Das war 2015 – Rückblick der Autoren: Sibylle Bölling
Das war 2015, das Jahr des Liebesüberschusses. In keinem Jahr zuvor hab ich mich so viel mit Musik beschäftigt wie in diesem. Dementsprechend viele neue Musik gab es zu entdecken und zu lieben. Von diesem Übermaß an Liebe möchte ich hier an dieser Stelle gerne etwas abgeben.
Top 20 Alben:
1. Lawrence English – The Peregrine
Ja, das ist eigentlich ein Rerelease des Albums von 2011, aber da das Werk zum ersten Mal auf CD und als mp3 erhältlich ist, zudem noch einen neuen Track enthält und ich das gute Stück auch erst durch den Rerelease kennengelernt habe, gilt das für mich als 2015er Release.
Die 1 in einer Topliste ist auch immer ein Ausrufezeichen, in der Regel ein Werk, das nach Jahren noch bewegt, gegebenenfalls sogar ein Album für die einsame Insel. Letzteres ist The Peregrine vielleicht nicht, aber kein Album hat dieses Jahr mehr Gefühlskirmes in mir veranstaltet als dieses und keines hat mich buchstäblich mehr an einen fremden Ort, in ein fremdes Leben mitgenommen.
The Peregrine basiert auf dem gleichnamigen Buch von John Alec Baker. In diesem Buch beschreibt Baker das Leben eines Wanderfalken (peregrine) in poetischen Worten. English ließ sich von diesem Werk, das wohl auch eines seiner Lieblingsbücher ist, inspirieren und hat einzelne Kapitel, die in Form von Tagebucheinträgen daher kommen, in Klanglandschaften verarbeitet. Genau wie die Distanz zwischen Vogel, Autor und Leser verschwindet, wie man erst meint, der Autor flöge selbst über die ostenglische Landschaft und man am Ende sogar selbst das Gefühl hat, der englische Regen fiele auf die eigenen Schwingen, der kalte Wind, der über das Meer die steilen Klippen hinauf bläst, trägt einen selbst in schwindelerregende Höhen empor, so entsteht dieses Gefühl ebenfalls beim Hören des Albums. English erreicht das durch seinen bekannten Stil, sich aufschichtende Flächen, herzzerreißende Melodien, eine unfassbare Dramatik innerhalb der Songs. Permanent hat man das Wort „majestätisch“ im Kopf. Und Schönheit, nicht im Sinne kitschiger Naturverklärung sondern einfach in dem Sinne, so wie es ist, ist es gut, alles ist rund, man kann das nicht besser machen. Auch hier verschmelzen Natur/Vogel, Autor, Musiker, Hörer und Leser quasi zu einer Einheit. Somit ist die 1 des Jahres 2015 mehr als verdient.
2. Troum & Raison D’Être – De Aeris In Sublunaria Influxu
Absolute Lieblingsband (Troum) tut sich mit Nr.1 des Vorjahres zusammen zu einer Kollaboration. Was soll denn da anderes rauskommen als ein fantastisches Album? Und ja, das hat hingehauen. Ähnlich wie bei der älteren Troum/Yen Pox Kollaboration geht es hier extrem duster zu Werke. Wer sich nur ein wenig mit beiden Projekten auskennt, hört in allen Songs die Anteile raus, wer da für was zuständig sein mag. Die verhallten, riesigen Soundkathedralen und der industrialmäßig geräuschige Teil von Raison d’être im Kontrast zu den warmen Melodien und den typischen organischen Drones von Troum. Zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Dusternis der in den Katakomben des Unbewussten verschollenen Dinge akustisch etwas Licht zu bringen. Zusammen wirkt das wie Andersens Märchen der Schneekönigin, die in ihrem Eispalast Seelen einfriert, die nur durch die Liebe einer extremst warmherzigen und freiheitsliebenden Person wieder aufgetaut werden können. So verschmilzt das ganze nicht nur gefühlsmäßig zu einer Einheit, auch soundmäßig werden die einzelnen, klar erkennbaren Anteile aufs innigste verwoben. Man gewinnt den Eindruck, hier hätte ein eingespieltes Team das x-te Album zusammen kreiert. Das ist inspirierend und fördert bei jedem Hördurchgang immer wieder etwas Neues ans Tageslicht, sowohl soundtechnisch als auch aus den eigenen Gefühlskatakomben. Troum und Raison dêtre, das Yin und das Yang des Unbewussten.
3. Leila Abdul-Rauf – Insomnia
Ähnlich wie letztes Jahr Ian William Craig rutscht kurz vor knapp eine Ambient Produktion in die Topliste von einer Künstlerin, die ich vorher noch überhaupt nicht auf dem Zettel hatte, mich aber im Hieb mit ihrem sehr eigenen Sound begeistert.
Es geht, wie man dem Titel entnehmen kann, natürlich um Schlaflosigkeit, um eine durchwachte Nacht. Das wird schon beim Durchlesen der Tracklist klar. Wir starten um Mitternacht (Midnight) und sind am frühen Morgen (Dark Hours of Early Morning) immer noch Zeugen dieser durchwachten Nacht. Die Müdigkeit lullt uns ein, wir driften gedanklich weg, lassen in unseren Gedanken alles zu und nehmen nur noch verhuscht, wie durch eine Kamera, über deren Objektiv ein faltiger Damenstrumpf gelegt wurde, wahr. Im Sound wird das wiedergegeben durch viele verhallte Instrumente wie Gitarren, Klavier, Trompeten und elfenhafter Gesang. Das Meiste wurde von der Künstlerin, die hauptamtlich eigentlich Gitarre in diversen Extreme Metal Bands spielt und eine zeitlang auch bei Amber Asylum musizierte, selbst eingespielt. Der Gesang beim Höhepunkt Pull wurde von Leilas Mutter Kat Young beigesteuert. Vielleicht der Versuch, durch eine Art Wiegenlied doch noch in den Schlaf zu kommen?
Ein Album, das viele tatsächlich dem Dark Ambient zuordnen würden, Ambient ist es, von seiner Stimmung her auch eher dunkel. Aber die Schlaflosigkeit wird hier nicht als Bedrohung dargestellt, sondern irgendwie mehr als eine andere Art des Erlebens. Dunkelheit nicht im Sinne von drohender Gefahr dadurch, daß man nicht sieht, nicht im Sinne von fehlendem Licht, sondern die Dunkelheit, die durch die Schönheit des Mondlichts durchbrochen und eine eigene, besondere Ästhetik bekommt.
4. Rafael Anton Irisarri – A Fragile Geography
Neuerdings bezeichnet man Irisarris Sound und auch den der Kollegen Lawrence English und Tim Hecker wohl als Power Ambient. Irgendwie eine ziemlich bekloppte Bezeichnung, aber als Schublade okay. Das ist auch mal wieder Ambient, aber wenig vor sich hindümpelnd, wie man das der Mehrzahl der Kollegen vorwerfen muss, die sich im Schönklang ihrer Kompositionen aus Klavier/Streichern und Synthieflächen aalen und einfach nicht vorwärts kommen. Nein, was Irisarri da macht, das hat Eier, das geht trotz des flächigen Charakters extrem nach vorne. Da wird geschichtet und angehäuft und Melodiebögen angespannt, bis es fast schmerzt und am Ende verliert sich alles in einem katharsischen Wohlklang. Einfach meisterhaft. Anspieltip: Empire Systems, einer DER Songs des Jahres.
5. Natural Snow Buildings – Terror’s horns
Da ist es wieder, das französische Psychedelic Dronefolk Duo. Ihr 2013 wiederveröffentlichtes Album The Snowbringer Cult hat mich damals aus den Socken gehauen. Das war das reinste Hitfeuerwerk und in dem Jahr nicht umsonst als zweitbestes Album noch vor dem damaligen Release meiner Lieblingsband Troum plaziert. So konsequent hittig gehts diesmal nicht zu, aber dafür noch ein wenig verspulter. Hits gibts aber mit dem eher psychedelisch-folkig gehaltenen „Sun Tower“ und dem eher ambient-dronigen „The Rising Portal“ dann auch noch. Insgesamt so spannend und visionär, daß ich das nächste Album jetzt schon kaum erwarten kann.
6. Piiptsjilling – Slieperswaar
Eine knapp 20minütige EP des Projektes um die Kleefstra Brüder Romke und Jan (u.a. Alvaret Ensemble) und Rutger Zuydervelt (Machinefabriek). Aufgenommen wurde das Ganze beim zweiten Moving Noises Festival in der Bochumer Christuskirche im Februar 2015. Für mich eines der beeindruckendsten und emotionalsten Konzerte seit langem. Die sehr leisen, knisterig-geräuschigen Parts von Rutger treffen auf eine dronige, aber sehr dezente Gitarre. Dazu spricht Jan Kleefstra seine in Nordfriesisch (das ist kein holländischer Dialekt, sondern eine eigene Sprache) verfassten Texte mit seiner warmen, sympathischen, sehr ruhigen und bedachten Stimme. Das Ganze strahlt so eine unfassbare Friedfertigkeit aus, so eine Schönheit, so eine Ruhe. Der Puls fährt auf ein Minimum runter, man fühlt sich wie ein Murmeltier im Winterschlaf, umgeben von Artgenossen, die einen vor von außerhalb des gemeinsamen Baus drohender, allzugroßer Kälte, schützen.
7. Cataya – Sukzession
Postrock im Jahre 2015? Da sollten eigentlich alle Messen gelesen sein. Es scheint so, als ob sich jeden Monat hunderte von neuen Bands gründen und alle klingen irgendwie gleich. Ein bißchen Indie, ein bißchen Rock, die typischen Gitarrensounds und ein wenig laut/leise Dynamik, aber nicht zu viel, wegen der Massenkompatibilität. Dankenswerterweise gehen Cataya diesen Weg nicht. Hier herrschen wirklich noch die Extreme. Geradezu ambientösen Passagen, die genauso von ihren geographischen Nachbarn O stammen könnten, folgen extrem brachiale Passagen, die teilweise schon fast eine Black Metal Dynamik aufweisen oder extrem groovy daherkommen. Referenzpunkte hier Omega Massif bzw. auch Phantom Winter. Und als Sahnehäubchen wird das alles dann auch noch mit herzerwärmenden Melodien verziert, die man in der Qualität so auch selten hört. Das wirkt alles so höchstprofessionell, so abgezockt (im positiven Sinne), weil scheinbar jeder der Musiker genau weiß, wie er seinen Teil zu einem perfekten Song beitragen kann und dabei reden wir hier von nem Debutwerk. Wenn die alten Hasen Russian Circles die Platte hören sollten, dann lösen die sich auf, weil sie dieses Niveau, diese emotionale Achterbahnfahrt so niemals hinbekommen werden. Mehr Herzblut steckte selten in einer Postrock-Scheibe.
8. BARST / RM74 / Treha Sektori – Tri Muerti
Erschienen auf Consouling Sounds, Gent. Church of Ra? Jawollja. Zumindest was Treha Sektori anbelangt. Dehn Sohra alias Treha Sektori brillierte bereits an der Seite von zwei Amenra Leuten als Sembler Deah und ist auch als Layouter und Produzent am Debutalbum von van Eeckhouts Soloprojekt CHVE beteiligt. Somit wäre dann auch schon die Schlagrichtung genannt, in die das Dreigestirn geht. Ritual Ambient, Dark Ambient, mit Industrial-Einflüssen und dronigen Gitarren. Sehr getragen, feierlich, rituell eben. Dabei aber gänzlich unpathetisch. Musik, die man gerne in optisch passendem Ambiente wie Kirchen, alten Konzerthallen etc. hören mag. Kern des Albums ist sicher der 25minütige Einstiegssong namens Tu Nel. Die Zeit sollte man sich wirklich einmal nehmen.
9. Myrkur – M
Eine Weile war es ein Geheimnis, wer hinter dem Projekt Myrkur steckt. Mittlerweile weiß man, es ist die Dänin Amalie Bruun, die bis dato eher durch seichten Pop und mit ihrer Indieband Ex Cops aufgefallen ist. Und jetzt auf einmal Black Metal? Kann das gutgehen? Und wie. Last.fm sagt, daß das mein meistgehörtes Album des Jahres ist. Und in der Tat, man wird nicht müde, dieses abwechslungsreiche Werk immer wieder zu hören. Amalie schafft es eine sanfte Klavierballade, wüstes Black Metal Gekeife, Anleihen beim Folk bzw. Vikingmetal unter einen Hut zu bekommen und zwar so, daß es nicht ausgelutscht nach Frau macht jetzt mal ein bißchen Metal klingt, sondern wirklich wie ein sehr eigenständiges Werk mit viel Herzblut. Freunde von norwegischem Lo-Fi-Kirchenbrandstifter-Black Metal kommen hier sicher nicht auf ihre Kosten, Menschen, die genauso open minded an Musik herangehen wie Frau Bruun, mit Sicherheit.
10. Ufomammut – Ecate
Ufomammut sind alte Helden. Ihr einzigartiger Stoner/Sludge/Doom Sound hatte zuletzt aber leider etwas an Biss verloren. Ich persönlich hatte die Band sogar schon aufgegeben und Ecate erst komplett missachtet und erst durch Zufall für mich entdeckt. Und was soll man sagen, hell yeah, they’re back. Es wird wieder kompromisslos auf die Instrumente eingedroschen, die Songs nach vorne geprügelt, die endlich wieder prägnanten Riffs runtergeschrubbt wie nix Gutes. Man kann gar nicht anders als die 45 Minuten Spielzeit dauermoshend durch die Bude zu hüpfen. Soviel Spaß haben mir bisher nur die beiden ersten Ufomammut Alben gemacht und die sind echte Klassiker. Live wird das sicher mal so richtig derbe.
11. Stephan Mathieu – Before Nostromo
Grandioses Konzept! Nostromo ist der Name des Raumschiffs im Sci-Fi Filmklassiker Alien. Die Besatzung der Nostromo incl. des Bordkaters Jonesey wird für den langen Rückflug zur Erde in einen Kälteschlaf versetzt und wird zu Beginn des Films vom Bordcomputer wegen eines vermeintlichen Notrufs aufgeweckt und die Handlung beginnt. Der aus Saarbrücken stammende Soundartist Mathieu setzt vor diesem Not- und Weckruf an und vertont die Träume der im Kälteschlaf befindlichen Besatzung incl. den des Bordkaters und den des Androiden Ash.
Auf der Bandcamp Seite findet man einen Hinweis zur Instrumentierung: Nine pieces for piano, gongs, shortwave receiver, tape loops and entropic processes. Heraus kommt dabei ein surreales Werk moderner Soundart. Wie auch der Film selbst ganz großes Kino.
12. Spectres – Dying
Meine Sommerplatte. Das Ding hat mich durch die viel zu wenigen warmen Tage des Jahres begleitet und ganz viel gute Laune erzeugt. Astreiner Noiserock. Die Burschen haben mit Sicherheit mehr als einmal in ihrem Leben frühe Sonic Youth gehört (EVOL bis Daydream Nation). Selbst den nicht ganz so überragenden Sänger hält man gut aus, ist man so etwas doch auch schon vom großen Vorbild gewohnt.
13. Westkust – Last Forever
Sonnenschein, Glücklichsein. Schwedische Shoegazer-Band mit sommerlichen Melodien und punkiger Attitüde. Leider hab ich Last Forever bei Erscheinen irgendwie keines Lauschers gewürdigt. Der Sommer wäre ein einziges „Ferien auf Saltkrokan“ geworden. Normalerweise bin ich raus, wenn Melodien zu sehr im Vordergrund stehen, weil es dann sehr schnell aufdringlich und schunkelig wird. Aber hier kommt das so gerade heraus, so frisch und gutgelaunt, da haben einfach ein paar talentierte Musiker Spaß und wollen nicht mit Gewalt gefallen.
14. Sigtryggur Berg Sigmarsson – So long
Soundartist die Zweite. Nach Mathieus genialer Traumvertonung nun mit So long das zweite Album des Genres in den Top 20. Anders als bei Mathieu gehts hier nicht surreal, träumerisch zu Werke, hier gibts brummelige, elektroakustische Drones bis zum Anschlag. Wer sich bei diesen langen, ständig sich ändernden, schlichten Drones an The Hafler Trio erinnert fühlt, der liegt sicher richtig. In seiner Zeit in Island hatten Haflers Andrew McKenzie und Berg Sigmarssons Band Stilluppsteypa engen Kontakt. Berg Simarsson hat an diesem Meisterwerk jahrelang herumgeschraubt und so kommt am Ende das wahrscheinlich beste Album des Genres seit Hafler Trios grandiosem „No Man Put Asunder: 7 Fruitful And Seamless Unions“ von 2003 heraus.
15. Ethereal Shroud – They Became the Falling Ash
Kann so etwas Nihilistisches wie Black Metal glücklich machen? Wenn man ihn mit Shoegaze/Postrock Elementen und traumhaften Melodien vermischt, dann schon. Und weil Joe Hawker, der Mastermind und einzige Musiker der Band es nicht bei der mittlerweile üblichen Blackgaze-Mische belässt, sondern hier auch noch richtige Songs schreibt, kommt hier eines der besten Black Metal Alben überhaupt raus. Die passenden Vokabeln für das, was da passiert, sind wieder einmal episch, majestätisch. Immer wieder setzt Hawker nochmal einen drauf. Das Interessante dabei ist, daß es zu keiner Zeit im Pathos erstickt. Nein, hier hat es wirklich jemand geschafft, nahezu symphonische Strukturen im Black Metal Sound zu verpacken, ohne selbst auf irgendwelche klassischen Versatzstücke zurückgreifen zu müssen.
16. Outer Gods – Ascend Unto The Seventh Throne
US-Duo… und das wars, was ich dazu an Infos habe. Erwähnenswert wäre vielleicht noch das Label: das dänische Netlabel für Doom-Spezialitäten drowning.cc von Danny Kreutzfeldt. Das ist aber anders als Doom, auch anders als klassischer Drone-Doom. Das sind keine auf ein Zehntel Geschwindigkeit runtergeschraubte Riffs, die über 20 Minuten wiederholt werden, hier wird viel mehr auf Sound als auf das Riff geachtet. Eigentlich gibts sowas wie Riffs gar nicht. Eher warme dronige Flächen und viel Struktur, viel „Drumrum“. Das Intro klingt wie eine vermatschte Version des Themas von Tarkovskys Filmklassiker „Stalker“. Das ganze Album würde einen prima Soundtrack dafür abgeben. Der Start der Reise in dieser komischen Halle findet sich neben der Melodie als Industrialgeräusche wieder, dann die lange gleichförmige Reise (Fahrt auf der Draisine), die Zone, die sich ständig in sich verändert usw. Und das alles als Gratis-Download… drowning.cc … ihr wisst schon.
17. Ian William Craig – Cradle for the wanting
Letztes Jahr wie aus dem Nichts aufgetaucht und mich umgeblasen gibts dieses Jahr schon den nächsten Streich. Und wieder ist ein wundervolles Album rausgekommen. Leider nicht mehr ganz so der Umbläser wie der Vorgänger. Dabei ist eigentlich fast alles noch da. Die wundervolle zershredderte Stimme Craigs, äh und … ja viel mehr gibts da ja auch gar nicht zu hören. Vielleicht ist das was fehlt, die Erweiterung, des an und für sich wundervollen Konzepts, vielleicht ist es aber auch, daß die Melodien nicht mehr den ganz großen Gänsehautfaktor haben wie die des Vorgängers, vielleicht liegts aber auch einfach nur an meinen Holzohren. Denn daß das dennoch ein fantastisches Album ist, das ist eh klar.
https://soundcloud.com/recitalprogram/ian-william-craig-habit-worn
18. Rutger Zuydervelt – Sneeuwstorm
Der einzige Musikant mit zwei Alben in den Top 20 (Piiptsjilling). Nachdem ich Rutgers Zeugs jahrelang sträflich vernachlässigt habe, ist das aber auch mehr als verdient. Hier werden zwei improvisierende Saxophone und dazu Gitarren, Field Recordings und Zeuch elektronisch so verbraten, daß man in dem 31minütigen One-Tracker wirklich nicht mehr viel erkennt, wie in einem Schneesturm halt. Ansonsten kann man das Ding nicht beschreiben, muss man gehört haben.
19. Heroin in Tahiti – Sun And Violence
Schlagrichtung ähnlich wie Natural Snow Buildings nur diesmal aus Italien. Hier werden alte Aufnahmen süditalienischer Folklore verwurschtelt mit psychedelischem Gedöns. Seltsames Zeuch, so seltsam wie der Bandname. Hat was von ner durchfeierten Nacht auf Drogen am Strand, wenn es so langsam wieder hell wird und die Substanzen ihre Wirkung verlieren.
20. Regarde les hommes tomber – Exile
Wo kommen Bands her, die allerhöchste Qualität und derbe auf die Fresse gleichzeitig abliefern? Nicht selten aus Frankreich. Hier mal wieder ein Rudel Musikanten mit nem gänzlich eigenen Stil. Wenn Neurosis noch jung und richtig böse wären und wenn sie ihren Sound noch in Richtung Black Metal aufbohren würden, dann wären Regarde les hommes tomber nur ne Kopie. Aber Neurosis sind alt, die bösen Franzosen nicht…
Knapp vorbei:
Moljebka Pvlse – A Transformation
Dronemaster
Akhlys – The Dreaming I
Black Metal, Hipster mit anderthalb Beinen im skandinavischen Wald oder andersrum?
The Black Heart Rebellion – People, When You See The Smoke, Do Not Think It Is Fields They’re Burning
Gent, böse und psychedelisch
CHRCH – Unanswered Hymns
Doom, Stoner, rockt wie blöde
Hope Drone – Cloak Of Ash
Hipster Black Metal
My Disco – Severe
Repetitiver Postirgendwas im Stile von Heirs
Oiseaux-Tempête – Ütopiya?
Postrock jetzt auch mit Jazz-Einflüssen
Phantom Winter – CVLT
Wer waren noch mal Omega Massif?
Sielwolf & Nam-khar – Atavist Craft
Die alten Industrial Metal/Dub Helden mit Comeback nach 20 Jahren jetzt im Dark Ambient unterwegs.
The Soft Moon – Deeper
Yeeehaaa, Synthies, Party, 80er, abtanzen.
Bester Black Metal Song aller Zeiten:
Chaos Moon – Hymn to Iniquity, Part II: Exequiae
Ja, ich leg mich fest. Etwas Besseres gibt es in dem Genre nicht. Feddich, aus. Die shoegazenden, ja geradezu singenden Gitarren, das Gekeife, was nicht zu sehr nach Krümelmonster klingt, die wunderschönen Melodien und dann der seltsame, sich immer wieder verändernde Beat. Perfekt, besser geht nicht. Keinen Black Metal Song hab ich je auf Dauerschleife gehört, keinen auch nur annähernd so oft, keiner hat mir mehr Gänsehaut bereitet und beim Schreiben dieser Zeilen und gleichzeitigem Hören des Songs kommt sie gleich schon wieder, die Geflügelpelle.
Emotionalster Song des Jahres:
Black Wing – Black Wing
Dan Barrett, eine Hälfte der Postpunker Have A Nice Life mit einem dusteren Synthiepop Album. Was die Sache so emotional macht, das sind die Texte und vor allem die Situation aus der raus es entstanden ist. Dan verarbeitet hier eine schwere Erkrankung, die ihm beinahe das Leben gekostet hätte. Der wohl wichtigste Song des Albums wäre in einer besseren Welt ein riesengroßer Hit geworden, eingängig und zutiefst emotional mit grandiosen Melodien. Dazu noch ein recht einfacher Text, der aber völlig gerade heraus und schmerzhaft ehrlich ist: „why wont anyone do something / im fucking dying / and its all right“
Zu spät:
In freudiger Erwartung, entweder bereits erschienen, nur hier noch nicht vorliegend oder erscheint knapp nach dem Stichtag. Aber alles mit potenziellen Toplistenqualitäten:
CHVE (aka Colin H van Eeckhout, Amenra Frontmann) – Rasa
Troum – Acouasme
Kallabris – Schön geht anders
Bestes Konzert 2015:
Piiptsjilling @ Moving Noises Festival, Christuskirche, Bochum
Allzu groß war die Auswahl dieses Jahr nicht. Irgendwie hab ich es nicht auf viele Konzerte geschafft. Aber auch in stärkeren Konzertjahren wäre dieser fantastische Auftritt premierungswürdig gewesen. Das Gute ist, einen Teil des Konzertes kann man als Konserve immer wieder hören (siehe Alben Top 20, Platz 6, Slieperswaar). Wie es musikalisch zuging, kann man also nachvollziehen, aber dann war da noch die Stimmung vor Ort. Totale gebannte Stille im Zuschauerraum, die wundervolle Location, die Musiker auf der Bühne bewegen sich bei spärlicher, atmosphärischer Beleuchtung nur minimal und andächtig. Die Musik… friedlich, sanft, einfühlsam, drei Menschen, die so leise und sanft spielen, daß es den anderen jeweils genug Raum lässt. Achtsamkeit, ein Rausch von Achtsamkeit. Bei aller Ruhe, am Ende ist man ob dieses Rausches völlig euphorisiert. Eine unbeschreibliche Erfahrung.
Hype des Jahres:
Wiegedood – De Doden Hebben Het Goed
Ich sag ja nicht, daß das schlecht ist, ich mag die ja auch, aber das Gefeiere versteh ich nicht. Wahrscheinlich ist das auch wieder nur so ein Hype, weil das ne Art All-Star Band aus Mitgliedern von Amenra, Oathbreaker und Rise and Fall ist. So wird ein passables Black Metal Album in den Himmel gehoben und als DAS Black Metal Album angepriesen. Wenn Gent das neue Seatlle ist, dann sind Wiegedood die neuen Temple of the Dog. Okay, aber überschätzt.
Handfurz des Jahres:
Liturgy – The Ark Work
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle etwas über die Platte schreiben, ein Bild bemühen von Generation Manufactum in pinkfarbener Tigerleggins, mich drüber lustig machen, daß das Feuilleton der Welt auf einmal „Black Metal“ abfeiert, den Satz von youtube („If Kanye West produced a black metal album“) zitieren, mich über den Namen des Sängers lustig machen und ihn Hunter Hearst Helmsley nennen, irgendwas über Sound von explodierenden C64 Computern schreiben und den fürchterlichen, gelangweilten Gesang rügen und einmal die Ausdrücke verkopfte Scheiße und Elfenbeinturm fallen lassen, aber das ist mir alles zu doof. Denn das Album ist einfach nur ein mieser, schlecht ausgeführter Handfurz und die schlechteste Platte des Jahres.
Enttäuschung des Jahres:
Deafheaven – New Bermuda
2013 war das Jahr von Deafheaven. Sunbather wurde ja von fast jeder ernstzunehmenden Musikgazette abgefeiert und das als Black Metal Album. Zu Recht. Hat Sunbather doch den Black Metal aus den kalten, winterlichen skandinavischen Wäldern rausgeholt und ihm südländisches sommerliches Flair verliehen. Das war Spiellaune, euphorische Melodien. Dann kommt der Trailer für das neue Album, irgendwas mit Meer und Bermuda und so und man denkt sich, jetzt kommt zur Sonne noch das Meer dazu. Passt ja, so kann es weitergehen. Die Soundschnipsel vom Trailer wirken auch atmosphärisch, irgendwie cool. Und dann kommt das Album raus und man denkt sich, och nee, bitte nicht die auch noch. Wieder eine große Band, die über ihren Zenit hinaus ist. Fast alles, was bei Sunbather noch da war, ist futsch. Das Songwriting ist Kacke, viele Parts innerhalb der Songs wirken völlig deplaziert. Nach Sunbather hatte ich befürchtet, das nächste Album würde ins Seichtere abdriften, das hat sich nicht bewahrheitet, aber die grässlichen 80er Thrash-Gitarren mussten auch nicht unbedingt sein. Erst dem Black Metal den Shoegaze Sound, die herzzerreißenden Melodien eingehaucht und dann mit dem Arsch und zu Recht als antiquiert geltenden Metalsounds alles eingerissen und den Titel der größten Hoffnung des Black Metal einfach so weggeschmissen. Einziger Trost: es ist dann doch nicht so ein unhörbarer Scheiß wie Ark Work geworden, ab und an in kleinen Momenten blitzt die Genialität dann doch noch durch, aber enttäuscht bin ich doch sehr.
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