KRITIK: Dry Cleaning – New Long Leg

KRITIK: Dry Cleaning – New Long Leg

Dry Cleaning sollten 2020 auf Tour gehen, stattdessen kündigten alle 4 ihre richtigen Jobs und fokussieren sich seitdem komplett auf die Musik.

Selten sieht sich eine Band in der Position, nach der Veröffentlichung von nur zwei Kleinformaten, schlichtweg vom Regen in die Traufe, bei einem großem Label unter Vertrag zu stehen. 2018 bedeutet nach einigen Proben, die Geburtsstunde der Band – wobei die erste Veröffentlichung Sweet Princess um einiges straighter ausfällt und Florance mit einigen Textzeilen sogar nach an einer 80ger-Jahre-Ikone wie Anne Clark tönt. Die vier langjährigen Freunde heimsten 2019 mit ihrer EP Boundary Road Snacks And Drinks gleich einen ganzen Gewürzladen gefüllt mit Vorschusslorbeeren ein.

Indie-Major-Label 4AD Records erhielt den Zuschlag, Florance Cleopatra Shaw, Thomas Paul Dowse, Lewis Maynard und Nick Buxton bekamen ein neues musikalisches Zuhause.

John Parish produzierte und spielte schon mit PJ Harvey. Außerhalb ihrer eigenen Releases konnte John PJ Harvey für seine erste Band Automatic Diamini rekrutieren und unter dem Radar fliegende Bands wie Brilliant Corners oder Giant Sand verpasste er den perfekten Schliff. Dry Cleaning engagierten scheinbar genau den richtigen, die passendsten Pegel drehenden Soundtüftler. Warm und funky betankt mit einer großen Schippe Soul schwebt seine Produktion über den von Post-Punk und No Wave beeinflussten Soundgebilden in denen Food-Fan Florance über persönliche Themen, Besuche beim Zahnarzt, natürlich auch Essen singt und ganz nebenbei düsteren Humor beweist. Gesang ist dabei nicht immer zutreffend, da sie in bester Protest-Punk-Manier sinniert, leicht lasziv unterkühlt und trotzdem cool, Sprechgesang mit richtigen Vocallinien ablöst.

Immer wieder kommt mir dabei Linda Steelyard von Prolapse, einer an der Kreuzung zum Noise-Rock agierenden, 2000 vorerst aufgelösten Post-Punk-Band in den Hinterkopf.

Im Zeitlupentempo oft agierend, bildet Drummer Nick wie ein eineiiger Zwilling zusammen mit Bassist Lewis ein voluminöses Grundbecken, in dem sich Miss Shaw sichtlich eingebettet, wohl fühlt. Einzig und allein Gitarrensaiten-Zupfer Thomas widerspricht von Zeit zu Zeit, genau im richtigen Moment, diesem entspanntem Ausgangspunkt und duelliert mit oder weniger angeschrägten Melodien, die die nötige Portion Unbequemlichkeit mitbringen.

Scratchcard Lanyard beschreibt mit höher angelegten Schlägen pro Minute einen ungewollten Einblick in das Hinterhofgeschehen ihres Zahnarztes, der Hörer:innen mit ähnlichen Verunsicherungen über Gesehenes sitzen lässt. Nach anfänglich in die irre führenden Gitarreneskapaden zu Beginn des zweiten Songs, sehen wir uns mit eher Stillstand als Hochgeschwindigkeitsrekord konfrontiert. Nummer vier lebt und Leafy darf alle in die gehobeneren Gänge pushen.

Florance stellt ihre Fragen auf die sie keine Antworten zu bekommen scheint – doch unbeirrt davon gehen die Musiker:innen ihrem Handwerk auch bis der letzte Bass-Akkord angeschlagen ist, konsequent nach.

Keanu Reeves, oder besser sein ihm ein großes Comeback bescherendes Alias John Wick, scheint schließlich sein wohlverdientes Fett abzubekommen, das im letzten Drittel von psychedelisch angehauchten, dichten Gitarrenschüben abgelöst wird. Assoziationen zu Suzanne Vega gesellen sich dann kurzzeitig zu More Big Birds, anhand der Textzeilen „Da Da Da Da Ah, Green Food, Brown Food“ und versprühen zusätzlich eine Prise Charme.

Den letzten Akt bildet Every Day Carry mit wabbernden, zirpend-quietschenden Flächen, die in ein Saitengeräusch münden, das den Hörer:innen so anmutet der Gitarrist suche minutenlang einen Radiosender, der gar nicht existiert. Niemand rechnet damit, das Dry Cleaning sich für das letzte Drittel noch einen alles drückenden Abschlusspart aufgehoben haben, der innerhalb von zwei Sekunden so abrupt endet wie er zuvor einsetzte. Fast schon Sonic Youth mäßig endet ein Album, das etliche Überraschungen bereithält und ihrer Vorschusslorbeeren gerecht wird, vorausgesetzt es darf ab und zu auch schräg und unangenehm ausarten.

New Long Leg erschien am 02.04.2021 auf 4AD Records und ist in mehreren Varianten bereits ausverkauft.

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Von Veröffentlicht am: 20.06.2021Zuletzt bearbeitet: 13.07.2021622 WörterLesedauer 3,1 MinAnsichten: 835Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: Dry Cleaning – New Long Leg
Von |Veröffentlicht am: 20.06.2021|Zuletzt bearbeitet: 13.07.2021|622 Wörter|Lesedauer 3,1 Min|Ansichten: 835|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on KRITIK: Dry Cleaning – New Long Leg|

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Über den Autor: Nico Pfueller

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