Das war 2018 – Rückblick der Autoren: Holger Schilling

Das war 2018 – Rückblick der Autoren: Holger Schilling

Meine für diese Auswahl zusammengetragenen und mir selbst auferlegten Doktrinen besagen z.B.:

  • dass ich versuche für die TOPs wirklich nur VÖs in Betracht zu ziehen, die in dem besagten Jahr erschienen sind.
  • es sollten VÖs in entsprechender Länge sein, eine Single oder EP reicht im Grunde genommen nicht aus (ausser sie ist brilliant).
  • genauso gilt es, eine Wiederholung von Künstlern zu vermeiden, um eine breitverzweigtere Möglichkeitsstruktur zu bieten, als immer wieder dieselben toll musizierenden Tausendsassas zu verbreiten, egal wie gut die sind (ab einem gewissen Level setze ich durchaus schon eine damit kohärente Popularität voraus).
  • es einen interessanten Querschnitt meiner Hörgewohnheiten bietet, eine ausgewogene Mischung verschiedenster Stilrichtungen erfasst und nicht nur eine Schublade bedient.

Sicherlich gibt es auch immer Ausnahmen, aber selbstgemachte Regeln sind ja gewisser weise dazu da, um mit ihnen zu brechen. Eine klare Reihenfolge nach Wettbewerbsmanier gibt es nicht, es ist immer schon schwer genug aus der Masse von Veröffentlichungen das für sich Beste zu destillieren.

Zeal & Ardor – Stranger Fruit

Der Baum der Erkenntnis trägt seltsame Früchte – die konsequente Fortsetzung des Southern Folk-Gospel-Metals – geschmiedet von Manuel Gagneux.

Ein stoisch dissonantes Klavier empfängt und begleitet dich – lässt dich zu einem taumelnden Beat hypnotisiert traumtänzeln, während du zu dieser seltsamen Frucht heraufblickst und eine Stimme dir einflüstert, dass du sie probieren sollst… und die Stimmen werden lauter… immer lauter… bist du dem Drang nicht mehr widerstehen kannst… diese seltsame Frucht zu probieren…

https://prettyinnoise.de/zeal-ardor-stranger-fruit.html

Rotor – Sechs

Die Jungs begleiten mich schon seitdem sie angefangen haben zu Zählen. Daher ist es ein Leichtes, die simple Nummerierung nachzuvollziehen, die am Anfang noch zu dritt praktiziert wurde, seit Album 5 aber mittlerweile von 4 Rotaristen vollzogen wird. Mit vollem Sound und Punch an der Kette. Sowieso sind die Titel eines Rotor-Albums über alles erhaben und beinhalten genau das wofür sie stehen. Dieser Falscher Dampfer Allmacht unter Ferner Liefen und dann: die ABFAHRT! Vor dem Herrn… danach nötig: DRUCKVERBAND. Live ist dieses Rotarium ein Feuerwerk der Spielfreudigkeit der trocken fuzzgetränkten Gitarren., ein Bollwerk der Bass-Tion gepaart mit schlagzeugtechnischer Präzision.

Carlton Melton – Mind Minerals

Klare Position im Schwurbel-Durbel-Gitarrenbereich: MR CARLTON MELTON! Unglaublich unterpräsent wie eine Legende im Wind. Wenn Freakquenzy der Fußboden des Untergrunds ist, ist Mr. Melton das Gespenst, das um die Turmspitzen weht, die es nicht gibt. Somit gab es eine begleitende Europa-Tour mit sage und schreibe vier Deutschland-Terminen, wobei z.B. der Oldenburg-Termin gerade mal von einer Handvoll Leute besucht worden war… traurig!

Wahrscheinlich macht diese Truppe im Grunde nichts anderes als Sonic Youth es tun, aber der Sound ist mir um so viele Ebenen gefälliger und vertrauter. Schwurbeln sollen sie, schwurbeln, um sich selbst und um mich. Ein Besuch auf dem Mond ist dabei nicht ungewöhnlich. Jedoch gibt es auf der Oberfläche dort ungefähr genauso viele CM-Fans wie auf einem WEEN-Konzert.

Distrupt – Omega Station

Various – Jahtarian Dubbers Vol. 4 (+3)
Asteroid Dub Force Various – Jahtarian Dubbers Vol. 3
Chrono Trigger Various – Jahtarian Dubbers Vol. 4

Diese umtriebigen 8-Bit-Dubber kamen nicht umhin, die diesjährige Lücke eines dystopischen Science-Fiction-Thrillers zu komponieren. Der die düstere Atmosphäre eines Blade Runner mit der klaustrophobischen Struktur von ´The Thing´ kreuzt, alles im Soundkostüm eines 90er Jahre PC Adventures. Spannend wird es, wenn man sich die sonstigen Riddim-Beiträge und catchy Dance-Tunes der Truppe mal zu Gemüte führt. Wer hätte gedacht, das so etwas mit mehreren hintereinander geschalteten C=64 Soundchips möglich ist?

Lumerians – Call of the Void

Es ist keinesfalls abwegig, dass sich dieses Kollektiv als weitgereiste Außerirdische inszeniert, die vor Jahren schon Vorbotschaften ihrer zukünftigen Ankunft von Telos an uns gesendet haben. Um nun die Lee(h)re zu verkünden. Während ihrer langen Reise verspielten sie sich die Zeit mit den hier zu hörenden Kompositionen. Zu den düsteren Wave-Synthies, Uhrwerk-Percussions und flirrenden Gitarren gesellt sich stellenweise passende nasshallende Goth-Poesie (Gothang). Minder ist dies nicht eine Anrufung der Leere, sondern das Ergebnis als die Lumerians der Ruf dieser erreicht hatte und was sie hervorbrachten, um sie wieder zu vertreiben.

King Buffalo – Longing to be the Mountain

Sollte man derzeit noch Anhänger einer Monarchie werden wollen, schließt euch diesem König an. Etwas amüsiert muss ich nun wohl doch annehmen, das ich vermehrt Gefallen finde. An dieser leicht zurückgelehnten Rockmusik im soundtechnisch astreinem Gewand, mit gelegentlichen Aufbrüchen dem Gipfel des Berges entgegen, um letztendlich klang-und druckvoll dieser zu werden. Majestätisch. Mächtig. Erhaben. Ruhig. Gewaltig. Anbetungswürdig.

Da haben sich ein paar büffelfelltragende Halunken prima abgesprochen, wie etwas miteinander am geilsten und prachtvollsten klingt, wächst und schlussendlich als Berg endet, als lediglich ein paar fuzzige Riffs aneinander zu reihen.

Hawthonn – Red Goddess (Of This Men Shall Know Nothing)

Im vergangenen Jahrzehnt zeichnete sich deutlich ein Trend bezüglich neugewonnener Popularität gegenüber der im Mittelalter so schändlich geächteten und verfolgten Hexen und damit einhergehenden Magie ab. Angefangen mit dem Jungen der überlebte, sponnen sich gerade in den letzten paar Jahren düstere Nacherzählungen dieser überwiegend weiblichen, geheimnisvollen Kultur (z.B. The Witch, Hereditary, Game of Thrones). Nun legen also Hawthonn ihr Werk vor. Da wird es dann auch schwierig mit der Bezeichnung Musik. Wähnt man sich in den ersten Minuten von „In Mighty Revelation“ noch inmitten eines Rituals mit spezieller Atemtechnik, wobei das musikalische später der melodiöse zartgehauchte Gesang ist. Als kurzes Zwischenspiel carpentert sich „Misandrist“ dann durch eine vergessene Myers-Melodie um die darauffolgende „Lady of the Flood“ anzukündigen. Übrigens ist erst auf der B-Seite bei „Eden“ der erste angeahnte, durchgängige Rhythmus zu vernehmen, gängig für den Terminus Musik. Im Ganzen erwartet euch sphärischer Hexen-Folk mit (Light)-Drone/Ambient-Teppichen unter den nackten Füssen, Gesang so zart wie Spinnweben im Morgennebel… erinnert von der Atmosphäre sehr an AETHENOR.

The Dunes – The Dunes

Im Bereich des Stonerrock ist meine Akzeptanz für reproduzierte Genrekost schon lange nur noch verschwindend gering, um lediglich Riff und Stil-Kopisten abzufeiern (River Cult, Domkraft, Psychlona), völlig egal wie gut und enthusiastisch diese sind. Wenn aber die Lieblings Neo-Austin-Psych-Combo mal keine neue Scheibe veröffentlicht, darf dieses Sand-Kollektiv eine vermeintliche Black Angels B-Seiten-Ansammlung als eigenständiges Album vorzeigen. Witzigerweise verpacken die Musiker bekannte Neo-Engel-Songstrukturen in den staubig, vernebelten Sound der Black Angels-Anfangsalben.

Cambrian – Mobular

Warum nicht gleich mit einem Schwergewicht weitermachen? Aufmerksam wurde ich bei Kozmik Artifactz, die dortige Beschreibung machte mich sofort neugierig. Hawaiian Lap-Steel mit DoomSludge gekreuzt? Hanebüchene Papiergeburten werden Dank Steel Guitar im Sleep-Mode und Bast-Röckchen samt Doom-Hula gewaltige Wirklichkeit.

Sind die Füßchen erstmal naß geworden von der wachsenden Flut, wird dich die Western Atmosphäre barmherzig überfluten. Sowas relaxed-brachiales hat man wahrscheinlich schon lange nicht gehört. War perfekt für diesen unbarmherzigen Sommer, der von chilliger Abendatmosphäre plötzlich zu gleissender Mittagshitze führt, flirrende Fiebergitarren inklusive.

Dylan Carlson – Conquistador

So Hex hat Mr. Ouroboros schon lang nicht mehr geklungen. Auch ein gewiefter Schulterschlag zum ersten Eintrag in dieser Liste. Aber auch die gleissend-drückende Hitze von Cambrian wird hier direkt aufgenommen. Ähnlich dem Pioniergeist des Americana-Earth-Outputs mäandert sich Mr. Carlson auf dem südlichen Kontinent durch ein Konzeptalbum über einen spanischen Eroberer. Vielmehr chillt ein bejahrter Plantagenbesitzer auf seiner Veranda, neben sich eine Karaffe mit eisgekühlter Alabama-Limonade, welche die drückende Schwüle der Sümpfe Louisianas erträglicher macht. Er brütet über einem alten Buch und ergötzt sich an den Geschichten aus dem Leben eines seiner Vorfahren, die bei weitem alles andere als angenehme Gesellen waren.

Nach dem repetetiven Werdegang der jahrelang auf hohem Niveau stagnierenden Hauptband Earth, was letztendlich sogar in wilden Experimenten mit Gesang kulminierte, druckt er hier die geile alte infernale Methode durch seine Klampfe und Effektgeräte, gesellt herrschaftliche Bläsersätze dazu und lässt sich seine Limonade schmecken.

Marcel Bontempi – Havana Moon 7″ (& many, many more)

Der König der Seven Inch sollte auch mal wieder Erwähnung finden. Niemand versteht es heuer Tage besser, den althergebrachten Charme der Fifties heraufzubeschwören – Im Klang seiner abwechslungsreichen und regelmäßigen Veröffentlichungen, sowie auch im selbstgestalteten Look dieser. Sei es nun mit seinen MONTESAS, der DR. BONTEMPIS SNAKE OIL COMPANY oder der hier hervorzuhebenden Solo-Machenschaften.

Aufgrund der schnell vergriffenen Kleinstauflagen dieser begehrten Kleinformate dieses außergewöhnlichen Allround-Künstlers (seine gestalterischen Arbeiten beinhalten gar Theater-Kulissen und ganze Sets für spektakuläre Videos in Eigenregie), wäre es an der Zeit für eine Compilation wie WITCHES SPIDERS FROGS & HOLES. Diese versammelte die von 2011 bis 2014 erschienenen Singles, meist fast vollständig. Fieserweise fehlt hier und da doch ein Track, den nur eingefleischte Bontempi Fans aufgrund jahrelanger Loyalität im Regal haben.

Ideal wäre nun eine Kompilierung der Folgejahre 2015 bis 2018

Besonders delikat wäre ein Einstieg mit der A-Seite der Squoodge-45-Series-Rarität „Mambo Jazz“. Die B-Seite „My Fathers Grave“ wäre ein königlicher Abschluss dieser Zusammenstellung. Nicht minder gesucht wäre Black Cat mit vier Titeln, die wirklich immer das Wort CAT beinhalten und puren Rock and Roll in all seiner Mauffzigkeit zelebrieren. Als Kompilierer würde ich mir hier den ersten Schnitz erlauben und heimlich CAT MAN von der Liste klauben. Die Beschaffungs-Geschichte der einseitig bespielten Single CRAWFISH würde wohl sowieso niemand glauben und ich hätte nie gedacht, daß man so viele Emotionen für noch nicht einmal vorher gehörte zweieinhalb Minuten entwickeln kann. Feinerweise ist es ein ultra-geiler Agentenmusik-Soul-Crasher mit Backroundqueen IraLee, der unbedingt einer größeren Hörerschaft zur Verfügung gestellt werden muss! BURY ALL MY TROUBLES ergattert man noch relativ entspannt, vielleicht auch aufgrund der B-Seiten Wiederholung DIG A HOLE, zu der ich keinen Unterschied zur früheren BOP-Version erhörte. Das mit einem kongenialen Video vermarktete „Haunted House“ kommt mit der 60s-spacig-flötigen B-Seite „The Clock Strikes 3“ daher. Was will man mehr? Schliessen wir diesen Reigen mit schon immer im Bontempi Kosmos versteckten Hawaii-Tunes, unter dem „Havana Moon“ und „Blue Moon Baby“. Bestenfalls werden noch die im Februar 2019 anstehenden Mambo Voodoo und Lone Wolf-7″ abgewartet.

Seven Inches


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Lalo Schifrin – Bullitt (Original Motion Picture Soundtrack)

Dieser großartige Künstler sollte nicht in Vergesssenheit geraten. Als Komponist zahlreicher Soundtracks (unter anderem MISSION IMPOSSIBLE) ist er ein wahrer Virtuose besonders am Klavier und zahlreicher anderer Instrumente. Neben lupenreiner 60s-Easy-Listening-Atmosphäre auf der einen Seite verströmt BULLITT geradezu adrenalingeladene Action Szenen mit angespannter Atmosphäre und ruft rasante Autoverfolgungsjagden vor dem inneren Auge hervor. Knallharter Cop in einem viel zu schnellem Auto. Ich habe verstanden.


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