KRITIK: Nils Frahm – Music For Animals

KRITIK: Nils Frahm – Music For Animals

Nach dem Album des Jahres 2018, All Melody, zahlreichen Alben mit Musik aus dem Archiv und einem Live-Album beantwortet Nils Frahm endlich die Frage, was er in der Pandemie gemacht hat. Er hat ein über 3 Stunden langes neues Album namens Music For Animals aufgenommen. 10 Songs, kein Piano.

All Melody war die absolute Krönung Frahms bisherigen Werkes. Da stimmte einfach jeder Ton, jeder Sound und jede Harmonie – getoppt nur durch die Konzerte, die auf dem dazugehörigen Livealbum zu bewundern sind. Richtig, richtig gut.

Aber nach jedem der von mir besuchten drei Konzerten der All Melody-Welttournee (Hamburg, München, Hamburg) habe ich mich gefragt, wohin die musikalische Reise danach gehen könnte. Noch größer? Noch spektakulärer? Kollaborationen? Mehr Stimmen? Mehr Drums? Oder doch ganz etwas anderes? Frahm blieb die Antwort lange schuldig. Zunächst kam die erwähnte Öffnung des Archivs mit sehr viel Solopiano, ganz alten Frahm-Aufnahmen und eine Kollaboration mit F.S. Blumm. Jetzt ist Music For Animals da und es ist so ganz anders als ich (und vermutlich die meisten) erwartet habe.

Music For Animals ist die Antithese gegen 3-Minuten-Songs, gegen Spotify-Playlists die man nur kurz anspielt, gegen Schnelllebigkeit, Kurzweil und Konzentrationsmangel.

Man kann Music For Animals nebenbei hören und mal so durchskippen. Dann ist es das langweiligste Album der Welt – aber immerhin muss man drei Stunden lang nichts neues aussuchen. Das ist also schon mal ein gewisser Kundenservice. Und weil Frahm so ein netter Kerl ist, gönnt man ihm, dass er sogar so etwas auf Vinyl verkloppen kann.

Denn vordergründig aktiviert Frahm auf den meisten Songs den Arpeggiator auf seinem Juno für 7 bis 27 Minuten, wirft hier und da ein paar Töne ein, mikrofoniert den Raum ab, dreht ein paar Knöpfe (sehr langsam), dengelt das auf Platten und steckt sich unser Geld ein. 4LPs sind teuer. Oder er drückt 23 Minuten lang die eine oder andere Taste und hört dann irgendwann damit auf. Fertig.

Oder aber man lässt sich auf dieses Album ein. Und damit auch darauf, dass man einen Song von über 20 Minuten eben auch über 20 Minuten hören muss. Das erfordert eine ganze Menge Arbeit beim Hören, das muss man wollen. Aber es offenbaren sich dann ganze neue Dinge. Denn es ist immer noch ein Album von Nils Frahm und der weiß ganz genau was er tut. Das ist kein Druffy, der Musik völlig willkürlich passieren lässt, den Musik aus Versehen passiert. Da steht immer ein Plan, ein Gedanke hinter. Die Töne stehen in spezifischen Zusammenhängen zueinander, die Songs sind nicht einfach mal hier 9, da 15, da 27 Minuten lang, das sind durchdachte Kompositionen. Das Spannende ist, was alles an Nuancen passiert, was man entdecken kann. Und dazu noch ein unerwarteter Aspekt: Wie das Album einem anbieten, die Hörgewohntheiten zu ändern, sich zu entschleunigt. Sich Zeit für Musik zu nehmen. Nicht dauernd etwas nebenbei zu machen. Zu hinterfragen, wie man Musik hört, wie aufmerksam man ist, wieviel Zeit man einem einzelnen Song, einem Album gibt.

Die scheinbar langweilige Musik ist große Kunst. Kunst, die in den Alltag eingreift, die zum Reflektieren einlädt, die aber auch akzeptiert, dass man sich nicht drauf einlässt. Kunst, die eine Ruptur der Wahrnehmung ermöglicht aber nicht aufzwingt. Es ist okay Music For Animals kacke oder langweilig zu finden. Das ist kein Album das Hörer:innen anspringt und schreit: Lieb mich, lieb mich, lieb mich, ich bin Dein neues Lieblingsalbum. Das ist ein anspruchsvolles Album, auf das man sich einlassen muss. Und wenn man das tut ist es ein wunderbares Geschenk.

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Von Veröffentlicht am: 19.09.2022Zuletzt bearbeitet: 19.09.2022603 WörterLesedauer 3 MinAnsichten: 1217Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: Nils Frahm – Music For Animals
Von |Veröffentlicht am: 19.09.2022|Zuletzt bearbeitet: 19.09.2022|603 Wörter|Lesedauer 3 Min|Ansichten: 1217|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on KRITIK: Nils Frahm – Music For Animals|

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Über den Autor: Arne Krause

Mein Fokus bei PiN liegt auf Neoklassik, Ambient, Progressive Rock, Post Rock und Electro. Und allem dazwischen (außer Indie).

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