KRITIK: Nils Frahm – Old Friends New Friends

KRITIK: Nils Frahm – Old Friends New Friends

Deutschland ist zur kalten Jahreszeit in der nächsten Coronawelle und alle sind genervt, gestresst, beunruhigt. Nils Frahm hat pünktlich dazu sein Archiv geöffnet und veröffentlicht mit Old Friends New Friends eine sehr schöne Zusammenstellung von Piano-Songs der letzten 12 Jahre, die es nicht auf seine Alben geschafft haben. Ein Album, das sich nach anfänglicher Resignation gerade als der perfekte Soundtrack für mich in dieser Zeit erweist.

Nils Frahm war vor der Pandemie am Höhepunkt seiner Karriere: Ausverkaufte Konzerte auf der ganzen Welt in den größten Hallen, ein fantastisches Album mit dem er auch kreativ am bisherigen Höhepunkt angelangt war. Dass Frahm von der Pandemie betroffen ist, wie jede:r Künstler:in, dürfte klar sein. Mit Old Friends New Friends wird nun die Frage beantwortet, die Frahm-Fangirls und -boys beschäftigt: Was hat Nils Frahm in der Pandemie so gemacht? Er hat auf jeden Fall mal eine ganzen Festplatten mit unveröffentlichter Musik durchgesehen und durchgehört.

Denn Old Friends New Friends ist eine Sammlung von 23 Klavier-Stücken, die zwischen 2009 und 2021 aufgenommen, jedoch bisher aus verschiedenen Gründen noch nicht veröffentlicht wurden. Frahm begreift das Album nicht als einfache Compilation, sondern als „eine Anatomie all meiner Arten und Weisen, Musik zu denken und zu spielen.“

Vielleicht könnte man sagen, dass es ein Album ist, an dem ich über zwölf Jahre gearbeitet habe und nun endlich genügend Material hatte, um es zu veröffentlichen?

Nils Frahm
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Man muss sich also klar machen, dass hier nicht die elektronische Seite von Frahm im Mittelpunkt steht, sondern das Klavier und die unterschiedlichen Herangehensweisen, die er an das Klavier in den letzten Jahren hatte. D.h. man hört auch mal Nebengeräusche in unterschiedlicher Art, mal ein Atmen und ganz besonders toll ist das z.B. auf Rain Take, auf dem sich – Überraschung – der immer stärker werdende Regen in der Aufnahme immer weiter in den Vordergrund schiebt. Mal hört man Fragmente, die man meint schon zu kennen, die dann aber doch in einem anderen Kontext erscheinen, mal hört man ganz neue, intime Momente und hat das Gefühl, man säße mit im Raum, auf dem Boden in Frahms Wohnung in Berlin, in der er Klavier spielt, unbeeinflusst und unbeeindruckt von der Außenwelt, so wie man es z.B. in Trance Frendz mit Ólafur Arnalds gesehen hat.

Zunächst war ich schon etwas enttäuscht, weil es (dazu gleich mehr) mal wieder ein Frahm-Album ist, das nicht nach vorne sondern zurück blickt, das nicht neuentstanden ist, sondern alte Musik verwurstet (wenn man es böse sieht) oder endlich verfügbar macht (wenn man es freundlich sieht). Aber das Album wächst mit jedem Hören, hat immer wieder überraschende neue starke Momente, wie z.B. Corn, mein derzeitiger Favorit. In diesem Sinne ist Old Friends New Friends wie geschrieben für diese Zeit, für mich. Es bringt mich ganz zu mir, wenn ich nach der Arbeit (mit FFP2-Maske) mit der Bahn einmal durch die halbe Stadt fahre, gibt mir Gelassenheit für einen stressigen Morgen zwischen Kita und ersten Telefonaten für die Arbeit auf dem Weg dorthin und ist gleichzeitig der perfekte Soundtrack zum Lesen im regnerischen Hamburger Wetter. Perfekt dafür, aus Versehen mal eine Station zu weit zu fahren, um dann im leichten Regen den Weg zu laufen und so noch etwas mehr Musik hören zu können.

Und dennoch: Seit dem Release von All Melody und der dazugehörigen Welttournee, ganz konkret seitdem ich nach dem ersten Auftritt in der Elbphilharmonie am 22.4.2018 (!!!) nach einem famosen Auftritt von Frahm die Rolltreppen runterfuhr, frage ich mich: Was kommt wohl als Nächstes? Wohin kann, wohin wird Frahm seine Musik jetzt entwickeln? Diese Antwort bleibt er weiterhin schuldig. Seitdem sind zwar 3 EPs (Encores 1-3 aus den All Melody-Aufnahmen), ein Live Album (von besagter Tour), ein Solo-Piano Album das vor allem durch die Nebengeräusche besonders wurde, weil es zu einem Film gehört (Empty), ein komplettes altes Album (Graz), ein Dub-Album mit F.S. Blumm (2×1=4, nicht so mein Fall) und jetzt diese „Compilation“ (die keine ist) erschienen, aber schlauer ist man – trotz dieses quantitativ beeindruckenden Outputs – nicht. Sicher, Frahm ist nun den Labelvertrag mit Erased Tapes los und veröffentlicht jetzt auf seinem eigenen Label LEITER (mit dem er mit BMG kooperiert), so etwas kann ja durchaus auch ein Grund sein, keine neue Musik zu veröffentlichen. Aber es ist kaum vorstellbar, dass Frahm die ganze Pandemie ohne Konzerte nicht auch genutzt hat, um etwas Neues aufzunehmen oder zu entwickeln. Vielleicht wartet er auch darauf, bis er die neuen Songs live ausprobieren kann und verändert sie noch, wie es auch mit All Melody der Fall war, wäre auch okay.

Also: Old Friends New Friends ist nett, danke dafür! Aber ich wäre dann trotzdem bereit dafür neue Solomusik von Nils Frahm zu hören, die nicht Solo-Piano ist. Und bis dahin nehme ich auch was von Nonkeen. Oder der einst leider unter dem Radar gelaufenen Band Siva., deren Teil Frahm einst war, die ich nur empfehlen kann. Aber für jetzt, ist das erstmal gut so, wie es ist.

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Von Veröffentlicht am: 30.11.2021Zuletzt bearbeitet: 30.11.2021877 WörterLesedauer 4,4 MinAnsichten: 999Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: Nils Frahm – Old Friends New Friends
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Über den Autor: Arne Krause

Mein Fokus bei PiN liegt auf Neoklassik, Ambient, Progressive Rock, Post Rock und Electro. Und allem dazwischen (außer Indie).

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