Das war 2017 – Rückblick der Autoren: Jennifer Depner

Das war 2017 – Rückblick der Autoren: Jennifer Depner

2017: Das Jahr, in dem ich nach einer längeren gesundheitlichen Achterbahnfahrt endlich wieder richtig durchstarten konnte. Das Jahr, in dem ich mich beruflich neu orientiert habe. Das Jahr, in dem ich bei prettyinnoise.de eingestiegen bin. Das Jahr, in dem mich die Musik erneut in meinen glücklichsten und schwierigsten Stunden begleitet hat. Alben, die mich aufgebaut und euphorisiert haben. Die mich zum Nachdenken anregten. Die mir die Augen öffneten und mich trotzdem zum Träumen einluden. Was für ein Jahr. Mach’s gut, 2017!


1. The War On Drugs – A Deeper Understanding

„The truth is in the dark.“

Bruce Springsteen, Bob Dylan, Bryan Adams – mit vielen anderen kann man die Stimme Adam Granduciels vergleichen, und für mich ist sie doch unverkennbar. Und „A Deeper Understanding“ nicht nur das mit Abstand beste Album des Jahres, sondern auch das beste einer Band, die in ihrer jungen Karriere bisher nichts falsch gemacht hat. Warmherzigkeit, Kumpeligkeit, Romantik, ein intimer Einblick ins Seelenleben des Frontmannes, der meine Emotionen stets an der richtigen Stelle abholt. Ich habe mit ihm mitgefiebert, mitgefeiert, mitgelacht, mitgeweint, und wie eine Palette von Wasserfarben verschwommen die Gefühle oft ineinander. „A Deeper Understanding“ ist kein vertonter Herzschlag, es ist das Herz, und bei mir klopft es jedes Mal so laut, dass sich alles seinem Rhythmus anzupassen vermag.

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2. Fleet Foxes – Crack-Up

„Turn any eye into the ivy / And I won’t bleed out if I know me.“

Mit der Musik von Fleet Foxes verbindet mich etwas Persönliches: Als ich 2009 meine Sachen in meiner Studentenbude packte, um danach in mein 250 Kilometer entferntes Zuhause zurückzukehren und mich fragte, wie es weitergehen sollte, waren es Robin Pecknold & Co., die mich vor dem Wahnsinn bewahrten. Deren Alben, insbesondere das Debüt, liefen damals in Dauerschleife, sie begleiteten mich durch diesen merkwürdigen, durchwachsenen Sommer, ich hörte sie auf dem Weg zu Vorstellungsgesprächen, ich ließ sie nachts laufen, um mich zu beruhigen, ich hörte sie morgens beim Fertigmachen im Bad. Kann eine Band, die mich in der Vergangenheit so intensiv begleitet hat, überhaupt noch mal gewinnen, wenn diese emotionale Komponente im meinem Leben derzeit ausgeglichen ist? Sie kann: „Crack-Up“ überraschte mich, weil ich mit seiner Güte, seiner Stärke kaum noch gerechnet hatte. Der Fehler lag bei mir – und doch war die Freude am Ende ebenso ganz meinerseits.

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3. St. Vincent – Masseduction

„How can anybody have you and lose you / And not lose their minds, too?“

Diese Annie Clark. Die darf bei mir fast alles. Warum? Weil sie quasi alles gut und richtig macht. Und auf „Masseduction“ schafft sie sogar etwas Neues: Sie lässt den Hörer erstmals etwas näher an sich heran. Sie öffnet die Tür zu ihrem Inneren. Und wenn das alles dann doch nicht echt sein soll, lässt sie mich, uns, alle wenigstens in diesem wunderbar-wohligen Irrglauben. Dann säuseln wir mit ihr gemeinsam in der Herzschmerz-Nummer „New York“ etwas von jenen einzigen Motherfuckern, die mit uns zurechtkommen, erinnern uns an unseren eigenen Johnny, der uns als wohl einziger Mensch auf der Welt in- und auswendig kennt, tanzen mit den Geistern unserer Vergangenheit und stellen am Ende ebenfalls fest: Es ist nicht das Ende. Was für ein Glück.

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4. Slowdive – Slowdive

„We’re no longer making time / Forever we’ll be together / We breathe.“

Sonntag, 18. Juni 2017, ich bin mit einer Freundin beim möglicherweise besten kleinen Festival Deutschlands – dem Maifeld Derby – und wir schwitzen uns gelinde gesagt die Seelen aus dem Leib. Die Sonne brannte den ganzen Tag auf den Platz herunter, die Getränkestände waren für uns der Himmel auf Erden, die Verkäufer unsere besten Kumpels. Im großen Palastzelt staut sich die Luft, wir bewundern die Leute, die sich tatsächlich vor der Bühne aufbauen und inmitten vieler anderer Menschen noch mehr Hitze entwickeln müssen. Wir liegen auf dem einigermaßen kühlen Boden, schauen nach oben, schließen die Augen. Und fangen an zu träumen mit Slowdive, Headliner an diesem letzten Festivaltag, auf die ich mich am meisten gefreut habe. Schon lange höre ich diese Band, und doch bin ich zu jung, um sie in ihren Anfangsjahren kennengelernt zu haben. Macht nichts: Mit ihrem Comeback-Album „Slowdive“ spielten sich die Briten nur umso tiefer in mein Herz. Eine Liebe, die erst begann, als die Band bereits aufgehört hatte zu existieren, und die doch für immer ist. Ganz sicher.

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5. Vagabon – Infinite Worlds

„And we sat on my cold apartment floor / Where we thought we would stay in love.“

2017 war bestimmt nicht das beste Jahr überhaupt, und viele Dinge hätten anders, besser laufen können. In so manch frustriertem Moment war es ausgerechnet eine junge Singer-Songwriterin, die mir vor diesem Jahr gänzlich unbekannt war. Wie sich die Kamerunerin Laetitia Tamko alias Vagabon innerhalb dieser kurzen Zeit so bei mir einschmeicheln konnte, liegt vor allem an diesen durch und durch glaubwürdigen, immer irgendwo zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankenden Stücken auf ihrem grandiosen Debüt „Infinite Worlds“. Ich habe mir die Stimme zu „The Embers“ heiser gegrölt, bin mit „Minneapolis“ auf den Ohren tanzend durch die Wohnung gefegt, habe während „Cleaning house“ vor mich hingeträumt und gegrübelt. Das einzige, das noch besser als „Infinite Worlds“ ist die Tatsache, dass Vagabon gerade erst anfängt – und schon alleine deshalb muss die Zukunft einfach besser werden.

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6. Gisbert zu Knyphausen – Das Licht dieser Welt

„Ich wünsch Dir den Mut Dir zu nehmen, was Du brauchst / Ein lachendes Herz und Freunde zuhauf / Mit denen Du reisen kannst soweit Eure Vorstellungskraft reicht / Diese Welt ist voller Wunder, und Ihr auch.“

Gisberts erstes, selbstbetiteltes Album war die große Fete. Jugendlich, stürmisch, ein bisschen naiv, stets ehrlich, voller guter, opulenter Momente, die man immer mit anderen teilen wollte und die dann nur umso eindringlicher erschienen. Der Nachfolger „Hurra! Hurra! So nicht.“ war ein bisschen wie der Morgen danach: Da dämmerte einem, was man angestellt hatte, da tat alles ein bisschen weh, da wollte man allein sein und sich am liebsten unter der Decke im Bett verkriechen, während Gisbert vom Leben erzählte, wie ein guter Freund, der einen versteht und zwar nichts gegen alles Böse machen kann, aber immerhin da ist, wenn man ihn braucht. Bis der Freund dann plötzlich nicht mehr da war: Gisbert reiste um die Welt, verschwand, veröffentlichte irgendwann gemeinsam mit Nils Koppruch ein gemeinsames Album, noch so einem alten Freund, der irgendwann leider tatsächlich ganz weg war. Sieben Jahre dauerte es, bis Gisbert mit „Das Licht dieser Welt“ zurückkehrte. Keine Fete, kein Morgen danach. Sondern: Entspannung. Reife. Ein gemütlicher Abend mit jener Handvoll Menschen, die einem am wichtigsten sind, ein leckeres Glas Wein, ein Stück Pizza, viel Gerede, noch mehr Gelächter. Wir brauchen die dicken Partys nicht mehr, den Schädel danach erst recht nicht. Und wieder ist Gisbert derjenige, der weiß, was man braucht und genau das liefert. Und wie.

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7. Courtney Barnett & Kurt Vile – Lotta Sea Lice

„Books waiting to be written / Lovers waiting to be loved / Songs here, underneath my fingers / Waiting to be sung.“

Courtney und Kurt, da werden Erinnerungen wach, und nicht gerade gute. Was für ein Glück, dass es sich 2017 um die beiden Zottelköpfe Courtney Barnett und Kurt Vile handeln. Die haben entschieden: Was zusammengehört, sollte zusammen sein. Das Ergebnis dieser ertragreichen Freundschaft: „Lotta Sea Lice“, ein Album wie die beiden Musiker dahinter: Gemütlich, liebenswürdig, ein bisschen lustig, ein bisschen melancholisch. Und sehr, sehr gut. Da freut man sich jetzt schon aufs Erinnern und noch mehr darüber, dass es jetzt positive Assoziationen mit diesen beiden Namen gibt. Besten Dank, und nicht nur dafür!

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8. The National – Sleep Well Beast

„Go back to sleep, let me drive, let me think, let me figure it out / How to get us back to the place where we were when we first went out.“

Jeder Mensch, der The National mag, hat eine Geschichte dazu. Wie er sie mal live gesehen hat, was es mit ihm angestellt hat. Wie er jenen Song zum ersten Mal gehört hat. Mit welchem Album er sie kennengelernt hat. Und warum? Weil The National nahbar sind, ihre Musik brutal offen, Matt Berninger wie ein Kumpel, von dem alle wissen, dass er eigentlich zu viel trinkt und den man trotzdem machen lässt. „Sleep Well Beast“ ist nicht das beste Album der Band, aber das beste, das sie dieses Jahr machen konnten, und alleine dafür würden sich andere Künstler einen Arm amputieren lassen. Und auch hier: Berninger und die beiden Brüderpaare Dessner / Devendorf besingen die Ehe – keine glückliche, sondern eine, die dabei ist, auseinanderzubrechen, die langsam wegstirbt, der alle Beteiligten bei besagtem Wegsterben nur noch zusehen können. Warum tue ich mir das freiwillig an? Weil auch ein Ausritt in die düstersten Bereiche menschlichen Versagens durchaus kathartisch sind. Und weil niemand den Soundtrack für diese Seelen-Apokalypse besser drauf hat als Berninger und seine Kollegen. Wenn ich schon in den Abgrund schauen muss, dann wenigstens mit der passenden Begleitung.

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9. King Krule – The Ooz

„I wish I was equal / If only that simple / I wish I was people.“

Klar ist das immer doof, wenn Musikliebhaber erzählen, dass sie Künstler XYZ schon viel länger als andere kannten und abfeierten. Vor allem, wenn sie Künstler XYZ dann nicht mehr so toll finden, nur weil jetzt auch andere in den Genuss seiner Musik kommen. Nun ja: Ich kenne Archy Marshall alias King Krule noch von seiner Zeit als Zoo Kid – und finde ihn immer besser. „The Ooz“ ist ein Monster von einem Album. 19 Songs in über einer Stunde, und wirklich zugänglich ist hier höchstens das blaue Cover. Ansonsten experimentiert dieser gerade mal 23-Jährige munter mit Beats, Genres und Instrumenten. Ganz ehrlich: Den sollten sich so viele wie möglich anhören.

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10. Kendrick Lamar – DAMN.

„You take two strangers and put them in random predicaments / Give them a soul so they can make their own choices and live with it.“

Na gut, ich sag es: Kendrick Lamar ist der beste Rapper, den wir derzeit haben. Und „DAMN.“ ist nicht mal sein bestes Werk. Dennoch: Ohne Schnörkel, ohne Experimente, ohne größere Sound-Spielereien überzeugt King Kendrick auch pur. Da dürfen sogar U2 als Gäste auftauchen. Da dürfen die Musikvideos auf Hochglanz poliert in Blockbuster-Optik über die Bildschirme flimmern. Da darf das Album sich selbst am Ende zurückspulen, um noch mal von vorne zu beginnen. Dabei benötigt Kendrick gar keine Auferstehung mehr: Der ist hier, um zu bleiben. Und ich freu mich drüber: „HUMBLE.“ ist Dicke-Hose-Rap, ohne wie Dicke-Hose-Rap zu wirken. „LOYALTY.“ versaut mir nicht mal die in meinen Augen vollkommen überschätzte Rihanna. Und „DUCKWORTH.“ zum Schluss erinnert mich an tollen, entspannt flowenden Neunzigerjahre-HipHop. Kendrick kann alles. Da lege ich sogar viel zu viel Kohle auf den Tisch, um mir das auch mal live anzuschauen. Wir sehen uns im Februar!

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Von Veröffentlicht am: 30.12.2017Zuletzt bearbeitet: 30.12.20171919 WörterLesedauer 9,6 MinAnsichten: 1085Kategorien: NewsSchlagwörter: , 0 Kommentare on Das war 2017 – Rückblick der Autoren: Jennifer Depner
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