KRITIK: Lies – Lies

KRITIK: Lies – Lies

Der in Chicago lebenden Multiinstrumentalist und Singer-Songwriter Mike Kinsella ist einer der prägenden Impulsgeber der Ostküsten-Emo-/ Indie-Rock-Szene.

Ob mit seinen Bandprojekten Cap’n Jazz, American Football, Joan of Arc und Owls, um nur ein paar zu nennen oder mit seinem langjährigen Soloprojekt Owen, das ihn dank des Albums At Home With Owen und dem wunderbaren Song One Of These Days einem breiten Publikum bekannt gemacht hat. Neben Mike Kinsella gibt es in der musikalischen Familien-Chronik noch seinen älteren Bruder, Tim Kisella, der als Sänger erfolgreich ist und deren Cousin Nate Kinsella, der auch bei Joan of Arc dabei war und 2016 bei American Football das Schlagzeug übernommen hat.

Die drei Kinsellas haben schon in den unterschiedlichsten Konstellationen zusammengespielt und es gibt nun eine neue. Es ist das Projekt Lies, dass Mike Kinsella mit Nate Kinsella zusammen ins Leben gerufen hat. Ende März 2023 erschien nach insgesamt sechs vorab veröffentlichten Singles das selbstbetitelte Debüt-Album Lies mit 12 durchaus spannenden und zum Teil grundverschiedenen Tracks auf denen Mike und Nate Kinsella nahezu alle Instrumente selbst eingespielt haben.

LiesLies (Electric Blue with Orange & Red Splatter 2LP)

Beim Durchhören fällt eins besonders auf. Mike Kinsella ist immer Mike Kinsella, ob als Alleinunterhalter bei Owen, Kopf von American Football oder nun im Zwei-Mann-Projekt Lies. Vieles klingt wie aus einem Guss, aus einer Feder und ist es natürlich auch. Mike Kinsella ist ein wunderbarer Arrangeur und Komponist und weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss, damit ein Song so klingt, wie er klingen soll. Das ist auf der einen Seite gut, da es stets qualitativ gut gemachte Songs sind aber auf der anderen Seite fehlt es manchmal an überraschenden Momenten, die bei Lies Gottseidank ausreichend vorhanden sind. Ob das dem Einfluss von Nate Kinsella zuzuschreiben ist, darüber mag man sicher trefflich streiten, eins hat er jedenfalls erreicht. In fast allen Songs sind seine Drums und Percussions in vorderster Klangreihe repräsentiert.

Schon der als Single veröffentlichte Opener Blemishes ist sehr Drums und Percussions-dominiert aber ansonsten ein klassischer Owen-Track, mit diversen Tempo- und Stimmungswechseln. Was folgt ist die zweite Single-Auskopplung, der sicherlich schönste Song des Albums, die Ballade Echoes, die in der zweiten Hälfte von einem wunderbaren Saxophon-Solo geprägt wird, welches Jeff Tobias beigesteuert hat. Nach dem entspannten Song folgt eine weitere Single, der Track Corbeau, der sich nicht ganz entscheiden kann, ob er dahinschweben oder schwermütig sein soll. Mit Resurrection gibt es dann einen Song der ganz auf Nate Kinsella und seine Drum- und Percussion-Spielarten zugeschnitten ist und auch Broken, das ganz langsam beginnt, ist eine Ansammlung an Glockenspiel-, Zymbal- und Percussion-Parts. Eine Fingerübung und ein ausgefallener Song.

Mit Camera Chimera folgt eine weitere Single-Auskopplung und der wichtige Radio-Song des Albums, zu dem es auch ein interessant gemachtes Video gibt.

Mike Kinsella erklärt zu dem Song im Pressetext:

Camera Chimera handelt von den beängstigenden und oft lähmenden Nebenwirkungen der Interaktion und Existenz in den sozialen Medien. Es geht nicht nur darum, sich von anderen manipuliert zu fühlen, sondern auch darum, mit der Realität und den Konsequenzen der eigenen Lügen und Manipulation konfrontiert zu werden und wie es dich mental und emotional in eine Spirale bringen kann.

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Im Pressetext zu dem Video heißt es:

Unsere Inspiration für das Video begann mit der Bedeutung der Kreation des Songtitels, einem mythischen Mischwesen. Wir wollten, dass Nate und Mike durch die Linse des Betrachters im Laufe des Videos immer mehr verzerrt werden und eine hybride Form ihrer selbst werden. Dabei haben wir die analoge Technik des Druckens und Scannens tausender Einzelbilder verwendet, um die Verzerrung immer weiter zu verstärken und ein mysteriöses Lo-Fi-Visual zu schaffen.

Regisseurin Rachel Cabbit von POND Creative zu dem neuen Clip

Summer Somewhere, das ebenfalls als Single vorab veröffentlich wurde, beginnt mit vielen Violinen und ist ein langsam und virtuos dahinschwebender Track ohne besondere Höhepunkte, der in der zweiten Hälfte komplett zur Dauerschleife wird. Für eine Single eine sehr außergewöhnliche Auswahl. Der anschließende Track No Shame soll sicher eine Abrechnung mit den gesellschaftlichen Misständen sein, als Protest-Song ist der Track aber eher wenig inspirierend. Der mit sehr langem Vorlauf und eher schwermütig dahinkommende Track Rouge Vermouth ist ein intimer Song mit persönlichen Anklängen an verflossene Liebschaften und geht problemlos in die Owen-Sammlung über.

Der nahezu akustische Track Knife ist ein gutes Beispiel, wie Mike Kinsella seine oft sehr persönlichen Songs aufbaut. Man kann dem Song tatsächlich beim Wachsen und an Bedeutung gewinnen zusehen/zuhören, bis das Positive zum Ende ins Gegenteil umzukippen droht. Sympathetic Eyes ist ebenfalls auf wenige Instrumente reduziert und wirkt, wie der vorhergehende Song in dem ansonsten opulent ausarrangieren Album etwas fehl am Platz und baut zum Ende die gleiche Zerrissenheit auf wie Knife. Und auch der finale Track Merely, der auch mit verschiedenen Ton- und Sprach-Fragmenten arbeitet, passt nicht zu den neun vorherigen Songs.

Das bei Big Scary Monsters und Polyvinyl Record Company erschienene Album birgt ein paar echte Juwelen und ist insgesamt sehr gut hörbar. Leider fallen die letzte drei Songs mit ihren extravaganten Arrangements und Zusammenstellungen deutlich ab.

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Von Veröffentlicht am: 30.04.2023Zuletzt bearbeitet: 30.04.2023874 WörterLesedauer 4,4 MinAnsichten: 568Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: , , , 0 Kommentare on KRITIK: Lies – Lies
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Über den Autor: Richard Kilian

"Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik" Wer mit Stephen King, Charles Bukowski, Andrew Vachss und Elmore Leonard sowie Marillion, Cigarettes after Sex, Motorpsycho, The Jayhawks, Sufjan Stevens, Rush und God is an Astronaut etwas anzufangen weiß, der ist bei mir richtig.

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