KRITIK: Abay – Love and Distortion

KRITIK: Abay – Love and Distortion

Huch, aber Herr Abay! Was haben wir denn hier? Liebe und Verzerrung in Zeiten der Opera? Gitarrenmusik, Post-Pop, Genre-Bender, Tausendfüßler? Auf tausend Hochzeiten und in siebzehn Vergangenheiten unterwegs? Noch mehr Pop? Aber natürlich.

Fährt man durch Berlin diese Woche, sind die Plakatwände der Innenstadt voll gepflastert mit vier schwarz-weißen Mugshots mittelalter Männer, deren Augen in Zeiten des Datenschutzes ganz lieblich mit roten Balken verdeckt sind. Ohne Namen, ohne Botschaft. Erst beim zweiten Hinsehen erkennt man Aydo Abay als einen von ihnen. Promo-Botschaft also bei Album Nummer zwei: Abay ist eine Band! Eine ganze! Ein echter Rock-Musik-Vierer. Nicht nur mehr Ex-Blackmail-Sänger Abays und Juli-Gitarristen Pfetzings kleine Indie-Perle.

Und das hört man. Vier Köpfe eine Meinung. Hatte das leicht verbogene Zappa-Zitat aus der Single Plastic noch für Stirnrunzeln gesorgt (und einige mahnende Briefe vom Zappa-Trust eingebrockt), waren die Berliner hier musikalisch bereits noch mehr auf die Indie-Pop-Schiene geschwenkt, als beim Vorgänger.

Mal lieblich verspielt (Plastic), mal dramatisch (Rhapsody in Red), mal größenwahnsinnig (Lemonade hat ein zwei-minütiges Saxophon-Solo!) spulen Abay auf den 10 Songs ein äußerst bunt gemischtes und variantenreiches Programm ab. Die im Albumtitel versprochene Verzerrung findet vor allem in Hälfte zwei statt, Liebe – zu Musik, zu Menschen, zu Songwriting, zu … äh… Gumo, blitzt an allen Ecken auf. Aber ohne jeden Kitsch, ohne jede Anbiederung, immer im Abay’schen Universum.

Insgesamt funktioniert hier vieles, fast alles so gut, dass es schwerfällt überhaupt Kritikpunkte zu finden. Aber. Aber Abay. Die Songlängen. Wie beim Vorgänger Everything’s Amazing and Nobody’s Happy gibt es vereinzelt Spannungsbögen in den Liedern, die zu sehr im selbstverliebten Dauercrescendo hängen bleiben, zu wenig Rücksicht darauf nehmen, dass diese Bögen zwar live ein absolutes Highlight sind aber auf Platte etwas langatmig wirken. Und das Albumcover. Ach ja. Bei so einem Titel wäre viel möglich gewesen. Aber der rote Strich durch die Augen? Vier Bandköpfe? Sind wir aus den Schülerbandzeiten nicht langsam raus? Ein Eye-catcher ist das schon, aber auch ein I-forgetter.

Love and Distortion ist ein tolles, ein großartiges Indie-Pop (na gut, Post-Pop)- Album geworden, mit dem sich Abay als feste Größe im Alternative-Universum etablieren, den alten Blackmail-Staub endgültig abschütteln und sicher auf ALLEN Soundtracks der nächsten Buck– und Akin-Filme vertreten sein dürften. Die Songs platzen aus allen Nähten an Einflüssen, an ergreifenden Melodien und Reminiszenzen an die 70er, 80er und das beste von heute. Radiotaugliche Lieder ohne Auto-Tune, ohne „Menschen, , Leben, Tanzen, Welt“ Poesie-Lyrik und ohne effektüberlade Überproduktion sind selten. Und selten so gut.

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Von Veröffentlicht am: 30.05.2018Zuletzt bearbeitet: 04.01.2022441 WörterLesedauer 2,2 MinAnsichten: 780Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on KRITIK: Abay – Love and Distortion
Von |Veröffentlicht am: 30.05.2018|Zuletzt bearbeitet: 04.01.2022|441 Wörter|Lesedauer 2,2 Min|Ansichten: 780|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on KRITIK: Abay – Love and Distortion|

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Über den Autor: Julian Schmauch

Dozent für Musikproduktion an der Deutschen Pop und der EMS in Berlin. Autor bei BackstagePro, Bonedo und Reverb. Spielt bei Chaos Commute. Remixer, Songwriter und Sounddesigner.

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