Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.

Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.

Einersteits würde man ja vermuten, jemanden wie Steven Wilson muss man heute niemanden mehr vorstellen. Da man andererseits oft eines Besseren belehrt wird, bitteschön: Der Mann ist Mastermind hinter den großartigen Porcupine Tree, ehemalige Hälfte von Blackfield, aktuelle Hälfte von No-Man und Produzent von Bands wie etwa Opeth, Anathema oder gar der Neuauflagen der legendären King Crimson. Vorschusslorbeeren zur Genüge also.

In den letzten Jahren versuchte sich Steven Wilson mehr und mehr als Solokünstler, wobei hier nur von einem Versuch zu sprechen eigentlich ein journalistischer Skandal ist, denn alle bisherigen Soloalben waren auf ihre eigene Art höchst hörenswert.

Mit „Hand. Cannot. Erase.“ wird jedenfalls das vierte Soloalbum vorgelegt und mit an Bord sind wieder Musiker, die einen als aufmerksamen Verfolger der progressiv angehauchten Szene reflexartig mit der Zunge schnalzen lassen: Guthrie Govan an der Gitarre, Marco Minneman am Schlagzeug, Adam Holzman an den Tasteninstrumenten und Nick Beggs am Bass. Was unter anderen Rahmenbedingungen locker als Supergroup durchgehen würde, versteht sich hier als eine Einheit die Steven Wilsons musikalische Ideen umsetzt und erfreulich songdienlich aber trotzdem technisch auf allerhöchstem Niveau aufspielt.

Generell mutet dieses Album wieder weniger jazz-rockig an als der Vorgänger „The Raven That Refused To Sing And Other Stories“, spielt wieder mehr mit elektronischen Elementen und stimmungsvollen, melodiegetragenen Soundscapes und wirkt dadurch weniger wie eine Hommage an eine bestimmte Musikerkohorte aus den 1970ern sondern mehr wie ein eigenständiges Werk.
Beim Opener-Duo schmeichelt einem sofort der für Wilson typische glasklare und trotzdem warme Sound um die Ohren und man beginnt zu erahnen, dass der Maestro der Welt wieder etwas zu sagen hat. Einzelne Songs aus diesem Gesamtkunstwerk eines Albums hervorzuheben wird dem Ganzen kaum gerecht. Hinzuweisen ist dennoch etwa auf den sehr eingängigen Titeltrack oder die Glanzleistung einen, den musikalischen Anspruch wahrenden, Winter-wird-Frühling-Song zu schreiben, den wir alle so dringend benötigen: „Happy Returns“ ist der heimliche Hit des Albums und erinnert sogar ein bisschen an das famose „Trains“ von Porcupine Tree. Das von ebensolchen Zügen auch in einer prominenten Stelle dieses Songs gesungen wird ist entweder eine gewitzte Selbstreferenz oder aber lediglich der empirische Beweis, dass man eigentlich nie genug von Zügen singen kann.

Mit „Ancestral“ wird auch der übliche wilson’sche 15-Minüter in zweijährigem Abstand in die Welt getragen, und was sich hier wie ein Lamentieren anhört, ist eigentlich nur der nächste Grund zu Enthusiasmus. Das Songwriting ist wieder einmal großartig und die Spielfreude der Band ist regelrecht spürbar.

Ein Grund warum etwa Porcupine Tree glücklicherweise nie so richtig im Mainstream angekommen sind, ist für viele Zuhörer Steven Wilsons Gesang: nasal, irgendwie britisch und teilweise ein bisschen farblos. Umso erfreulicher, dass „Hand. Cannot. Erase.“ gerade dadurch wie ein sehr persönliches Album wirkt, dass Steven Wilson beim Singen mehr aus sich herausgeht, hier und da etwa gibt es einen nicht vollständig fertig gezogenen Ton oder es taucht ein bisschen mehr Verzweiflung an den richtigen Stellen auf. Insgesamt hört es sich so an, als hätte er versucht etwas mehr mit Charakter zu singen und etwas weniger nach Notenlehre.

Da man aber selten mit allem Dargebotenen d’Accord ist, sei darauf hingewiesen, dass der Storytelling-Track „Perfect Life“ nicht unbedingt sein hätte müssen und sich mit „Routine“, inklusive des Versuchs Wilson’s Musik eine opernhafte Frauenstimme einzuverleiben, tatsächlich einer seiner wenigen misslungenen Songs der letzten Jahre auf diesem Album befindet.

Diese einzelnen Kritikpunkte sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ansonsten ausnahmslos gelungene Kompositionen auf dem Album finden. Musiker auf höchstem Niveau, die sogenannten großen Melodien und ein Gesamtsound, der dazu einlädt sich darin lächelnd zu verlieren? „Hand. Cannot. Erase“ weiß all diese Wünsche zu erfüllen. Und für Freunde von Steven Wilson’s Werk sowieso ein Pflichtkauf.

Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.
01 First regret
02 3 years older
03 Hand cannot erase
04 Perfect life
05 Routine
06 Home invasion
07 Regret #9
08 Transience
09 Ancestral
10 Happy returns
11 Ascendant here on…

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Von Veröffentlicht am: 30.03.2015Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018675 WörterLesedauer 3,4 MinAnsichten: 873Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: , , , , , 0 Kommentare on Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.
Von |Veröffentlicht am: 30.03.2015|Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018|675 Wörter|Lesedauer 3,4 Min|Ansichten: 873|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: , , , , , |0 Kommentare on Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.|

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Über den Autor: Sebastian Goetzendorfer

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  1. Anonymous 05.04.2015 at 19:37 - Reply

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