Wolfram Knauer – „Play yourself, man!“ Die Geschichte des Jazz in Deutschland

Wolfram Knauer – „Play yourself, man!“ Die Geschichte des Jazz in Deutschland

Braucht die Welt ein Buch, dass die Geschichte des Jazz in Deutschland erzählt?

Buch kaufen Vö: 26.09.2019 Reclam

Man könnte argumentieren, dass Musik ein universales Medium ist, sodass sich eine Betrachtung eines bestimmten Genres in bestimmten, definierten Landesgrenzen von vorne herein erübrigt. Man könnte auch anders argumentieren und sagen, eine Geschichte des Jazz in Deutschland – dem Heimatland des Marsches und der steifen Hüften – erübrigt sich alleine deshalb, weil diese Musik ihren Ursprung ohnehin am anderen Ende der Welt gehabt hat und hierzulande lange Zeit nur unwesentlich mehr als ein lauer Abklatsch seiner großen US-amerikanischen Vorbilder gewesen ist.

Dass beide Argumentationsmuster nur wenig überzeugend sind, muss an dieser Stelle wohl nicht weiter ausgeführt werden. Und spätestens, wenn man sich ausreichend Zeit genommen hat und sich durch die knapp 500 Seiten des vorliegenden Buches gekämpft hat, versteht man, dass dieses Buch ohne Zweifel seine Daseinsberechtigung hat. Dafür gibt es eine ganze Reihe an Gründen.

Geschrieben wurde das Werk von Wolfram Knauer, der seit 1990 dem Jazzinstitut Darmstadt als Direktor vorsteht und sowohl im nationalen wie auch internationalem Kontext diverse Lehraufträge mit dem Schwerpunkt Jazzmusik innehatte. Die große Stärke des Buches liegt wohl darin, dass er gar nicht erst der Versuchung erliegt, die Musik isoliert von ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu betrachten, um damit einen Bereich der „unschuldigen (Sub)-kultur“ als Antagonie zur „boshaften, indignierten Politik/ Gesellschaft“ zu kreieren. Das wäre gerade im Kontext der deutschen Geschichte ein allzu leichtes Unterfangen gewesen, gilt doch der Jazz etwa im Kontext der NS-Zeit als Paradebeispiel für subversive Musik. Nein, der Musik wird kein Heiligenschein aufgesetzt, und mit einem zum Teil beeindruckendem Detailwissen auch weit über den Tellerrand des Jazz hinaus weiß das Buch verschiedenste Phänomene einzuordnen, zu erklären, und damit verstehbar werden zu lassen.

Knauer hat das Werk in 11 Kapitel und diverse weitere Unterkapitel gegliedert, deren Länge stets überschaubar und damit angenehm zu lesen bleibt. Gerade der Anfang des Buches zeigt sehr deutlich die Ambivalenz zwischen Faszination und Abscheu auf, die den Spirituals der Schwarzen, aus der sich dann später die Jazzmusik entwickelte, entgegenschlug, als sie zum ersten mal im damaligen Deutschen Reich zu hören waren. Exemplarisch lässt sich dieses Spannungsverhältnis anhand der damals in den Kolonialstaaten üblichen Praxis der sogenannten „Völkerschauen“ aufzeigen, die dazu führten, dass Deutsche zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben nicht-weiße Menschen zu Gesicht bekamen. Dass sie ihnen nicht als freie Menschen, sondern als zu Objekten gemachten, sogenannten „Wilden“ begegneten, sollte auch einen Grundstein dafür liefern, warum der Jazz später wie alle anderen Kunstformen, die überwiegend von Schwarzen praktiziert wurden, mit zum Teil größtem Ekel betrachtet wurde.

Dennoch konnte sich in der Zeit der Weimarer Republik gerade in größeren Städten eine virulente Jazz- und Swing-Szene entwickeln, die zwar überwiegend von den Europa-Tourneen US-amerikanischer Künstler zehrte, jedoch auch peu a peu eigene Künstler_innen hervorbrachte. Diese orientierten sich zwar hörbar an ihren großen Vorbildern aus Übersee, waren jedoch in der Regel auch noch merklich von hiesiger Musik beeinflusst und spielten daher meist eher musikalische Mischformen, etwa von deutschem Schlager und US-amerikanischem Swing gleichermaßen beeinflusste Musik, als klassischen Jazz. Doch die kulturellen Spuren der „golden 20s“ konnten nicht mehr negiert werden, sodass auch die Nazis sich mit der vorherrschenden Jazzbegeisterung arrangieren mussten. Dennoch wurde vonseiten des Regimes alles unternommen, um die Musik unter Kontrolle zu bringen, was sich etwa darin bemerkbar machte, dass eigens auf Anordnung der Reichsmusikkammer Bands gegründet wurden, die zwar ein wenig swingen durften, aber keinesfalls zu wild und improvisiert, weil diese Formen des freien Spiels als „vernegert“ wie „verjudet“ gleichermaßen galten.

Dennoch waren jene Teile der Szene, die sich nicht „zähmen“ und ihrem musikalischen Spiel keine von oben verordneten Grenzen setzen lassen wollten, nicht gänzlich totzukriegen, wenngleich die meisten von ihnen spätestens mit Kriegsbeginn entweder fliehen oder sich übergangsweise in den Bereich des Privaten zurückziehen mussten. Doch mit dem Ende des Krieges blühte die freie Szene wieder auf, zumindest im Westen: Insbesondere im damaligen amerikanischen Sektor wurde der Jazz nicht nur geduldet, sondern auch aktiv gefördert, sodass sich schnell auch eine Vielzahl an Kooperationen zwischen deutschen Musiker_innen und in Deutschland stationierten amerikanischen Soldaten entwickelte. In dem von der Sowjetunion besetzten Teil sah es dagegen gänzlich anders aus: Jazz wurde als Teil der US-amerikanischen Kulturindustrie betrachtet und war damit nicht gerne gesehen. Musik und Kultur im Allgemeinen wurden besonders in der Anfangszeit streng am Maßstab gemessen, inwiefern sie dem Aufbau des Sozialismus nützlich waren. Herrschaftskritik oder Staatsferne waren dadurch nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich. Etliche Musiker_innen jener Zeit wechselten daher in den Jahren bis zum Mauerbau in den westlichen Teil Deutschlands, um in Bezug auf die Ausübung ihrer musikalischen Leidenschaft weniger Restriktionen ausgesetzt zu sein. Dennoch entwickelte sich auch auf dem Gebiet der DDR mit der Zeit eine virulente Szene, die später auch internationale Anerkennung erfuhr.

Die zum Teil sehr ausführlichen Darstellungen jener Zusammenhänge, die eine zeitgeschichtliche Einordnung der deutschen Jazzgeschichte vornehmen, sind auch für jene spannend zu lesen, die nur ein peripheres Interesse am Jazz besitzen. Darüber hinaus ist das Buch aber auch gespickt mit einer Vielzahl an musikalischen Analysen, in denen in zum Teil sehr ausführlicher Weise verschiedendste Jazzaufnahmen aus Deutschland minutiös gedeutet und bewertet werden. Dies kann mitunter etwas ermüdend für das Gros jener sein, denen die Aufnahmen unbekannt sind und die zugleich nicht die Mühe und Zeit aufbringen können oder wollen, sich all die Aufnahmen zu Gemüte zu führen.

Über die Ausdifferenzierung des Jazz in verschiedendste Subgenres, eine ab den 60er Jahren beginnende Aufspaltung in eher an Neuer Musik und Avantgarde auf der einen, und eher massentauglichem, an Populärkultur orientiertem Jazz auf der anderen Seite und eine ausführliche Beleuchtung der DDR-Jazzszene schlägt Knauer einen Bogen ins wiedervereinigte Deutschland der 90er Jahre und schließlich ins 21. Jahrhundert. Jazz im Jahr 2020 lässt sich vielfach nicht mehr allzu leicht eingrenzen und definieren, die Diversifizierung und damit auch ihre kulturelle Unberechenbarkeit schreitet unbeirrt voran. So heißt das letzte Unterkapitel des Buches konsequenterweise: „Jazz wird diverser, weiblicher, queerer“. In Zeiten des zunehmenden regressiven Populismus und Autokratisierungstendenzen ist allein dies schon ein kleines Stück Emanzipationsversprechen.

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Von Veröffentlicht am: 11.03.2020Zuletzt bearbeitet: 11.03.20201063 WörterLesedauer 5,3 MinAnsichten: 661Kategorien: Buch, KritikenSchlagwörter: , 0 Kommentare on Wolfram Knauer – „Play yourself, man!“ Die Geschichte des Jazz in Deutschland
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Über den Autor: Luca Glenzer

Musiker und Soziologe.

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