BERICHT: Woodkid / 07.09.2014, Berlin Festival

BERICHT: Woodkid / 07.09.2014, Berlin Festival

Erzählungen und Projektionen rund ums Drama der Jugend.

Ziemlich warm fühlt es sich an in der Arena. Kein Wunder, gerade ist die Halle voll geworden. Nach mehreren Berliner Auftritten während der letzten Jahre beehrt WOODKID nun das Berlin-Festival.

Das Phänomen WOODKID, erfunden, geschrieben, produziert und dargestellt durch den polnisch verwurzelten Franzosen Yoann Lemoine, ist bereits seit über drei Jahren zu beobachten. Das von dem Grafik-Designer durchgestylte Erstwerk „Iron“ mit schwer zu klassifizierender Musik schlägt ein. Künstler wie Lana del Rey, aber auch Werbekunden (denen er öfter mal einen Korb gibt, wenn er die Produkte nicht mag) klopfen an die Tür und möchten an seinem Talent teilhaben. Als Musiker versteht sich Yoann eigentlich nicht, obwohl er seit seiner Kindheit Klavier spielt. Die Ursprungs-Idee: seine visuellen Phantasien mit eigener Musik zu unterlegen: hierfür zeichnet er Skizzen und hält schriftlich Pläne fest.

Das Multitalent bringt 2013 das grossartige Album „The Golden Age“ raus: eine sehr stylishe, aber keineswegs oberflächliche Coming-Of-Age-Platte mit bombastischer Musik, die sich zwischen Folk, Elektronik, Klassik und (spucke ich es ruhig aus) Independent bewegt. Das Spannungsfeld der ziemlich fetten Produktion und der zeitgleich intimen, persönlichen und introvertierten Geschichte ist interessant. Beim Konzert ist gut zu merken, dass der Mann „vom Film“ kommt, denn neben den schönen Visuals sind auch die Texte äusserst bildhaft. Das kann zu einem emotionalen Overkill führen: jedenfalls sind im Konzert gar nicht so wenige heulende Leute (Neu-Berlinerisch: „Pipi in die Augen“) zu sehen, die dazu auch noch tanzen. Das freut Yoann bestimmt, denn er hat in früheren Interviews erzählt, wie gut er das findet: gleichzeitig traurig sein und tanzen.

Heute sind vierzehn Leute auf der Bühne zu sehen: neben dem Maestro wären da drei Streicherinnen, drei Herrn mit Blasinstrumenten, mehrere Keyboarder sowie zwei Trommler beziehungsweise Paukenschläger. Die Visuals wirken wie eine Kombination aus „Game of Thrones“ und mittelalterlichem Videospiel mit Elektro-Einschüben. Zeitlich zu verorten ist das Ganze nicht: die Bilder könnten genau so gut aus der Vergangenheit wie aus der Zukunft sein. Das Bühnen-Licht ist grundsätzlich weiss. Es strahlt intensiv und direkt und manchmal indirekt, hie und da mit Strobo-Effekten und öfter mit symmetrischem Geflute bis unter die hohe Industrie-Decke.

Yoann Lemoine als WOODKID wirkt überhaupt nicht unnahbar oder arrogant. Schwer zu sagen, ob hier der Mensch Yoann oder die Kunstfigur WOODKID am Werk ist. Die relativ theatralische Musik wird gebrochen durch den Künstler, welcher wild umherspringt, lacht, tanzt sowie gerne und viel erzählt: über Berlin, New York, seine Karriere und wie sehr er sich freut (aber auch etwas wundert), dass er insbesondere in Deutschland so gut ankommt.

Ein weiteres Beispiel gefällig? An einer Stelle bittet Yoann darum, das alle weiblichen Leute im Konzert jubeln. Das Ergebnis: „Kreeeeisch!“ Dann sollten die Jungs das gleiche machen. Es hört sich etwas anders an: „Grööööhl!“ Yoann amüsiert sich, vielleicht auch über das Klischee, und imitiert das Gröhlen der Herrschaften. Dann sagt er: „Guys, this song is for you“ und startet mit dem Lied „I love you“. Nach der Präsentation lacht er wieder mal und sagt: „I love you girls as well, but in a different way.“ Damit ist er dem (Haupt-)Thema seiner Platte nicht aus dem Weg gegangen, aber er hat nicht so eine Nummer abgezogen, indem er im übertragenen Sinne mit dem Löffel gegen die Teetasse schlägt und sagt: „Jetzt seid doch mal still. Ich möchte euch etwas Wichtiges sagen.“ Überhaupt ist das so eine Sache mit „The Golden Age“: natürlich dreht sich die Geschichte um das Coming Out eines Teenagers, aber die Texte sind so universell gehalten, dass alle Leute damit etwas anfangen können, die irgendwann mal jung waren und sich an die in dem Alter stattfindende Gefühls-Strauchelei erinnern – also praktisch Jede/r.

Das stets schwarz-weiße Bühnenbild erlebt lediglich bei dem einzigen neuen Song eine Veränderung, indem plötzlich alles in rotes Licht getaucht wird. Das wirkt bedrohlich – nicht zuletzt aufgrund eines merkwürdigen 3D-Effektes, welcher durch das Licht erzeugt wird. Der eher industrial-mässige Sound ohne Gesang tut sein Übriges.

Somit steigt die Spannung aufs Zweitwerk des talentierten Franzosen. Er könnte natürlich nach dem Erfolg noch mal „The Golden Age“ aufgiessen, aber so wie der Herr arbeitet, wird das wohl zum Glück nix – schließlich ist er ein angetriebener Künstler, der so ganz nebenbei auch noch Filmgeschichte studiert, sich für diverse Kunstarten interessiert und dazu einen „Feature Film“ (abendfüllenden Film) drehen möchte. In Interviews erzählt er gerne, dass er kein Geld sammelt, was ihm manchmal vorgeworfen wird, sondern dass er viele Angebote – insbesondere aus der Werbung – ablehnt wenn er sie nicht mag. Eingenommenes Geld wird häufig gleich wieder in Projekte gesteckt, und so ganz billig wird es wohl nicht sein, mit einem kleinen Orchester um die Welt zu touren.

Nach einem euphorisch bejubelten Gig besteht die Zugabe selbstverständlich aus dem bisher nicht dargebotenen „Run boy run„. Am Ende tobt und jubelt die Menge dermassen, dass es in den Ohren rauscht. Ein paar Leute fangen an, den Geigen-Part des Songs laut zu singen, woraufhin ein grosser Teil des Publikums jubelnd einstimmt. Irgendwann singt so gut wie jeder Mensch in der Halle. Yoann wirkt ein wenig verdutzt und die Musiker schauen leicht verunsichert. Als die Leute wirklich nicht aufhören zu singen, dreht Woodkid sich um & gibt dem Orchester gestisch zu verstehen, dass sie noch mal loslegen sollen, wobei der Refrain noch zweimal dargeboten wird. Danach ist die herausragende Show leider, leider LEIDER wirklich zu Ende.

Erst am Schluss fällt mir ein Zusammenhang zwischen den Visuals und der Bekleidung von Yoann auf: vor dem Gig war die Leinwand schwarz, aber von weißen, quadratischen Linien durchzogen. Yoann´s Bühnenoutfit sah ganz genau so aus. Der Gedanke liegt nahe, dass sich sowohl auf die Leinwand wie auf den Künstler WOODKID alles Mögliche projizieren lässt.

Aber das ist bestimmt nur Zufall………..oder?

Fragt sich der begeisterte Autor Nico Kerpen.

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Von Veröffentlicht am: 09.09.2014Zuletzt bearbeitet: 02.12.20181018 WörterLesedauer 5,1 MinAnsichten: 866Kategorien: Artikel, KonzerteSchlagwörter: , , , 0 Kommentare on BERICHT: Woodkid / 07.09.2014, Berlin Festival
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