Die Musikkassette – eine Liebeserklärung zum 50. Geburtstag

Die Kassette wird dieses Jahr 50 Jahre alt. Eine Lady mit Stil, die in Würde altert.

Zu diesem wunderbaren Event habe ich, neben der aufwendigen Organisation einer Überraschungsparty (pssst! geheim!), diesen Artikel zu Ehren meiner großen Liebe verfasst. Auf dass die gesamte Welt ihre Schönheit (wieder)erkenne und ihrer niemals vergesse. So werden viele in mir eine durchgeknallte Nostalgikerin mit Hang zum Größenwahn sehen, doch bin ich bereit diese Schmach zu ertragen.

Die gute alte Kassette ist von einzigartiger Schönheit gesegnet. Sowohl von außen als auch von innen besticht sie durch ihre charmante Einfachheit und Robustheit. Ihr zierliches Format von 10,16 cm x 6,35 cm x 1,27 cm bietet ausreichend Raum, um neben mechanischen Teilen und dem Magnetband aus beschichteten Kunststoff auch den süßen kleinen Filzbauschen ein Zuhause zu bieten.

Ihr Gehäuse besteht meist ebenfalls aus Kunststoff, seltener werden Materialien wie GFK, Aluminium, Messing oder Keramik verwendet. Welches Kostüm der Guten am besten schmeichelt ist schwer zu sagen. Ich liebe sie, egal wie sie aussieht.

Wem haben wir nun dieses wunderbare Stück zu verdanken? – Philips.

Der niederländische Konzern entwickelte die erste Kompakt-Audiokassette und das dazugehörige Gerät. Am 28. August 1963 durfte man das Paar dann auch auf der internationalen Funkmesse in Berlin begutachten. Damals kostete ein Kassettenrekorder stolze 299 DM!

Ursprünglich war die Kassette als Diktierband gedacht. Doch schnell wurde erkannt, dass sie sich perfekt als Medium eignet, um Musik zu speichern, zu überspielen und weiterzugeben.

Sehr schnell kamen dann auch Kombigeräte mit integriertem Radio auf den Mark und 1979 gab’s dann auch den ersten Walkman von Sony. Zum ersten mal in der Geschichte war es möglich, seine Lieblingsmusik auch unterwegs zu hören. REVOLUTION!

Wenn man sich das mal so überlegt, hat die Entwicklung der Kassette schon vor Jahrzehnten unser Hörverhalten und den heutigen selbstverständlichen Umgang mit Musik geprägt. Alles was Spotify & Co predigen hat ihren Ursprung im Zeitalter der Kassette.

Und so stehe ich ihr auch in dunklen Stunden bei, so wie sie mein ganzes Leben bei mir war.

An unser erstes Treffen kann ich mich leider, der kognitiven Entwicklung des Menschen im Kleinkindalter geschuldet, nicht mehr genau erinnern. Doch existieren Beweisfotos, dass ich meinen ersten Walkman bereits zu meinem ersten Geburtstag von meinen Eltern geschenkt bekommen habe. Was haben wir für glückliche Stunden verbracht. Und nachts hast du in Form von Märchenkassetten über mich und meine Träume gewacht.

Als ich dann älter wurde haben mein bester Freund und ich im Kindergarten die Erzieher/innen und anderen Kinder mit Schlümpfekassetten belästigt und im Grundschulalter habe ich bereits versucht, rebellisch wie ich bin, der Musikindustrie zu schaden, indem ich die Hits von TicTacToe aus dem Radio auf Kassette aufgenommen habe. „Home Taping Is Killing Music!“ – Into your face!

Ein Trend-Opfer war ich nie! Ich habe noch Mixtapes für meine Freunde und Freundinnen zusammen gebastelt.Ha!

Ok, ich gebe es zu. Ich bin ein paar Mal fremdgegangen. Man ist jung und dann ist da diese CD mit ihren glänzenden Rundungen…
Die digitalen Errungenschaften der Elektroindustrie haben ja auch nicht zu verachtende Vorteile. CDs ersparen zum Beispiel lästiges Zurückspulen und man kann bestimmte Tracks direkt anwählen. Der vermutlich größte Vorteil ist wohl, dass sie verlustfreie Kopie von Musik und Daten ermöglicht. Trotz allem wissen wir, dass auch die CD es nicht mehr lange machen wird.

Mehr Potenzial sehe ich da doch noch bei meiner lieben Musikkassette. Sie hat die Jahrzehnte überdauert und musste immer wieder in die Konkurrenz mit digitalen Tonträgern gehen. Doch nie hat sie eine Herausforderung gescheut. Jetzt hat sie ein stolzes Alter erreicht und es ist an uns, einmal sie zu verteidigen.

Denn auch die Kassette hat Vorzüge, die keine CD, Mp3 o.ä. bieten kann.

Mal von ihrem retro Style abgesehen, kann sie in verschiedenen Situationen sehr hilfreich, fast lebensrettend sein! Ihr glaubt mir nicht?

Die Lebenserwartung einer CD im Auto liegt bei gefühlten 3 Wochen. Sie fällt ein paar Mal runter auf die Fußmatte, dort ist viel Dreck, dann tritt jemand drauf und aus die Maus.

Eine Kassette überlebt all das spielend. Außerdem kann man eine Kassette super leicht umdrehen und wechseln und das ohne die Augen von der Straße abwenden zu müssen. Sogar Autohersteller haben das bereits erkannt und rüsten dementsprechend ihre Geräte nach. Besonders komfortable Geräte erlauben sogar das Überspringen einzelner Titel.

Sehr sympathisch sind mir im Bezug auf die Kassette die meisten Länder Afrikas sowie West- und Südasiens. Denn dort erscheint der Großteil der Musikaufnahmen noch immer auf Kassette. Warum? Sie ist, wie bereits erwähnt, robust und erträgt im Gegensatz zu LP und CD auch Hitze und Staub (in Maßen). Nur mit hoher Feuchtigkeit kann sie nicht so gut aber das bisschen Regenzeit überlebt sie schon.

In Deutschland hingegen wurde 2010 die Herstellung der Compact Cassette eingestellt.
Und auch das Hörspiel-Label Europa produziert seit 2012 keine MCs mehr.

Besonders traurig ist diese Tatsache nicht nur für mich, sondern auch für Freunde und Freundinnen von Hörspielserien für Kinder wie etwa „Bibi Blocksberg“ und „Hanni und Nanni“. Nur „Die drei ???“ haben überlebt und werden weiterhin produziert. Der Kinderkassettenmarkt lebt weiter. Dieser Markt war, ist und bleibt also intakt.

Doch wie sieht es in der Musikbranche aus?
Im Bereich HipHop sind Mixtapes weiterhin verbreitet, und werden vor allem von Dj*s individuell zusammengestellt.

In Metal, Punk und Hardcore wird die Kassette zum Teil noch immer für Demo- und Promo-Zwecke eingesetzt und einige Labels, wie zum Beispiel Polyvinyl Rec., veröffentlichen zum Teil noch limitierte Auflagen auf Kassette. So haben zuletzt erst Japandroids ihr neues Album „Celebration Rock“ unter anderem auf Kassette herausgebracht.

Nun habe ich genug mit Kitsch um mich geschmissen.

Was ich eigentlich sagen möchte ist:
Die Kassette hat Musikgeschichte geschrieben. Ich bin froh einen kleinen Teil von dieser mitbekommen zu haben und wünsche ihr noch ein paar angenehme Jahre, bevor sie den Ruhestand antritt.

In meinem Herzen wird sie immer einen Platz einnehmen und so werde ich sie mir demnächst auch in Form eines Tattoos auf den Unterarm verewigen lassen.

Happy Birthday. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass auch noch ein paar Generationen nach uns wissen, was ein Stift mit einer Kassette zu tun hat.