KRITIK: Marillion – An Hour Before It’s Dark

KRITIK: Marillion – An Hour Before It’s Dark

Mit dem zwanzigsten Album haben Marillion wieder zu den Wurzeln der melodischen epischen Songs mit Tiefgang zurückgefunden.

Der ab und an exzentrisch wirkende Steve Hogarth hat schon lange deutlich gemacht, dass er der Kopf und die Seele der Band ist. Nachdem der Vorgänger F E A R aufgrund des extrem strukturieren Konzeptaufbaus ein reines Kopfalbum war, packt nun An Hour Before It’s Dark die Hörer:innen wieder bei der Seele.

Musikalisch fühlt man sich an der einen oder anderen Stelle in die Anfangsjahre Hogarths mit Seasons End und Holidays In Eden zurückversetzt. Der Einstieg mit der 9 Minuten 27 Sekunden langen Vorab-Single Be Hard On Yourself ist bereit die richtige Einstimmung. Mit Engelschor, Höhen und Tiefen und der gesellschaftskritischen Botschaft, sich nicht von Massenkonsum und der Sucht nach Luxus treiben zu lassen. Ein wunderbarer Song, der die Bandbreite, der sich ständig weiterentwickelnden Band zeigt und sich so schnell entwickelt, dass die lange Laufzeit kaum als solche wahrgenommen wird. Ein erster Höhepunkt auf dem Album.

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Reprogramm The Gene ist ein klassischer Bühnensong, bei dem Steve Hogarth sein gesamtes gesangliches Talent zeigen kann. Thematisch ist da von den genetischen Möglichkeiten bis zum Lockdown in UK alles drin. Sicherlich kein potentieller Klassiker für die Ewigkeit aber ein durchaus aktueller Track mit sehr gutem Tempo und einem inneren Spannungsbogen. Den Song wünscht man sich als Zugabe zum Runterkühlen bei dem schönen langen Ausklingen. Der nur 39 Sekunden kurze Instrumental-Track Only A Kiss wirkt komplett verloren und macht nur im Gesamtkonzept Sinn. Allein die Kürze des Songs lässt schon keine Wirkung auf die Hörer:innen zu.

Dann kommt mit Murder Machine die zweite vorab veröffentlichte Single, die nicht nur wegen der Position auf dem Album, sondern insbesondere aufgrund der poppig-rockigen Dynamik des Tracks das Zentrum des Albums darstellt. Ein richtig packender Song, der vom ersten Ton an nur vorwärts geht und keinen Zweifel daran lässt, dass die Band sich musikalisch immer noch mit den Top-Acts messen kann. Lange schon warteten die Marillion-Fans sehnsüchtig auf die früher so gerne gehörten langgezogenen Steve Rothery-Soli, die einem Song das gewissen Etwas geben.

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Mit The Crow And The Nightingale gibt es dann einen ruhigeren Track, der nach der gerade gehörten Dynamik wohltuend und balsamspendend wirkt. Leider schöpft der Song sein Potential nicht aus und wirkt auch wegen der recht unvorhersehbaren Tempowechsel irgendwie unvollendet. Mit etwas mehr Hinwendung und weniger lyrischer Überfrachtung hätte der Song richtig gut funktionieren können.

Dass Steve Hogarth ein sehr guter Songwriter und Komponist ist, der in seiner Lyrik und seinen Arrangements immer auch gesellschaftliche Probleme thematisiert und in Stimmungen zu wandeln weiß, wird erneut in dem über 10 Minuten langem Sierra Leone deutlich. Ein wunderbar epischer Track, der komplett unspektakulär daherkommt aber aus Text und musikalischem Spannungsbogen so viel Kraft schöpft, dass man den Song einfach nur mögen kann. Der Song ist in fünf Elemente oder Phasen gegliedert und baut sich langsam zu einem ergreifenden Epos aus. Auch hier sind es die tollen Arrangements, die den Song abrunden und zu einem Höhepunkt auf dem Album machen.

Zum Finale des Albums kommt mit Care der Song, der sowohl das Titelthema zitiert als auch die große Klammer um das Album bildet. Die Suche nach Erlösung in den schwierigen Zeiten, die Mahnung zur Vorsicht und das finale Lob auf die Helden des Alltags sind die zentrale Antriebsfeder des Songs. Und der Song funktioniert tatsächlich trotz des teilweisen erhobenen Zeigefingers.

Steve Hogarth schaffte es wieder einmal einfache einprägsame Songtexte zu produzieren, die im Gedächtnis hängen bleiben und die Hörer:innen nachhaltig inspirieren. Direkt heraus den Nerv der Zeit getroffen. „The Angels in this world are not in the walls of churches“ oder „The heroes in this world are not in the Hall of Fame“ sind in Worte gepresste Sozialkritik aber auch ein von Herzen kommendes Lob und eine tiefe Verbeugung vor den Helden des Alltags. Sicherlich in seiner Komplexität der beste Song auf dem Album.

Nach einem weniger gut gelungenen Album, zeigt Marillion mit An Hour Before It’s Dark, dass mit ihnen noch zu rechnen ist. Spielfreude, Ideenreichtum und einem klaren Kopf, der mit offenen Augen durch die Welt geht.

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Von Veröffentlicht am: 10.03.2022Zuletzt bearbeitet: 10.03.2022732 WörterLesedauer 3,7 MinAnsichten: 1081Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: Marillion – An Hour Before It’s Dark
Von |Veröffentlicht am: 10.03.2022|Zuletzt bearbeitet: 10.03.2022|732 Wörter|Lesedauer 3,7 Min|Ansichten: 1081|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on KRITIK: Marillion – An Hour Before It’s Dark|

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Über den Autor: Richard Kilian

"Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik" Wer mit Stephen King, Charles Bukowski, Andrew Vachss und Elmore Leonard sowie Marillion, Cigarettes after Sex, Motorpsycho, The Jayhawks, Sufjan Stevens, Rush und God is an Astronaut etwas anzufangen weiß, der ist bei mir richtig.

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