Kamasi Washington – Heaven & Earth

Kamasi Washington – Heaven & Earth

Auf „Heaven & Earth“ zeigt sich der Saxofonist und Bandleader Kamasi Washington erneut als ausgesprochener Retro- Visionär, der groß angelegtes Kino zelebriert und auch dieses Mal wieder viele Elemente von Pionieren des Cosmic Jazz wie Pharoah Sanders und Alice Coltrane in seine Musik implementiert.

Vö: 22.06.2018 Young Turks LP kaufen

The Epic überwältigte die Musikwelt vor 3 Jahren mit monumentalem Cosmic Jazz, wie er zuletzt in den 60er und 70er Jahren populär war, und bescherte Kamasi Washington und seinen befreundeten Musikern aus dem Kollektiv „West Coast Get Down“, einer Art „Wu-Tang Clan“ des Jazz, vor 3 Jahren den weltweiten Durchbruch und machte den Saxofonisten Washington zu einem neuen Superstar, der dem Soul-Jazz früherer Tage wieder neues Leben einhauchte.

Kritiker wie Publikum feierten seinen elektrisierenden Spiritual Jazz, den Kamasi Washington mit Chören und Orchester zu epochalen Kompositionen ausweitete, um diese wiederum mit Elementen aus Funk, Fusion, Hip-Hop & Gospel zu durchsetzen.

„The Epic“ entstand seinerzeit in einer 30-tägigen Jam Session des Kollektivs „West Coast Get Down“. Dabei heraus gekommen waren ca. 170 Songs, die mittlerweile fast jedem Mitglied des Kollektivs eigene Solo-Veröffentlichungen einbrachten: Miles Mosley, Multi-Instrumentalist und revolutionärer Kontrabassist, veröffentliche mit „Uprising“ ein von der Kritik sehr hochgelobtes Soul-Jazz Album, der Piano-Virtuoso Cameron Graves brachte mit „Planetary Prince“ ein herrliches Jazz-Fusion Album heraus, Schlagzeuger Ronald Bruner Jr. debutierte mit der Fusion/R’nB/Soul – Mixtur „Triumph“, Ryan Porter an der Posaune präsentierte mit „Spangle-Lang Lane“ zunächst ein Album mit Interpretationen von Kinderliedern und veröffentlichte vor kurzem noch mit „The Optimist“ sein eigenes, knapp 2-stündiges Opus Magnum, wobei die Songs hierbei noch aus Sessions bevor „The Epic“ entstanden sind, damals noch aufgenommen im Haus von Kamasi Washingtons Eltern.

Komponist und Drummer Tony Austin tritt bei Kollaborationen des „West Coast Get Down“- Kollektivs oftmals als Tontechniker und Produzent in Erscheinung, wird vermutlich aber, wie wahrscheinlich auch Keyboarder Brandon Coleman oder auch Sängerin Patrice Quinn in Zukunft noch mit eigenen Veröffentlichungen von sich reden lassen.

Auch hinlänglich bekannt sein dürfte, dass Kamasi Washington & Co. maßgeblich an Kendrick Lamars „To Pimp A Butterfly“ beteiligt waren und auch ansonsten die Liste von Künstlern, mit denen Musiker des WCGD bisher zusammenarbeiteten, lang ist: Snoop Dogg, Chaka Khan, Stevie Wonder, Rihanna, Kanye West, Nick Cave, Lauryn Hill, Gnarls Barkley, Korn, Mos Def, Herbie Hancock, Flying Lotus, um hier nur einige zu nennen.

Nach ausgiebiger „Epic“- Tour rund um den Globus mit seiner Band „The Next Step“ erschienen dann 2017 mit „Harmony of Difference“ erstmals wieder neue Kompositionen von Kamasi Washington, die für die Whitney Biennial, einer Ausstellung US-amerikanischer zeitgenössischer Kunst des Whitney Museum of Modern Art, aufgenommen wurden und von der Herangehensweise sehr an Teile aus „The Epic“ erinnerten, aber dennoch für Fans die Wartezeit auf ein neues, volles Machwerk verkürzten.

Dieses liegt nun endlich seit dem 22.06. mit dem Konzeptalbum „Heaven & Earth“ vor, welches erneut mit einer Spielzeit von ungefähr 3 Stunden aufwartet und in einer opulenten 5fach-Vinyl Box (3CD Box) daher kommt. In der Presse zunächst als 4LP und 2CD angekündigt, befand sich nämlich in der Verpackung eingearbeitet eine geheime, zusätzliche LP/CD names „The Choice“, die weitere 5 Songs des Maestros enthält und vorsichtig mit einem Messer herausgetrennt werden kann. Eine schöne Überraschung.

Auf „Heaven & Earth“ zeigt sich der Saxofonist und Bandleader erneut als ausgesprochener Retro- Visionär, der groß angelegtes Kino zelebriert und auch dieses Mal wieder viele Elemente von Pionieren des Cosmic Jazz wie Pharoah Sanders und Alice Coltrane in seine Musik implementiert. Doch bietet ihm die konzeptionelle Aufteilung in zwei thematische Komplexe die Möglichkeit, die Architektur seines Sounds zu erweitern und erreicht damit Dimensionen, die „The Epic“ noch mal zu übertreffen scheinen.

„Die Welt, in der meine Gedanken leben, lebt in meinen Gedanken“, so erklärt Washington seine Inspiration zu „Heaven and Earth“. Der „Earth“- Teil des Albums soll sich somit mit der Außenwelt, an der man partizipiert, befassen. Wogegen sich der „Heaven“- Teil mit dem persönlichen Innenleben beschäftigt. Der Welt, die Teil von einem selbst ist. Wer man ist und welche Entscheidungen man trifft, liegen laut Kamasi Washington irgendwo dazwischen.

Natürlich kommen neben den Cosmic Jazz- Verweisen auch auf „Heaven and Earth“ die Elemente zum Tragen, die auch bereits das Manifest „The Epic“ ausgemacht haben: Orchester, Chor, Gospel, Big-Band Jazz, Funk und die Virtuosität und der Wahnsinn von 70er Jazz – Fusion à la Herbie Hancocks Head Hunters. Auf dem neuen Opus aber gelingt es Kamasi Washington und seinen Mitmusikern jedoch, all dieses nochmals zu intensivieren und dem Ganzen zusätzlich noch eine gehörige Dosis 70s- Blaxploitation- Street- Funk ’n Soul der Marke Isaac Hayes oder Curtis Mayfield zu verpassen, wie sie besonders im „Earth“- Opener „Fists of Fury“, einer grandiosen Interpretation des Titelthemas des gleichnamigen Bruce Lee Films (dt. Titel „Todesgrüße aus Shanghai) zum Ausdruck kommt. Chor und Orchester erzeugen hier eine fast schon Morricone-mäßige Eastern-Atmosphäre, Kamasi Washingtons Saxofonspiel steigert sich stetig und kommt fast einem Martial-Arts Kampf gleich, während das Sängerduo Patrice Quinn und Dwight Trible eine Hymne der Gerechtigkeit intonieren.

„Can you hear him“ folgt direkt im Anschluss und ist ein polyrhythmischer Kracher mit sehr stringenter Einleitung des Themas und exzessivem Verlauf, in dem Coleman an den Keyboards und das Saxofon von Washington bis zur Dissonanz regelrecht abdrehen. „Hub-Tones“ ist eine schnelle Freddy Hubbard Interpretation mit einem irren Schlagzeug-Finale bevor mit „Connection“ und „Tiffakonkae“, beide mit wunderschönem Pharoah Sanders Charme, das Tempo wieder etwas herausgenommen wird. „The Invicible Youth“ mit Free Jazz Einstieg à la Sun Ra und Stephen „Thundercat“ Bruner Bass-Solo hat einen schönen, sphärischem Fusiontouch wird gefolgt von „Testify“, wieder mit der fantastischen Patrice Quinn am Gesang. Den Abschluss von „Earth“ bildet „One of One“ mit einem hymnischen Titelthema, Choruntermalung und Hard-Bop-mäßigen Solopassagen.

Das Space-Jazz Opus „The Space Travelers Lullaby“ eröffnet dann den etwas spiritueller klingenden Albumpart „Heaven“, an welches sich „Vi Lua Vi Sol“ anschließt, auf dem sich Keyboarder Coleman mit Vocoder-Stimme hervorhebt und eine interstellare Liebeserklärung besingt. „Street Fighter Mas“, Kamasi Washingtons Soundtrack zum Arcade-Game Klassiker „Street Fighter“, kommt mit Hip-Hop-Rhythmus und toller Melodieführung. „Songs for the Fallen“ gerät wieder etwas episch- getragener und wird gefolgt von der Jazz Ballade „Journey“, einem weiteren Highlight des Konzeptalbums.

„The Psalmist“, ein Stück von Ryan Porter, welches bereits auch auf dem vor kurzen erschienenen Album „The Optimist“ vertreten war, gibt es hier in einer wahren Rhythmus-Battle-Version der beiden Schlagzeuger. „Show us the Way“ erinnert in seiner modalen Änderung stark an „Change of the Guard“ von „The Epic“ und kulminiert in einer opulenten Chor-Passage, die den perfekten Übergang zum abschließenden „Will you Sing“ bildet, welches ebenfalls mit epischem Gospelchor transzendentale Momente heraufbeschwört.

Die zusätzlich versteckte Bonus-LP „The Choice“ enthält weitere 5 Tracks. „The Secret of Jinjinson“, „My Family“ und „Agents of the Multiverse“ sind Eigenkompositionen von Washington und stehen dem Rest von „Heaven & Earth“ in nichts nach.

Besonders schön geraten sind jedoch die enthaltenen Versionen von „Will you love me Tomorrow“, einer Gerald Goffin und Carole King Komposition, mit der The Shirelles in den 60ern einen Welterfolg hatten, und „Ooh Child“, geschrieben von Stan Vincent und damals von „The Five Stairsteps“ gespielt.

„Ooh Child, things are gonna be easier, Ooh Child, things will get brighter, […] Some day, we’ll get it together and we’ll get it all done … Some Day, we’ll walk in the rays of a beautiful sun“ heißt es im Text von „Ooh Child“ und könnte, hört man die Trilogie chronologisch, kein besseres Ende für dieses neue Output eines Musikers sein, der sich selbst ganz bescheiden als Botschafter versteht.

„We made Heaven & Earth to inspire us all to take this world into our own hands and make it a beautiful place of love, compassion, and understanding. The world that we all want it to be.“, heißt es in einem aktuellen Facebook-Beitrag, in dem er den über 100 Personen, die am Entstehungsprozess von „Heaven & Earth“ beteiligt waren, seinen Dank ausspricht.

„I’m a messenger“, sagt Washington ganz simple von sich, „and now that people are listening, I see it as an opportunity to offer more messages.“

Dieses ist ihm mit „Heaven & Earth“ vollends gelungen!

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Von Veröffentlicht am: 22.06.2018Zuletzt bearbeitet: 18.08.20191387 WörterLesedauer 6,9 MinAnsichten: 794Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: 0 Kommentare on Kamasi Washington – Heaven & Earth
Von |Veröffentlicht am: 22.06.2018|Zuletzt bearbeitet: 18.08.2019|1387 Wörter|Lesedauer 6,9 Min|Ansichten: 794|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: |0 Kommentare on Kamasi Washington – Heaven & Earth|

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Über den Autor: Jens Broxtermann

"Most of it is crap. In all forms of music. Find the little diamonds here and there in a bunch of shit. That’s how it happens. To me. And that’s how it’s always been. I never thought that there’s a golden era of any type of music. There are just as many crappy bands 30 or 40 years ago as are now." (Buzz Osbourne, (the) Melvins)

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