Nine Inch Nails – Bad Witch
Die Hexe ist gelandet. Nein besser, sie fegt vorbei, speit tausend Höllenfeuer, ganz vorne am millimeterschmalen Grad zwischen Zeitgeist und zeitlos. Kopfhörer auf, Augen zu.
Vö: 22.06.2018 Caroline iTunes LP kaufenBei „Shit Mirror“ ist schon der Titel Grammy-verdächtig. Der Song schafft mühelos den Spagat zwischen den beißenden Gitarrenwänden der Nine Inch Nails EP „Broken“ und den eher Pop-orientierten Songs von „With Teeth“. Auch mit dabei: Das Saxophon. Ungewohnt in der eiskalten Industrialhölle von Nine Inch Nails ein so jazziges Instrument tröten zu hören. Aber davon später mehr. Und zwischen all dem Kratzen und Schreien ganz, ganz viel Melodie. Brettert insgesamt ganz hervorragend los.
„Ahead of Ourselves“ ist eine Kreuzung aus „The Perfect Drug“ und „Wish“. Drum and Bass auf Industrial. Man hat das Gefühl mit 250 km/h unterwegs zu sein. Vorsicht beim Autofahren, dieser Song wird Unfälle verursachen. Keine Pause, kein Halten.
„Play the Goddamned Part“ – Nine Inch Nails ode an die verzweifelten Kapellmeister und Bandleaderinnen dieser Welt, stampft ganz gehörig weiter. Das entrückt schillernde Saxophon-Netz, das schon in der Single „God Break Down The Door“ und nun im Opener ausgeworfen wurde, wird hier um ein Vielfaches enger gestrickt. Und im kurzen Atemholen in der Mitte des Songs wird überdeutlich, wie fantastisch handgemacht diese Platte ist. Nine Inch Nails sind ohne Frage eine Industrial-Band, mischen alles Elektronische mit Akustischem, was beim letzten Album „Hesitation Marks“ manchmal arg nach Loops und Programmiertem klang. Hier gibt es keinen Takt, der wie der nächste klingt.
„God break down the door“ hatte als Single noch eine gewisse Ratlosigkeit hinterlassen, das was irgendwie 90er Bowie, irgendwie Jazz, irgendwie alles. Macht aber im Albumkontext, textlich, musikalisch und dynamisch komplett Sinn. Geschwindigkeit halten, Verzerrung leicht bremsen, schön Saxophon: eigentlich eher ein Brücken-Song, als eine Single.
Und aller spätestens hier wird klar, dass diese Trilogie neben vielem anderen auch eine Verarbeitung Trent Reznors von David Bowies Tod gewesen ist. Über die Jahre hat er in vielen Interviews vorher die Vorbildfunktion Bowies für ihn betont, sprach nach dessen Tod davon, dass ein gemeinsames Projekt in Planung gewesen sei. Bowie und NIN tourten 1995 zusammen, zusammen schrieben sie „I’m afraid of Americans“. Der Verlust muss tief gesessen haben. Allein die ersten vier Songs von „Bad Witch“ platzen nur so vor „Blackstar“ Momenten, Bowies letztem Album.
„I’m not from this world“ ist instrumental, ohne Gaspedal, aber so atmosphärisch, ein Abendspaziergang allein damit auf den Ohren ist nicht zu empfehlen. Die Soundtrack-Gurus Reznor und der mittlerweile zum einzigen weiteren NIN-Stammmitglied beförderte Atticus Ross weben und treiben ein gnadenloses, fast schon doomiges Ungetüm an Klangkollage vor sich her, man kommt kaum aus dem freudigen Unwohlsein, das einen ähnlich am höchsten Punkt der Achterbahn erschleicht.
„Bad Witch“ ist anstrengend. „Over and out“, der Album-Closer kommt eingangs noch groovend und hüftenschwingend daher, wedelt ein wenig mit dem liebgewonnen Sexy Sax umher und zaubert einige Marimba-Momente aus dem Hut, wie man sie von dem Instrumental-Epos „Ghosts“ oder dem fantastischen „The Social Network“ Soundtrack kennt. Und dann ist sie da wieder: die schon aus „God Break down the door“ bekannte, aber eben so unbekannte Stimme Reznors. Kein Schreien, kein Flehen, aber voller Gefühl. Viel mehr Bowie als Brachial. Der Beat, die Basslinie, alles legt sich um die Stimme, um die Ohren, groovt, die Noisewände wachsen an, alles schwebt.
Abheben in Richtung Ziggy. Der sitzt auf seinem Sternenstaubplanet, lächelt freundlich auf uns runter, wohl wissend, dass da jemand ist, der die Fahne der Freaks hochhält und die Fanfare dazu auf seinem Saxophon bläst.
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