Sonntagskolumne: Kellerfeld I

Sonntagskolumne: Kellerfeld I

Sonntagskolumne – Die mieseste Kredithaibande der Stadt


Manchmal überholen die Ereignisse, was man selbst zu schreiben geplant hat. Dieses Jahr das Rock am Ring, immer wieder Terror und Ab- und Zusagen, letztes Jahr Gewitter und Absagen. Vor genau einem Jahr jedenfalls war gerade mein Angestelltenverhältnis beendet und fast zufällig war Sommer. Es gab Arbeit auf dem Rock am Ring, die Rede war von fünfzehn Euro pro Stunde für Arbeit, die ihren Namen kaum verdient hätte. Das Rock am Ring klang aus der Ferne wie alles, was am Rock schlecht ist und wurde mit jedem gewonnenen Zugkilometer schlimmer, denn auch Bundeswehrsoldaten mögen System of a Down und Menschen, die gerne Polizisten wären kaufen sich auch mal eine Chili Peppers CD. Ebensolche (und andere mehr) bevölkerten diesen ICE nach Koblenz, der auch ein IC gewesen sein könnte. Ich fuhr jetzt immer auf Rechnung Bahn, was nichts anderes heisst als Schwarzfahren, was man jetzt Fahrpreisnacherhebung nennt, weil es mehr nach Bordrestaurant oder Facility manager klingt. Alle anderen hatten ein mobiles Ticket auf Smartphones, die mit Power Bars am Leben gehalten wurden und tranken Bier aus Pfandbechern vom letzten Jahr. Weil Sitzplätze besetzt, das Zugklo gesperrt und das Bordbistro garnicht erst angekoppelt war (was für einen IC spricht) saß ich auf dem Boden vor eben jenem WC und trank ein feines Dosenbier. Ausserdem hatte ich an eine Arcteryx Regenjacke gedacht, an ein Ipad mit voller Batterie, zirka 20€ in Münzen und Scheinen, ein halb geladenes Smartphone und ein Bose Soundlink. Neben mir ein blonder Junge um zwanzig, mindestens Sportstudent, eher Fallschirmjäger. Man werde so viel ficken wie noch nie und saufen wie nach dem Abitur und schon in diesem Zug damit beginnen und ich sei eingeladen. Weil man lieber in Gemeinschaft trinkt und das ganze nüchtern bisschen heftig wäre, wurde also getrunken und schlechtes kristallines MDMA genommen, wovon ich gar nichts gemerkt habe, ausser das noch mehr getrunken werden konnte als sonst, was an sich gut zur allgemeinen Planung passte. Sein anderer guter Freund war eine Weile damit beschäftigt, sein Telefon per Bluetooth an das Bose zu koppeln, dann lief sowas wie Fall of Troy oder Callejon und eine ältere Dame stieg über uns hinweg. Später im Shuttle habe ich dann gemerkt, das mein Bose noch im Zug lag, der erste Verlust an diesem verlustreichen Wochenende.

Erwähnenswert ist ausserdem, dass ich kurz vor Koblenz einen halben Zuckerwürfel mit LSD gegessen habe, der in selbigem Busshuttle dann durchaus gewirkt hat, recht stark sogar. Am Ort des Geschehens, der natürlich nicht der Nürburgring, sondern ein ärgerlich verregneter Flugplatz in Mendig war, musste ich dann sehr viel laufen und fragen, bis ich darüber informiert wurde, das ich erstmal ganz weit raus fahren sollte, um mein Ticket zu bekommen. LSD wirkt sehr lang und unberechenbar und kann in den sonderbarsten Situationen an Stärke gewinnen, dieses mal im Büro der Menschen, die mir Karte und Band nur gegen Ausweis und Unterschrift aushändigten, die ich ungelenk dann auch gegeben habe. Managerinnen im gehobenen Musikbusiness sehen aus, wie man sie sich vorstellt, dunkle teure Extensions, nur im Sitzen angenehme hohe Lederstiefel, unbewegte Stirn. Sie haben in den bunten Neunzigern als Praktikantin angefangen und sind jetzt im Zentrum der Macht, der Gästeliste, angekommen. Inzwischen brauchen diese wachen glasigen Augen eine Brille, der scharfe prüfende Einlassblick aber ist auch durch Linsen zu erkennen. Im Hintergrund waren verschiedene Bändchen und deren Befugnisse erklärt, die bunten Symbole verschwammen und schienen die Wand hinunterzuschmelzen, was ich schön und erschreckend fand, weil das schon ziemlich klischeehaft war. Ich schwitzte stark unter der Regenjacke, draussen regnete es stärker. Zwei junge Grüne vom BUND kamen an und schienen glatt verwirrter als ich, sie suchten etwas und waren wohl vom Weg abgekommen. Jedenfalls nahmen sie mich mit und ich war ziemlich überzeugt davon, dass sie Polizisten waren. Schlechtgetarnte zwar, aber doch Bullen. Im Fond ihres T4 gab es eine Wasserpfeife, BIOHaferkekse und Bier, ausserdem Zelte und diverse Dinge, die wohl Naturverbundenheit suggerieren sollten. Sie nahmen mich bis zum Fest mit und liessen mich wieder gehen, was ich für Polizeitaktik hielt.

Mein Band war ein All Areas Band ohne weitere Definition, man brauchte noch ein zweites, aber dazu kam es nie. es regnete in strömen, auch meine Kleidung im Sack war nass und roch übel. Das LSD liess mich viele Stunden über den weitläufigen Backstage irren, ich war fest davon überzeugt, ein Haus 12 finden zu müssen, wo mein Arbeitgebger zu finden sei. Es gab bloß Haus 11 und 13, was ich für Schikane oder Harry-Potter-Bullshit hielt. Schliesslich schlug ich mein Lager im Kellergeschoss eines anderen Hauses auf, am Treppenabsatz. Dort lag ich trocken, aber kalt. Die ständige Angst, entdeckt zu werden, sollte meinen Aufenthalt lange überschatten.

Teil II nächste Woche.

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Von Veröffentlicht am: 05.06.2017Zuletzt bearbeitet: 01.02.2019814 WörterLesedauer 4,1 MinAnsichten: 872Kategorien: KolumneSchlagwörter: , , 0 Kommentare on Sonntagskolumne: Kellerfeld I
Von |Veröffentlicht am: 05.06.2017|Zuletzt bearbeitet: 01.02.2019|814 Wörter|Lesedauer 4,1 Min|Ansichten: 872|Kategorien: Kolumne|Schlagwörter: , , |0 Kommentare on Sonntagskolumne: Kellerfeld I|

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Über den Autor: Marc Michael Mays

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