Das war 2021 – Rückblick der Autor:innen: Heiko Lüker
Ein weiteres Jahr in der weltweiten Pandemie ist zu Ende gegangen. Touren wurden zum zweiten Mal verschoben, viele Bands haben sich mittlerweile aufgelöst und auch sonst ging nicht wirklich viel. Wie es dieses Jahr werden soll, steht dank der ganzen „Spaziergänger“ und neuer Mutanten in den Sternen. Es nervt. Wenigstens war das letzte Jahr recht spannend was neue Studioalben anging.
Hier meine persönliche Top 10 und weitere verdammt gute Alben in alphabetischer Reihenfolge:
1. Glassing – Twin Dream
Mein Album des Jahres, welches ich seit Ankündigung heiß erwartet hatte. Ich fand den Vorgänger Spotted Horse schon großartig. Die Band aus Austin, Texas klingt einzigartig und kombiniert viele Stile zu einem homogenen emotionalen Gesamtbild, das mal düster, mal melancholisch klingt. Und die Produktion ist verdammt gut differenzierter drückender Rotz. Davon mal abgesehen sind die zu dritt bzw. zu viert, wobei der vierte Mann etwas Elektronik mit reinbringt, die passt. Ich schreibe zwischendurch mit dem Basser/Sänger Dustin Coffman, übrigens ein sehr netter Dude.
2. Lantlos – Wildhund
Ging schon die letzte Scheibe Melting Sun stark weg vom Post-Black-Metal, ist Wildhund die Ankunft in einem Stil, der sehr rockig warm und atmosphärisch klingt, Deftones lassen grüßen. Ich war total geflasht, als ich die Scheibe zum ersten Mal gehört habe. Da ich Lantlos schon seit den Anfängen kenne, bin ich umso begeisterter, in welche Richtung sich das Projekt entwickelt hat. Auch spannend, wie mit echt tiefen Gitarren gearbeitet wird, ohne zu nerven.
3. Sperling – Zweifel
Rap und Alternative, der seinen Einfluss von Fjørt nicht leugnen kann. Ich bin echt etwas neidisch auf diese junge Band, die es schafft sehr gute deutsche Texte mit toller Musik zu kombinieren und dabei so sympathisch zu wirken. Die werden noch groß, und es ist ihnen definitiv zu gönnen.
4. Wowod – Yarost‘ I Proshchenie
Recht junge Truppe aus Sankt Petersburg, kombinieren Post-Rock/Doom mit richtig heftigem Blackend-Hardcore. Die Vocals sind teils kellertief und die Songs drücken ohne Ende. Ist zwar alles auf russisch, aber die Band war so nett, die Übersetzungen zur Verfügung zu stellen. Und ja, das ist Musik zur Apokalypse.
5. A Secret Revealed – When The Day Yearns For Light
Die Würzburger haben es geschafft alles, was ich bei der letzten Scheibe Sacrifises bemängelt habe, zu beherzigen und ein Album geschaffen, dass auf den Punkt kommt, sehr organisch klingt. Besonders das Schlagzeug klingt viel natürlicher und die Mischung aus Hardcore, Doom und Black-Metal kommt viel differenzierter rüber. Und davon mal abgesehen sind die atmosphärischen Parts richtig niederschmetternd, aber auch die Melodien sehr gut und selbige bringen etwas Licht in die Finsternis. Davon mal abgesehen ist die Gesangsleistung auch verdammt gut geworden und sehr facettenreich.
6. Der Weg einer Freiheit – Noktvrn
Ebenfalls aus Würzburg und so was wie die Ziehväter der vorherigen Truppe, steht die Band mit A Secret Revealed für mich auf gleicher Stufe, was meinem persönlichen Geschmack und meiner aktuellen Gefühlslage geschuldet ist. Insgesamt ist das Album großartig, die Songs sind spannend, die Melodien wunderschön und das Schlagzeug klingt endlich mal nicht so extrem nach Drumcomputer. Noktvrn ist eine sehr emotionale Scheibe geworden, der man anhört, dass sie live im Studio eingespielt wurde.
7. Humanity’s Last Breath – Välde
Finsternis in Modern klang schon lange nicht mehr so verdammt durchdacht. Im Gegensatz zur neuen Vildhjarta, bei denen Gitarrist und Mastermind Buster Odeholm Schlagzeug spielt, ist das hier sehr straight, brutal und nachvollziehbar. Der Sound ist nicht zu steril und die Songs sind recht spannend aufgebaut. Die Vocals sind absolut böse und brutal. Da kann kommen was will. Wenn es um Djent-Bands geht, sind Humanity’s Last Breath zur Zeit das Maß aller Dinge.
8. Mountainscape – Acceptance
Auf das britische Trio bin ich gekommen, weil das Cover wunderschön ist und den Bandnamen perfekt widerspiegelt. Richtig guter instrumentaler Post-Rock, der zwischendurch auch mal Blast-Beats zeigt und ziemlich düster werden kann. Aber die Melodien, die hauptsächlich am Start sind, sind wirklich schön. Davon mal abgehen, arbeitet der Gitarrist sehr viel mit einem Looper, und das richtig gekonnt.
9. Young Mountain – Infraröd
Schwedischer Post-Hardcore, wie er kaum besser sein kann. Sehr basslastiger Sound, roh, aber trotzdem hört man alles gut raus. Der Gesang ist teils mega schief, aber dafür umso emotionaler. Und wenn dann geschrien wird, kommen die sehr emotionalen Texte umso besser durch. Die Band hat sich echt gemausert und Infraröd ist zwar nicht das längste Album, aber perfektioniert den Sound der Band. Der Titelsound ist ein Aushängeschild des schwedischen Post-Hardcores. Ganz großes Kino.
10. Shy, Low – Snake Behind The Sun
So hat Post-Rock zu klingen. Tolle Gitarren, die zwischen schönen Pickings und harten Riffs pendeln, ein toll eingesetzter Bass, der mal clean alles unterstützt und mal verzerrt im Vordergrund ballert. Das Schlagzeugspiel ist verdammt inspirativ und immer auf den Punkt. Spannende fesselnde Songs schreibt die Band dazu auch noch. Was Post-Rock angeht sind Shy, Low in 2021 weit Vorne mit dabei.
Hier nun weitere Alben, die 2021 für mich herausgestochen sind:
Black Sheep Wall – Songs For The Enamel Queen
Neuer Sänger, aber die Band ist immer noch eine der langsamsten und dabei brutalsten Bands, die es im Post-Metal/Doom/Sludge gibt…
Chris Eckman – Where The Spirit Rests
Chris Eckman ist für mich eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Alternative-Country-Szene. Jonny Cash würde die Musik des Songwriters mit der tief-rauchigen Stimme lieben…
Cold Cell – The Greater Evil
Rasend schneller Black-Metal aus der Schweiz, der hoch-dramatisch und gleichzeitig finsterer als die tiefsten Meeresgräben klingt…
Darko US – Darko
Ultra fetter steriler Hardcore im Stil von den leider aufgelösten Tony Danza Tapdance Extravaganca. Teils klingt die Band nur noch abgedreht, kann aber auch verdammt gefühlvoll, wie der Song Donna beweist…
Deafhaven – Infinite Granite
Die ehemalige Speerspitze des Post-Black-Metal überrascht 2021 mit einem Album, dass die früheren Shoegaze-Momente auf die Spitze treibt und zeigt, wie The Smiths in der heutigen Zeit hätten klingen können. Und verdammt, George Clark, der sehr viele Gesangsstunden genommen haben muss, klingt für mich teilweise wie Morrisey zu seinen besten Zeiten…
Dreamwell – Modern Grotesque
Eine verdammt gute Mischung aus Post-Hardcore, Screamo/Skramz und teils schön chaotischen Riffs. Wer auf die alten Ebullition-Bands steht ist hier genau richtig…
Flesia – Trost
Black-Metal aus Leipzig, der komplett ohne Gitarre auskommt und den Hörer:innen Gift und Galle entgegen spuckt. Verdammt rotzig produziert und verdammt gute Texte auf Deutsch, die viel Raum für Interpretationen lassen…
Friisk – …un torügg bleev blot Sand
Klassischer deutscher Black-Metal aus Ostfriesland voller finsterer Melodien mit Texten, die teils auf Saterfriesisch geschrien/gebrüllt werden. Das atmosphärische Album mit Texten über das Meer und die Stürme an der Küste ist dazu sauber, aber mit genug Dreck produziert…
Frontierer – Oxidized
Das internationale Projekt mit Mitgliedern aus Amerika und Schottland klingt noch abgedrehter und gleichzeitig nachvollziehbarer als auf den vorherigen Alben. Allerdings ist die Musik doch eher für Hörer:innen geeignet, die mit hoch-technischem Krach etwas anfangen können. Meshuggah sind dagegen ein Sonntagsspaziergang, glaubt mir…
Nordsind – Lys
Wunderschöner Post-Rock aus Norwegen. Die melancholische Atmosphäre der Fjorde wurde großartig produziert eingefangen. Ein Album zum Träumen von einer besseren Welt…
Olhava – Frozen Bloom
Extrem verwaschener Black-Metal/Ambient aus Sankt Petersburg mit Mitgliedern von Trna. Die ausufernden Stücke erinnern an die ewigen weißen Weiten in der Tundra in Sibiriens…
Panopticon – …And Into The Light
Was Austin Lunn hier gezaubert hat ist schwer in Worte zu fassen. Die Grundlage bildet moderner Black-Metal, der sehr erdig produziert wurde und teils mit Instrumenten aus dem Country/Folk veredelt wurde. Insgesamt sind die hoffnungsvollen Songs an Epik kaum zu überbieten. Wer Musik mit verdammt viel Herzblut liebt, hat hier über 70 absolut tolle Minuten zu genießen…
SeeYouSpaceCowboy – The Romance Of Affliction
Sasscore direkt aus den guten alten Myspace-Zeiten Anfang der 2010er Jahre. Die Musik ist teils zerfahren, teils zaubert die Band aber auch tolle Emo-Refrains, die nie kitschig werden. Die Texte sind hoch-politisch, pro-LGBTQ und verdammt ehrlich.
Spiritbox – Eternal Blue
Das Album kann als Pop-Album im Modern-Metal-Gewand bezeichnet werden, allerdings im positiven Sinne. Die verdammt breit und druckvoll produzierten Songs werden von Courtney LaPlantes regelrecht veredelt. Die Dame schafft es, einen erst in Sicherheit zu wiegen, um ihn danach in Grund und Boden zu brüllen. Aber auch ihr Ehemann Mike Stringer an der Gitarre und die Rhythmus-Fraktion Bill Crook (Bass) und Zev Rose (Drums) sich absolut hören lassen in ihrem völlig tighten spielen…
Suffocate For Fuck Sake – Fyra
Die Schweden verzaubern erneut mit einem konzeptionell perfekt ausgearbeitetem Album, in dessen Texten vier (Fyra) Handlungsstränge rund um Süchte behandelt werden. Musikalisch bewegt sich die Band in emotionalen Post-Metal-Gefilden, die den Hörer:innen die unterschiedlichen Stimmungen sehr nah bringen. Man taucht in die Geschichten ganz tief ein und kann sich den rund 80 Minuten Musik nicht mehr entziehen…
Superbloom – Pollen
Grunge is alive! Superbloom schaffen es die rauen Klänge aus Seattle in 2021 zu bringen und wirken dabei so verdammt frisch und ehrlich, dass es schon unheimlich ist. Hier hat jemand Nirvana und Konsorten mit der Muttermilch aufgesogen…
The Pighounds – Hilleboom
Verdammt sympathischer Alternative/Grunge/Blues-Rock aus Dortmund. Peter (Gitarre) und Sandro (Drums) bilden eine Einheit, die es weiß, mitzureißen. Auch live sehr zu empfehlen. Einfach zum Liebhaben…
Trna – Istok
Ebenfalls aus Sankt Petersburg stammt das Trio, das eine tolle atmosphärische Wall of Sound auf die Hörer:innen loslässt. Die rein instrumental gehaltenen Stücke, Ausnahme: Shining, das von dem Sänger von Gaerea veredelt wird, erzählen Geschichten, die spannend sind und musikalisch perfekt umgesetzt werden…
Violet Cold – Empire Of Love
Allein das Cover des Albums mit Mondsichel auf Regenbogenflagge ist schon verdammt mutig. Das Solo-Projekt mit Gastmusikern eines lieber um Geheimen bleibenden Künstlers aus Armenien kombiniert Einflüsse aus Black-Metal, orientalischer Folklore und Post-Metal und macht daraus etwas völlig Eigenständiges. Garniert wird die Musik von gesellschaftskritischen Texten. Sehr mitreißende Stücke, die immer eine Überraschung bereit halten…
Zerfall – Wach
Die Instrumental Post-Black-Metal-Band aus Bamberg um Gitarrist Seeb Gerischer und Drummer Felix Zöttlein hat einen völlig eigenen Drive. Wach besteht aus einem 30 minütigen Song, der die Ästhetik eines Jams hat, jedoch ein perfekt aufeinander eingespieltes Duo zeigt, das zu jedem Ton und Schlag genau weiß, was es macht. Die absolut treffende Produktion rundet das Gesamt ab. Da wächst was Großes…
Wenn dein Album, Song oder Video als Premiere auf prettyinnoise.de veröffentlicht werden soll kannst du hier mehr erfahren:
Wenn du einen Gastbeitrag auf prettyinnoise.de veröffentlichen möchtest kannst du hier mehr erfahren: