Phantom Winter – Sundown Pleasures

Phantom Winter – Sundown Pleasures

Phantom Winter aus Würzburg machen bei ihrem zweiten Album Sundown Pleasures keine Gefangenen.

LP kaufen Vö: 19.06.2016 Golden Antenna Records

Der nach dem Albumtitel benannte Opener setzt sofort ein mit dem bereits durch das 2015er Debüt CVLT vertrautem Doppelgeschrei/-gesang von Gitarrist Andreas (Bewitched Screams) und (Dead Earth Comics Artist!) Christian (Haunted Growls). Den HörerInnen bleibt wenig Gelegenheit darüber nachzudenken, was eventuell früher mal war. Tonnenschwer rollt der PW-Express, der scheinbar unausweichlichen Katastrophe entgegen und das vom ersten Moment an.

Hier verbinden sich Zweifel und Zerrissenheit, unendliche Zerstörungswut und ein gewisses Chaos. Das alles bedeutet sowohl für die Musiker als auch für den Rezipienten ein gutes Stück Arbeit, es erfordert Hingabe und Durchhaltevermögen, aber wie sehr wird man dafür belohnt! Mein erster persönlicher Gänsehautmoment der Platte ist ein kurzes Innehalten – beginnend ab ca. 4:26 min wird mit quasi cleanen und stumpf-monotonen Akkorden ein Ian-Curtis-Zitat eingeleitet:

I struggle between what I know is right in my own mind,
and some warped truthfulness as seen through other people’s eyes
who have no heart, and can’t see the difference anyway.

Für einen flüchtigen Moment denke ich an etwas Gutes und nach einem weiteren Lidschlag finde ich mich in der trostlosen Dystopie von Sundown Pleasures wieder.

Song 2 „The Darkest Clan“ baut sich schleppend auf. Es erinnert an ein klassisch komponiertes Werk, wie das Schlagzeug den zunächst zurückhaltend instrumentierten Song einleitet. Ein von Beginn an durchgängiger Grundschlag fungiert als Puls und Rahmen dieses Meisterstücks. Es dauert fast 90 Sekunden, bevor die infernalischen Vocals übernehmen. Der Song bleibt dennoch in einer abwartenden, aber stets bedrohlichen Grundhaltung.

Man könnte quasi von der Ruhe vor dem Sturm sprechen, der mit „Bombing The Witches“ umgehend über die Hörerschaft hereinbricht. Der mit knapp über vier Minuten kürzeste Song des Albums sollte einigen bereits durch die Vorveröffentlichung samt des beklemmend schönen Videos bekannt sein. Auf dieser Hexenjagd wird konsequent alles in Schutt und Asche gelegt und es gibt KEIN Entkommen.

Im Mittelteil wird erneut ein gesampeltes Zitat auf sehr gelungene Weise eingeschoben. Hier wird einer patriarchalischen Gesellschaft, in der die Ungleichheit zwischen Mann und Frau stets fortbesteht, am Beispiel der Hexenverfolgung der Spiegel vorgehalten. Das Gespür für den Einsatz der Sprachsamples und deren Arrangements ist bemerkenswert.

Dass PHANTOM WINTER selbst viel zu sagen haben, zeigt die grundlegende Arbeit der Band mit ihren Texten. Diese, ob geschrien oder gekeift, und somit als eigenständige Instrumente und Teil der Musik zur Geltung kommend, beinhalten neben dieser kompositorischen Funktion auch eine Vielzahl persönlicher Gedanken und transportieren jede Menge kluger Ideen voller Angst und Kritik an gesellschaftlichen Prozessen.

you’re deeply lost in ancient fear – you’re in a wraith war alone
kidnap the boogie man – lock him up real tight
throw away the key and then turn on all the lights

Inhaltlich beschreiben die Texte von „Sundown Pleasures“ die dramatische Geschichte eines verzweifelten Protagonisten. Von eigenen Dämonen und den Auswüchsen der ihn umgebenden Realität geplagt, versucht er sich in eine Illusion zu flüchten. Das Ende ist kein Gutes. Die Katastrophe ist nicht aufzuhalten – aus dem Unglück gibt es kein Entkommen. Für uns bleibt dennoch ein Ausgang: die musikalisch-überwältigende Befreiung nach dem Hören, die einer Karthasis gleicht.

Schallplatte rumgedreht – alles beim Alten, oder doch nicht? In „Wraith War“ wird zunächst mal alles niedergewalzt, bevor sich PHANTOM WINTER mit „Black Hole Scum“ einem Drone-Exzess hingeben, der es in sich hat. Begleitet von undurchschaubarem Geschrei wird hier das Finale mit Song 6 „Black Space“ eingeläutet. Wieder in musikalisch ruhigeren Gewässern unterwegs, jedoch stets von den nihilistischen Abgründen getragen, die sich zwangsläufig im Verlauf der Platte auftun, schaffen es PHANTOM WINTER mit dem Schlusspunkt ihres Albums einen weiteren, wenn nicht den Höhepunkt der Platte zu setzen. Trotz aller Behäbigkeit zeigen die fünf Musiker zum Abschluss nochmal all ihr Können. Hier wird in fast elf Minuten nochmal alles rausgehauen, was diese Band so überzeugend und besonders macht. Der Hörer wird auf eine anstrengende aber auch sehr anschauliche Reise an menschlichen Abgründe mitgenommen, die nicht ohne Erschöpfung auskommt und man kann sich beim Hören der Platte sehr gut vorstellen wie es sein wird, am Ende der nächsten PW-Show schweißgebadet zu sich zu kommen. Mir tut der Nacken weh, vermutlich Phantom Schmerz, und ich bin trotzdem glücklich über diese Erfahrung und freue mich aufs nächste Konzert.

Wie bereits CVLT wurde SUNDOWN PLEASURES in der Tonmeisterei in Oldenburg aufgenommen und von GOLDEN ANTENNA RECORDS veröffentlicht. Für das verstörend schöne Artwork zeigt sich wie immer Oliver Hummel von HUMMELGRAFIK verantwortlich.

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Von Veröffentlicht am: 24.09.2016Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018790 WörterLesedauer 4 MinAnsichten: 877Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on Phantom Winter – Sundown Pleasures
Von |Veröffentlicht am: 24.09.2016|Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018|790 Wörter|Lesedauer 4 Min|Ansichten: 877|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on Phantom Winter – Sundown Pleasures|

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Über den Autor: Robert Schmidt

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