Amanita – The World Is Dead Prose To Me

Amanita – The World Is Dead Prose To Me

„We are here to make you think about death and get sad.“ Diese Worte stehen auf der Bandcamp Seite von Amanita und nach den ersten Durchläufen dieses Albums muss ich sagen – Mission erfüllt.

Amanita ist eine noch relativ unbekannte Band aus Deutschland, um genauer zu sein aus dem schönen Jena. Diese Jungs haben es sich offenbar auf die Fahne geschrieben, uns alle mit instrumentaler Rockmusik (und ich werde jetzt nicht das zum Schimpfwort avancierte Wort „Post-Rock“ in den Mund nehmen) zum Nachdenken zu bewegen und uns traurig zu stimmen. Ich schreibe diese Zeilen mit der Gewissheit, dass Amanita es durchaus ernst meinen und ihre von Post-Hardcore und Doom-Metal durchtränkte Rockmusik wirklich mitreißend ist. Nur der Gesang is halt (fast gar nicht) vorhanden. Doch bevor jetzt der klassische Post-Rock Nerd sich sanft seinen Bart streichelt und sein Ikea Plattenregal zärtlich umsortiert, um in seiner alphabetisch geordneten Vinyl-Sammlung noch etwas Platz vor Explosion In The Sky zu schaffen, muss ich eine deutliche Warnung aussprechen: Finger weg – Das könnte zu hart für Dich sein und Dich enttäuschen. Das hat fast nichts mit klassischem Post-Rock zu tun sondern ist bedeutend intensiver, lauter und härter. In einer wundersamen Art und Weise schaffen es Amanita, melancholischen Schönling mit brachialer Härte zu verbinden. Die vier Songs erstrecken sich über eine Gesamtlänge von 37 Minuten und man muss sich ernsthaft fragen, ob das Leben in Jena wirklich so trostlos, ja fast depressiv sein kann. Wer seine Trauer über einen verstorbenen Bekannten oder Verwandten in Wut umwandeln möchte, findet hier den perfekten Soundtrack.

Das vierminütige Intro „Wild Orphan“ spielt mit einer unglaublich traurigen Gitarrenfigur die von der Struktur irgendwie Blues-artige Züge aufweist. Durch das geschickte Hinzufügen einer weiteren Gitarrenspur mit leicht monotonen Zügen, bekommt dieses Intro in seiner Reduzierung eine hypnotische Wirkung. Das folgende über 12 Minuten lange „Ne`evad`ti“ täuscht Post-Rock an, um mit Post-Metal und Post-Hardcore Elementen den Noise Rock zu zelebrieren. Mächtig wie eine Dampfwalze werden hier meine einzelnen inneren Organe durch Schallwellen massiert. Als im weiteren Verlauf im Wall Of Sound ein verzweifelltes Geschrei zu erahnen ist, ist die Gänsehaut längst ein treuer Begleiter geworden. Diese Berg- und Talfahrt, das Spiel mit der Lautstärke – das haben Amanita jedenfalls perfektioniert.

Die 11 Minuten von „Attention! En Rage“ haben es nach einmaligem Hören in meine iTunes Playlist geschafft und ist seither nicht mehr daraus wegzudenken. Ein Song der zu Beginn diesen gewissen Indie Charme in sich trägt und der sich Zeit nimmt, um langsam aber sicher zum Höhepunkt zu kommen. Fast wie eine Liebesspiel zweier sich extrem zugeneigeten Personen, gelangt der Song zu einem Explosionsartigem Finale, dass in seiner Schönheit seinesgleichen sucht. Orgasmatisch ist das perfekte Wort, um diesen Ausnahme-Song zu beschreiben.

Den Ruhepol bildet das darauffolgende, letzte Stück „A Blight On The Land“. Der Song gleicht einem Friedhof, über den man in aller Stille spaziert. Überfordert mit eigenen Erinnerungen und der dortigen Stille, fängt das Herz immer heftiger an zu schlagen. Bis man den Ausgang des Friedhofs erreicht und stehenbleibt. Nach kurzem innehalten und kreisenden Gedanken folgt ein kurzer Blick zurück. Man erblickt die Grabsteine, die umhüllt von Nebelbänken, leise Geschichten erzählen. Und plötzlich bricht es aus einem heraus – Gedanken, Trauer, Wut! Man möchte schreien und im Boden versinken. Kann es aber nicht.

Das hier wieder dieses verzweifelte Geschrei den Song bereichert ist eine echte Wohltat. Die Vertonung von Wut, Trauer und Verzweiflung ist den Herren von Amanita auf ihrem Album wirklich vorbildlich gelungen. Dieses Album ist einem guten und spannenden Film nicht ganz unähnlich. Man bleibt immer dran und hat immer Angst, ein wichtiges Detail der Story durch den Gang zum Kühlschrank zu verpassen. Spannung aufbauen ist eine Sache, diese aber über fast 40 Minuten aufrechterhalten zu können eine andere. Amanita haben es geschafft, dass ich wie gebannt ihre Geschichte von Trauer und Verzweiflung verfolgt habe. Dieses Intensität in Ausdruck und Songwriting bekommen wirklich nicht viele Bands hin. Ich wünsche Amanita für die Zukunft alles Gute und würde sie gerne im Vorprogramm einer bekannten Rockband sehen. Ich könnte mir nämlich gut vorstellen, dass das Ganze live noch besser funktioniert. Hut ab Amanita. Ihr habt es verdient, gehört zu werden. Klare Kaufempfehlung!

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Von Veröffentlicht am: 30.06.2015Zuletzt bearbeitet: 01.02.2019741 WörterLesedauer 3,7 MinAnsichten: 815Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: , , 7 Kommentare on Amanita – The World Is Dead Prose To Me
Von |Veröffentlicht am: 30.06.2015|Zuletzt bearbeitet: 01.02.2019|741 Wörter|Lesedauer 3,7 Min|Ansichten: 815|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: , , |7 Kommentare on Amanita – The World Is Dead Prose To Me|

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Über den Autor: Marc Michael Mays

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7 Comments

  1. Anonymous 03.04.2016 at 19:49 - Reply

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  2. Anonymous 21.01.2016 at 13:55 - Reply

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  3. Anonymous 09.10.2015 at 10:39 - Reply

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  4. Anonymous 17.08.2015 at 20:54 - Reply

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  5. Anonymous 01.07.2015 at 06:38 - Reply

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  6. Anonymous 01.07.2015 at 00:08 - Reply

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  7. Anonymous 30.06.2015 at 20:15 - Reply

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