BERICHT: Laibach – Haus der Kulturen der Welt

BERICHT: Laibach – Haus der Kulturen der Welt

Ein Konzert mit LAIBACH im Haus der Kulturen der Welt. Unterhaltung im Interpretations-Freiraum.


„Das ist doch sicherlich eine Ente?“ wurde im Bekanntenkreis gemutmasst als es letzten Sommer hieß: LAIBACH werden im August 2015 in Nordkorea spielen. Dem war nicht so. Eingeladen vom „Komitees für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland“ trat das Kollektiv dann tatsächlich in Pjöngjang auf. Würde das gutgehen? Die möglicherweise ironischste Band aller Zeiten an einem Ort, wo ein falsches Wort oder ein als unangemessen betrachtetes Verhalten die Todesstrafe nach sich ziehen können?

Offensichtlich ist es gutgegangen, denn LAIBACH kehrten wohlbehalten mit neuen Erfahrungen sowie einem 2016 erscheinenden Dokumentarfilm des norwegischen Künstlers Morten Traavik im Gepäck zurück. Hinter ihnen lagen zwei Konzert-Abende vor eintausendfünfhundert bis zweitausend geladenen Gästen. Was den Punkt angeht, existieren verschiedene Variationen. Klar sind zwei Dinge: nein, Kim Jong war nicht dabei, und ja, das Programm wurde im Vorfeld zensiert. Gespielt wurden unter Anderem Lieder aus dem dreistündigen von Kim Jong gemochten Film-Musical „The Sound of Music“, sowie nordkoreanische Volkweisen. Beides selbstverständlich in einem LAIBACH-Soundgewand.

Wie das ankam? Auch hier gibt es unterschiedliche Versionen in Wort und Bild: „Deutlicher Beifall“ auf der einen, „Ohren zuhalten“ auf der anderen Seite der Skala.

LAIBACH existieren inzwischen seit knapp sechsunddreißig Jahren. Sie entstammen der slowenischen Industrie-Stadt Trbovlje und gehören zum in Ljubljana ansässigen Projekt „Neue Slowenische Kunst“ – kurz NSK genannt. Dies gilt als eigener (virtueller) Staat, und es gibt sogar Reisepässe. Musikalisch wie auch ästhetisch dem Industrial zugeordnet, wurde die Band vor allem in den Anfangsjahren häufig…mißverstanden…? Sagen wir mal: das was LAIBACH taten wurde öfter auf eigenartige Weise interpretiert. So wurden sie im jugoslawischen Fernsehen Anfang der Achtziger Jahre als „Volksfeinde“ beschimpft, während man sich in diversen europäischen Ländern fragte, ob hier etwa Rechtsradikale unterwegs sind. Neben frühen Eigenkompositionen in slowenischer Sprache („Brat Moj“ oder „Drzava“ sind hier zu nennen) gab es bald darauf martialisch wirkende Cover-Versionen von Popschlagern wie „Life is life“ oder QUEEN´s „One Vision“. Dabei wurden die teilweise peinsamen Originalversionen musikalisch stark verändert, während die Texte beibehalten oder wörtlich ins Deutsche übersetzt wurden, so wie im Fall von „One Vision“. Unter dem Titel „Geburt einer Nation“ (siehe auch den gleichnamigen umstrittenen Film von H. W. Griffith) entstand hierbei ein interessanten Ergebnis.

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Anfang der Neunziger gab es einen Umbruch mit dem technoiden „Kapital“-Album, in dem finsterste Ereignisse in Jugloslawien und der Zusammenbruch Osteuropas für düster-nervöse Töne sorgten. Darauf folgte das (Anti-)Kriegs-Album „Nato“ ausschließlich mit Cover-Versionen wie „Alle gegen alle“, „Final Countdown“ und „War“. Ihre wenigstens dritte Hoch-Zeit erlebten LAIBACH ab dem Album „WAT – We Are Time“. Ab dem Nationalhymnen-Album „Volk“ bei dem Originale und neu geschriebene Texte auf- und umgeschichtet wurden, wirkte die Band musikalisch nicht mehr ganz so brachial. Bei „Volk“ und beim aktuellen Album „Spectre“ scheint die Zeit ironischer Texte vorläufig vorbei zu sein. Warum auch nicht? Schließlich ist die komplette (westliche) Welt durchironisiert, und LAIBACH hatten noch nie Interesse an der Bedienung eines Mainstreams:

We are no ordinarty type of group. We are no humble pop musicians. We don´t send you sweet melodies – and we´re not here to please you.

informieren sie uns im Song „We are time“. Das hatten wir uns fast schon gedacht, dennoch ist das Lied eine der besten Selbstreflektionen der Band.

Natürlich erschaffen LAIBACH auch in heutigen Zeiten Irritation, schließlich ist dies einer der Gründe ihrer Existenz. So ist in der Doku über eine Amerika-Tournee mit dem schönen Namen „The divided States of America“ zu sehen, wie ein Journalist auf seine Frage nach der faschistisch wirkenden Bekleidung der Band sprachlos und verdutzt reagiert, als er die Antwort erhält, es handle sich um amerikanische Militär-Uniformen.

Nun fand also Mitte Januar im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ eine mehrtägige Veranstaltung mit dem Titel „Krieg singen“ statt. Es gab Konzerte, Vorträge, Ausstellungen und Workshops. Dazu traten Musiker wie Barbara Morgenstern, HAUSCHKA, FM Einheit, ZEITKRATZER und auch LAIBACH auf.

Nachdem die Slowenier erst vor einem Jahr mit der toll in Szene gesetzten „Spectre“-Tour in der Berliner Volksbühne zu Gast waren und – wie berichtet – im Sommer Nordkorea mit einem Spezialprogramm beehrten, wurde bei „Krieg singen“ vor ausverkauftem Hause eine Mischung beider Shows präsentiert: so gab es Volksweisen und Lieder aus „The Sound of Music“ zu hören, aber auch eine Menge „Spectre“-Material wie „Resistance is futile“ „Bossanova“ sowie natürlich der….ähm….Gassenhauer „The Whistleblower“.

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Besonders die schlagerhaften Songs des Film-Musicals wie „My favourite things“ oder „Edelweiss“ wurden von LAIBACH rabiat bearbeitet: teilweise hörten sich die Synthie-Dur-Klänge so niedlich an wie das Weihnachtsalbum der Label-Kollegen ERASURE, andererseits gab es Noise der an die Industrial-Pioniere THROBBING GRISTLE (bis zur Auflösung während der letzten Inkarnation ebenfalls Mute-Label-Mates) erinnerte. Ergänzt wurden etwas ältere Songs wie das gerade hochaktuelle „Now you will pay“. Dieses Lied befindet sich zwar auf „WAT“ aus dem Jahr 2003, LAIBACH haben hier aber schon früh die derzeitige Flüchtlings-Thematik aufgegriffen und in beinahe unheimlicher Weise punktgenau vorhergesehen. Ob die Slowenen mit neuen Liedern wie dem ebenfalls präsentierten „Eurovision“ ebenfalls so prophetisch sind? Immerhin wird hier der baldige Zusammenbruch Europas thematisiert.

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Da mehrere Freunde und ich das Glück hatten, in der Mitte der ersten Reihe zu sitzen, blieben selbstverständlich kleine humorvolle Bemerkungen über unsere Kim Jong-Plätze nicht aus. Gut für uns das wir uns im „Haus der Kulturen der Welt“ befanden, welches in einem demokratischen Land steht!

Das Gesamtkunstwerk LAIBACH lässt Geist und Gefühle durchaus schon mal in ganz verschiedene Richtungen rennen. Dies gehört natürlich zum Programm: Überwältigungs-Kunst (gibt’s „woanders“ auch – von Techno bis Postrock) ergänzt mit einem gewissen Maß an Manipulation…oder ist es die Imitation einer Manipulation? Nicht unwahrscheinlich, auch weil zu merken ist, wie gut durchdacht das Ganze ist.

Laibach

Als Zugabe darf der wunderbare Udo Kier auf der Filmleinwand als fiktiver Nazi-Offizier die dunkle Seite des Mondes bereisen: zu „B-Machina“ werden Bilder aus dem Film „Iron Sky“ gezeigt – hier haben LAIBACH den Soundtrack beigesteuert und dem Vernehmen nach wird das bei der gerade entstehenden Fortsetzung ebenfalls so sein.
Als letztes Lied wird dann der Achtziger-Jahre-Laibach-Hit „Leben heißt Leben“ in ziemlich brachialer Version dargeboten, was das Konzert rund macht.

Nachdem die Band von der Bühne gegangen ist, werden einige Szenen aus der kommmenden Nordkorea-Dokumentation gezeigt. Ein Ausschnitt dürfte inzwischen vielen Fans wie auch Leuten die LAIBACH vorher nicht bekannt waren geläufig sein: in der HBO-Talkshow „Last Week Tonight“ macht sich der Moderator John Oliver über LAIBACH lustig – allerdings auf reflektierte Weise. Das gefiel auch der Band, die positiv reagierte. Ganz im Gegensatz zu einigen – aber wenigen – (Print-)Medien, die mit altbackenen Vorurteilen angerumpelt kamen. Aber auch die gehören eventuell zur „sozialen Skulptur“ von der LAIBACH in früheren Interviews sprachen und die auf Joseph Beys zurückgeht. — Youtube —

Das mit der Interpretation von LAIBACH ist so eine Sache: am interessantesten ist es, die Kunst zu goutieren und erst mal zu schauen was sie mit einem anstellt, ehe es ans Nachdenken geht. Die Kollektiv-Slowenen sind geschickt im Offen lassen vieler Türchen, um Interpretationsfreiräume zu schaffen. Was die Interaktion zwischen Publikum und Musik/NSK angeht, kommen wir noch mal auf die soziale Skulptur zurück. LAIBACH nutzen diesen Begriff nicht identitätsstiftend oder zum beiseite schieben von Fragezeichen, genau so wenig wie sie Linke oder gar Rechte in den jeweiligen Weltbildern bedienen oder bestätigen.

Laibach

Da LAIBACH stets den Zustand der Welt reflektieren, triggern, überhöhen, spiegeln, aufarbeiten (bitte setzen Sie hier _______________ ein Wort Ihrer Wahl ein!) dürfte es – vor allem bei der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Weltlage – nicht mehr lange dauern, bis sie ein neues Kapitel ihrer Kunst aufschlagen.

Fotos: Flo Holzner

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Von Veröffentlicht am: 24.01.2016Zuletzt bearbeitet: 02.12.20181329 WörterLesedauer 6,7 MinAnsichten: 999Kategorien: KonzerteSchlagwörter: , , , , , 1 Kommentar on BERICHT: Laibach – Haus der Kulturen der Welt
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Über den Autor: Nico Kerpen

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One Comment

  1. Peter Blase 25.01.2016 at 00:57 - Reply

    Moin moin Flo Holzner,
    aus Solingen? Da fährt man zum Krieg singen extra nach Berlin?
    Wenn Remscheid es auch kann!
    Erste Reihe?
    Wenn nicht aus Solingen egal, wenn doch sehr komisch, aber neben mir saß leider nicht Wuppertal sondern zwei Freunde aus Maastricht ;)
    Glückauf und weiter so!
    PB

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