn die Zeit sehr hart war. Danach habe ich in Bands gespielt und verschiedene Sachen gemacht und habe dann Interesse an Aufnahmen bekommen. Schulgruppen aufnehmen auf Kassetenrekorder bis zum ersten Computer. Ich war dann immer derjenige der sich mit dem Mischpult auskannte. Zuerst habe ich ein kleines Studio für elektronische Musik aufgebaut und es später in ein professionelles Studio umgebaut.

Deine Konzerte sind intensiv, humorvoll und meditativ. Worin siehst du einen Unterscheid zwischen Rock und Klassikkonzerten?

Ich glaube Rockkonzerte sind dadurch geprägt, das sie navigiert werden von Individuen, die selbstbestimmt agieren . Sie sind Interpret und Komponist. Mit eigener Musik. Wenn eine Band nicht mit eigenen Stücken kommt ist sie eine Muckerband und das will keiner sein. Wenn eine Orchester komponierte Musik spielt ist es immer noch ein Orchester und es ist klassische Musik, das heisst der Komponist ist nicht anwesend in der Aufführung.

Ich habe gelesen dass Thom Yorke ein Bewunderer deiner Musik ist. Könntest du dir eine Zusammenarbeit mit Rockmusikern vorstellen und gibt es eine Band die du besonders magst?

Ich kann mir ganz bestimmt eine Kollaboration mit Rockmusikern vorstellen und Radiohead wären ein guter Anfang. Ich habe aber auch schon mit anderen Bands als Produzent gearbeitet, aufgenommen und mitgespielt. Die Produktion von Department of Eagles und Grizzly Bear ist sehr schön und meine Auffassung von Klang und wie man eine Rockband produzieren kann heutzutage.

Woher kommt deine Begeisterung für analoges Equipment?

Dadurch das es so ähnlich funktioniert wie Menschen, sie sind unberechenbar, haben ihr eigenes Feeling, ihr Leben und ihre Fehler. Die kann man natürlich zulassen und dadurch erkenne ich mich wieder in den Klängen die sie erzeugen. In digitaler Technik erkenne ich mich nicht. Ich mag digitale Musik sehr gerne, ich mag digitale Klangerzeugung oder digitale Produktionsaspekte für die Sachen die digital kann, nämlich digital klingen. Wenn Leute Digitaltechnik verwenden um analog zu “faken”, finde ich es natürlich furchtbar. Iphone Apps die auf Polaroid machen und der ganze Quatsch, das ist alles “Schizo”. Das sollte man eine richtige Kamera nehmen. Wenn man aber wie Alva Noto sehr digital arbeitet oder andere zeitgenössische, elektronische Komponisten die digitalen Aspekte wirklich offenlegt dann finde ich das sehr gut.

Kannst du mir 5 essenzielle Alben nennen, die dein Leben stark beeinflusst haben?

  • Arvo Pärt – Für Alina
  • Alva Noto with Ryuichi Sakamoto – Insen
  • Steve Reich – Music for 18 Musicians
  • The Penguin Cafe Orchestra – Music from the Penguin Cafe

Nils, ich schmeisse jetzt ein paar Begriffe in den Raum und du sollst so kurz wie möglich antworten.

Ok!

Kunst

Verderben

Freiheit

Verrückt sein

Olafur Arnalds

Ein guter Freund

Ai Wei Wei

Bewunderung

Berlin

Vergötterung

Musikblogs

Amusement

Richard Wagner

Seitenscheitel

Gema

Staub

Filmmusik

Stress

Geistiges Eigentum

Lüge

Die Klassik und der Jazz geben sich oft sehr elitär. Hinkt der Vergleich das Rockmusik nie diesen Stellenwert erreichen wird?

Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Musikalische Strömungen von einander zu trennen bringt keinem was. Man sollte die Verbindungen verstehen und aus der Musik die man hört das Interessante rausziehen. Alle großen Rockbands haben auch Musik gehört die nicht Rock ist. Kann ich Klavier auch nur so spielen weil ich auch Techno mag oder kann ich klassische Musik auch nur so spielen wie ich sie spiele? Deshalb hat für mich auch alles den gleichen Stellenwert.

Deine Musik wirkt nicht ausformuliert. Ist da eine Aufnahme oder ein Tonträger nicht ein zu enges Korsett und eigentlich nur die Bestandsaufnahme des Moments gleich einem Foto?

Genau! Die Fotografie ist ja sehr interessant auch wenn die Geschichte vor und hinter dem Foto natürlich weitergeht. Das Foto ist eine Kunst für sich und so sehe ich auch jede Aufnahme als Gesamtkunstwerk. Bei mir geht es nicht nur darum was ich spiele, sondern auch wie es klingt, wie es aufgenommen ist, wie das Cover aussieht. Das sind alles Disziplinen in denen ich mich übe und die mir auch gefallen als Rahmen oder Schablone. Klar sie ist 40 oder 50min. lang. Sie hat veschiedene Stücke. Es hat ein erstes und ein letztes Stück. Es gibt Pausen. All die Sachen engen einen ein aber sie inspirieren einen auch, den nur durch Beschränkungen wird man kreativ.

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg.

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Von Veröffentlicht am: 10.06.2012Zuletzt bearbeitet: 25.09.2022938 WörterLesedauer 4,7 MinAnsichten: 960Kategorien: InterviewsSchlagwörter: , , 2 Kommentare on Nils Frahm im Interview 2012
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Über den Autor: Volker Dickerhoff

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2 Comments

  1. gregorylent 12.06.2012 at 16:26 - Reply

    “intellectual property .. lie” yay!

    eagerly awaiting next album … lovely musical mind, fabulous to play in the art studio

    thanks for your work

    enjoy, gregoy

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