BERICHT: Denovali Swingfest | Samstag, 05.10.2013, Weststadthalle Essen

BERICHT: Denovali Swingfest | Samstag, 05.10.2013, Weststadthalle Essen

Man muss Denovali und insbesondere seinem Chef Timo Respekt zollen. In der heutigen Zeit so ein Wagnis einzugehen und ein 4tägiges Event aufzuziehen, das sich hauptsächlich experimenteller Musik verschreibt, ist aller Ehren wert.

Nach einer kurzen Nacht (vormittags hatte ich noch einen anderen Termin) ging es dann am Samstag schon etwas früher los. 14:30 standen Witxes auf der Bühne. Zu der Zeit war ich selbst noch unterwegs auf der Landstraße. Einen langen Tag vor Augen und nach den Erfahrungen mit dem Catering vom Vortag musste erstmal der Supermarkt meines Vertrauens für den notwendigen Proviant besucht werden. Dadurch verpasste ich viel von dem französischen Ein-Mann-Projekt. Dem Vernehmen nach soll es bis zu meinem Erscheinen 1 1/2 Songs vor Ende schon sehr stimmungsvoll zugegangen sein, der Höhepunkt entlud sich aber im letzten Song. Im Gegensatz zu den vielen Wohlklänglern vom Freitag schaffte Witxes es, richtige Strukturen in den Song zu bringen. Behutsam wurden die Layer aufgetürmt, um am Ende in einem Gewitter von White Noises und vielen schönen Sounds zu explodieren. Dazu gabs simple Rhythmen wie man sie z.B. von Wolfgang Voigts Gas kennt. Man hatte trotz der ambientösen Grundstimmung wirklich den Eindruck, das rockt. Das abrupte Ende und die plötzlich eintretende Stille verstärkten den Eindruck nur. Selten zuvor hab ich meinen empfindsamen Gaumen so verteufelt. Davon hätte ich gerne mehr gesehen und mich nicht auf Nahrungssuche rumtreiben müssen.

Aun konnten an diese Eruption nur teilweise anknüpfen. Das kanadische Duo zielt musikalisch in eine ähnliche Richtung. Man merkt auch hier, daß beide Musiker etwas von ihrem Job verstehen. Es trübten weder eine Lieblosigkeit wie bei Barn Owl und Saffronkeira noch Kitsch wie bei Biosphere und Deaf Center das Hörvergnügen. So ganz zwingend war der Auftritt dann leider doch nicht. Monsieur Dumais wirkte auch anschließend in der Merch-Ecke nicht ganz glücklich. Dennoch geht das Ganze dann doch eher auf die Habenseite.

Als nächstes stand Poppy Ackroyd auf dem Plan. Was gibts da zu sagen? Eine Frau, ein Klavier, eine Geige und eine Loopmaschine. Viel Geklimper, hier und da Gefidel, Geplöckel auf dem Klavier und das ganze dann relativ straight aus der Loopmaschine abgespielt. Das hatte keine Dichte, keine Stimmung und innovativ geht auch anders. Das hatte mehr Kleinkunstcharakter und wird dem wenig Experimentalmusik affinen Gymnasiallehrer aus Castrop Rauxel noch ein „ach, das ist ja interessant“ hervorlocken, micht hats einfach nur gelangweilt und zwar zutiefst.

Ganz anders gestaltete dann das Dale Cooper Quartet & the Dictaphones seinen Auftritt. Mit Spannung konnte man erwarten, wie denn das gerade auf Denovali erschienene neue Album „Quatorze Pièces De Menace“ umgesetzt werden würde. Hierbei handelt es sich nämlich um einen heißen Anwärter auf den Titel Platte des Jahres. Alle 6 Musiker (das Quartet plus Sänger und Sängerin) wirkten auf der Bühne hochkonzentriert und vor dem ersten Ton bereits sehr bedächtig. Als dann das Saxophon mit seinen ersten mehr gehauchten Tönen einsetzte, fiel man innerlich in eine Art Andacht. Die Bewegungen der Musiker auf der Bühne wirkten wie in Zeitlupe passend zu den ultralangsamen Beats aus der Konserve. Das Programm war gemischt mit alten und neuen Songs, aber alles wirkte wie aus einem Guss. Das Saxophon blas melancholische Darkjazz Melodien zu den Zeitlupenrhythmen, was zusammen stark an Bohren & der Club of Gore erinnerte. Wo Bohren aber sehr in ihrem Sound gefangen sind, lockert unser Spezialagenten Quartett den Sound immer wieder mit postrockigen Gitarren und clubbigen Bassläufen auf. Dazu die beiden fantastischen Vocalisten. Die dunkel melancholischen Songs, die teilweise schon stark vom Sound her in den Dark Ambient gingen, wurden wundervoll ergänzt durch die sanfte dunkle Stimme des Sängers. In anderen Songs kam die junge Dame ans Mikro und lieferte sich mit dem Saxophon eine Art Duell. Das war kein Miteinander sondern eher eine Art Kampf. Wobei das nicht im Sinne von Disharmonie und Feindschaft zu sehen ist, es war mehr ein inszenierter Kampf. Mal wich der eine aus und gewann der andere die Oberhand, mal der andere. Das baute während der unglaublich harmonischen Performance eine ungeheure Spannung auf, ohne aber die Harmonie zu zerstören, sondern vielmehr um sie noch zu unterstreichen. Alles zielte auf diesen einen Punkt am Ende (Brosme en Dos-vert) hin, als das Ganze dann in ein postrockiges Soundgewitter der beiden Gitarren gipfelte, das dem Abschluss eines Sigur Rós Konzertes, wenn das Soundgewitter von Popplagið ertönt, ähnelte. Bezeichnenderweise wurde hier auch wie bei den Isländern die Gitarre mit einem Geigenbogen bearbeitet. Insgesamt das Highlight des Samstages und die Gewinner des Festivals, nicht nur, weil die Songs live noch besser umgesetzt und in einen noch spannenderen Zusammenhang gesetzt wurden als auf Platte. Pure Begeisterung, die das Publikum offensichtlich teilte. Daran können auch die kurzfristigen Soundprobleme nichts ändern. Für mein Empfinden war das das am euphorischsten gefeierte Konzert an den beiden von mir erlebten Tagen.

Nach so einem Auftritt hatten es Floex natürlich schwer. Aber es lag nicht an der Reihenfolge der Bands, daß hier so gar kein Funken übersprang. Die sehr poppigen, in Richtung Trip Hop gehenden Sounds hätten auch an anderer Stelle nicht funktioniert. Die Zeit für so etwas ist schon lange vorbei. Noch dazu wirkte das alles auch sehr unoriginell. Totalausfall Nr. 2 am Samstag.

Bei meinen letzten beiden Ausgaben des Swingfestes waren Omega Massif jeweils die Highlights. Vorletzte Band am Samstag um 22 Uhr bedeutet dann wohl auch, daß man Headliner ist. Die Spannung ist also immens. Nach den ersten Tönen wird aber klar, daß heute alles irgendwie anders läuft. Die Band wirkt irgendwie nicht sonderlich motiviert. Technische Probleme und der Duft von verkokelter Elektronik zwingen sie dann nach 3 vergeblichen Anläufen von der Bühne. Das Publikum zeigt sich mehr als verständnisvoll und gibt sich als Motivator. Kein Song konnte regulär zuende gespielt werden, die Leute feiern die Band aber frenetisch. Hinterher spricht man von einem Wasserschaden hinter der Bühne.

Kurzentschlossen ziehen die Veranstalter nun Tim Hecker vor. Nach den Erfahrungen mit Biosphere am Vortag erwarte ich trotz Heckers famosen Veröffentlichungen nicht viel. Umso großartiger ist dann aber Heckers Performance. Eigentlich geschieht auch nichts anderes, als daß ein Mann aus seinem Laptop ambientöse Laute herauslockt. In Wahrheit passiert viel mehr. Oberflächlich klingt das alles irgendwie digital, leicht unterkühlt, aber wenn man genau hinhört, erkennt man, daß fast alles, was man hört, lediglich digital bearbeitete Analogsounds sind. Dieser Kontrast ist es auch, der den surrealen Charakter Heckers Musik ausmacht. Man meint Glockenspiele, Klaviere usw. zu erkennen, aber irgendwie klingt doch alles wie nicht von dieser Welt. Zudem ist Hecker auch noch ein kompositorisches Schwergewicht. Wie er die Sounds anordnet, auftürmt, wieder einstürzen lässt, das ist fantastisch. Besonders zu erwähnen ist noch, daß es diesmal nicht nur keine Soundprobleme gibt, sondern im Gegenteil, es ist alles glasklar zu hören. Teilweise ein Verdienst von Hecker selbst, aber auch der Mix im Saal lässt diesmal keine Wünsche offen. Das richtige Wort hierfür wäre vielleicht „brilliant“. Völlig aus den Socken gekloppt, gehts wieder ins Foyer, um im Gespräch erst einmal zu versuchen, das Gehörte irgendwie einordnen zu können.

Daß es danach noch einmal mit Omega Massifs zweitem Versuch weitergehen könnte, ist erstmal noch unklar. Allerdings ist eine gewisse hektische Betriebsamkeit zu spüren. Der im Publikum anwesende N verleiht noch sein gerade beim Gitarristen von Dale Cooper erworbenes Effektgerät an Omega Massif und dann hört man auch schon wieder einen Soundcheck. Omega Massifs zweiter Versuch. Das mittlerweile stark dezimierte Publikum hat so richtig Bock und feiert die Band wegen ihrer Unerschütterlichkeit. Noch leicht verunsichert legen die Vier auch gleich los, diesmal ohne die „Unglückssongs“ vom ersten Versuch. Im Zuschauerraum wird heftig gefeiert und die Jungs verlieren so langsam alle Hemmungen. Der (kann man das so sagen?) Leadgitarrist wirbelt seine Gitarre durch die Luft und geht völlig aus sich raus. Er scheint richtig Spaß an seiner neuen Gerätschaft zu haben. Das wirkt nicht mehr nach der Routine, die man noch zu Anfang ihres ersten Versuchs verspüren konnte. Es klingt auch nicht mehr nach den bekannten Omega Massif. Direkt vor der Bühne klingt das mehr nach einer 90er Jahre Noisrock Combo. Die Songs sind irgendwie die selben, aber Omega Massif sind für den Abend nicht mehr die selben. Nach knapp 50 Minuten Spielzeit ist dann alles vorbei. Fast alles, denn die Zuschauer feiern die Band so lange, bis sie noch zwei Songs Zugabe raushauen. Kurz vor 2 Uhr morgens ist dann das Swingfest 2013 für mich vorbei.

Man muss Denovali und insbesondere seinem Chef Timo Respekt zollen. In der heutigen Zeit so ein Wagnis einzugehen und ein 4tägiges Event aufzuziehen, das sich hauptsächlich experimenteller Musik verschreibt, ist aller Ehren wert. So sahen das sicher auch die meisten Zuschauer. Insgesamt blickte man überwiegend in zufriedene Gesichter und auch die vielen ausländischen Gäste (ich habe einen Russen, einen Schotten, einen Schweden, diverse Holländer und sogar einen US-Bürger bemerkt) haben ihre lange Anreise sicher nicht bereut. Das Swingfest lebt auch von den schönen zwischenmenschlichen Begegnungen der meist völlig entspannten unterschiedlichsten Leute. Auch wenn nicht alle Bands zwingend waren und bei so vielen Acts auch immer wieder mal wer dazwischen ist, der am eigenen persönlichen Geschmack vorbei geht, auch wenn die Lokalität nur begrenzt Charme versprühte, das Catering deutlich verbesserungswürdig ist, so bleibt am Ende doch ein absolut positives Fazit zu ziehen. Ein tolles Wochenende, von dem ich mich noch 2 Tage lang erholen musste.

<3 Timo, <3 Denovali.

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Über den Autor: Sibylle Bölling

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