BERICHT: Reeperbahn Festival 2015

BERICHT: Reeperbahn Festival 2015

Reeperbahn Festival 2015 – Anm. d. Red.: Der folgende Bericht stellt eine subjektive Beurteilung des Reeperbahn Festivals 2015 dar. Namen wie Balthazar, William Fitzsimmons und New Order finden bewusst mit keiner Silbe Erwähnung, da deren Shows aufgrund von Einlassstops, Anfahrtswegen oder Überschneidungen im Programm teilweise nicht berücksichtigt werden konnten. Dennoch wurde zu jeder Zeit versucht, eine angenehme Mischung aus persönlicher Vorliebe und potenziellem Interesse der Leserschaft von Pretty In Noise zu kreieren.


Mittwoch, 23. September:

Vom Fußball zum Reeperbahn Festival – zwei viel schönere „F“s lassen sich wohl kaum miteinander verbinden. Nach dem glanzlosen, aber umso wichtigeren Arbeitssieg des magischen FC schlenderte man in Massen direkt auf die Reeperbahn, um den ersten Tag des RBF15 zu erleben, der  vor allem durch das Export- und Promotion-Projekt „Wunderkinder – German Music Talent“ überzeugen wollte.

Vor einer Vielzahl von internationalen Vertretern aus den Bereichen PR, Booking und Management begannen Abby im Mojo Club. In dessen intimer Atmosphäre stand für die Berliner vor allem die Präsentation ihres Albums „Hexagon“ auf dem Plan, das vergangenen Monat das Licht der Welt erblickte: teils mit folkigem Cello, teils aber auch mit melodischen Synthesizern und Dance-Beats.

Mit dem Frankfurter Duo Lea Porcelain hätte es in der Prinzenbar weitergehen sollen – daraus wurde jedoch nur für wenige Glückliche etwas. Das nur etwa 200 Personen fassende ehemalige Kino war so schnell gefüllt, dass es hier den ersten Einlassstop des Festivals gab. Nun gut, der International Musicmotorcycleclub in der anliegenden Taubenstraße tat es dann auch – zumindest in Sachen Überraschungseffekt lag der mobile Ambient-/Electronic-DJ klar vorne.

International Musicmotorcycleclub

Zurück im Mojo Club, gaben sich nun The/Das die Ehre. Der ebenfalls aus der Hauptstadt stammenden Indie-Band merkte man den Berlin-Faktor jedoch um Einiges mehr an, trat ihr Sänger doch in einem bunten, Kimono-ähnlichem Gewand auf. Hut ab! Auch musikalisch steckte ziemlich viel Berlin in den Jungs; mit zahlreichen Dance-Beats und melancholischem Gesang konnten sie das Publikum schnell für sich gewinnen.

Fast parallel dazu begann im kukuun, einem der insgesamt sieben Clubs des an diesem Abend neueröffneten Klubhaus St. Pauli, der Pianist Martin Kohlstedt. Vor einer durchaus ansehnlichen Anzahl an Gästen bewies der Weimarer als Vertreter des sogenannten Neo-Classic, dass er sich vor großen Namen wie Ólafur Arnalds oder Nils Frahm nicht wirklich verstecken muss.

Klubhaus St. Pauli

In der Prinzenbar bot sich beim folgenden Act das bekannte Bild: Einlassstop bei Warm Graves. Einerseits natürlich schade, die Leipziger Indie-Hoffnung zu verpassen, andererseits auch schön für die Band, bereits eine solche Aufmerksamkeit genießen zu können. Und außerdem bot sich so die Möglichkeit, den slowenischen Rapper N’toko als erstes Nicht-„Wunderkind“ des Tages zu bestaunen. Mit dem Kopf bereits fast an die ausgesprochen niedrige Decke des Karatekellers im Molotow stoßend, arbeitete er live mit Samplern und Synthesizern und rappte in atemberaubender Geschwindigkeit auf psychedelisch-angehauchte Beats. Das punkige Gefühl in dieser doch sehr unangepassten Location passte hervorragend zu seinen Tracks – und irgendwie sind es immer die außergewöhnlichen Shows, die einem am Ende des Tages im Kopf bleiben.

Anschließend ging es elektronisch weiter – von Her Voice Over Boys (kurz HVOB) gab es relaxten Minimal-Techno mit Live-Gesang und -Schlagzeug. Nachdem die Band schon wenige Wochen zuvor auf dem MS Dockville Festival in Hamburg-Wilhelmsburg gespielt hatten, stellten sie heute den letzten Programmpunkt im moondoo auf der Reeperbahn dar. Im kukuun hingehen ging es bis nach Mitternacht mit Fjaak weiter, drei junge Techno-DJs aus Berlin, die vor wenig Publikum, aber dennoch mit viel Freude die Wunderkinder-Reihe abschlossen.

Donnerstag, 24. September:

Tag zwei begann so, wie Tag eins geendet hatte: mit elektronischer Musik. Bei Bier und Cola gaben Weval aus Amsterdam ein halbstündiges Konzert in der gut gefüllten SkyBar, dem dritten Veranstaltungsraum des Molotow. Zwar würden die Niederländer am Freitagabend noch ein wesentlich längeres Set spielen, jedoch war die Dichte an bekannter Konkurrenz dort deutlich höher – und somit konnte man nun in aller Entspanntheit am frühen Nachmittag tanzen.

Die alle Festivaltage beherrschende Flaute zwischen etwa 17:30 und 20:00 Uhr konnte zumeist nur durch Outdoor-Acts gefüllt werden. Zu den Highlights am Donnerstag gehörten dabei sicherlich The Migrant und Tom Klose, die nacheinander je 15 Minuten auf dem N-Joy Reeperbus spielten, sowie die Italiener von JoyCut, deren fast rein instrumentalen Songs durch die Spielbude hallten.

Zudem hatte auch das Konferenzprogramm ein wahres Schmankerl bereitgehalten: Sékou Neblett, durch seine langjährige Zusammenarbeit mit der Deutschrap-Gruppe Freundeskreis bekannt, stellte Teile seines kommenden Kinofilms vor. In „Black Tape“ wird es um „Tigon“ gehen, der möglicherweise erste Deutschrapper aller Zeiten. Zusammen mit Falk Schacht und Marcus Staiger, die an diesem Abend ebenfalls von der Partie waren, dokumentiert Sékou die Geschichte der Genre-Geburt und macht sich in diesem Zusammenhang auf die Suche nach einem vielleicht wegweisenden Mitbegründer. In voller Länge wird es das Werk ab Anfang Dezember in ausgewählten deutschen Kinos geben.

Kaum war die „Pause“ dann überstanden, überschnitten sich direkt diverse sehenswerte Newcomer-Bands und -Künstler. Sich zwischen Mickey Ecko, Findlay, LGoony und Fexet entscheiden zu müssen, war ein Dilemma, aus dem man zwangsläufig als Verlierer hervorgehen musste. Wesentlich einfacher schien die Entscheidung eine gute Stunde später: Romano, derzeit der vermutlich medial präsenteste Rapper Deutschlands, spielte im moondoo. Sein Auftritt bringt für Viele jedoch Entsetzen und Enttäuschung, gibt es doch verhältnismäßig schnell einen Einlassstop. Wer es doch noch in die Venue geschafft hat, sieht den Berliner mit den Zöpfen Tracks wie „Metalkutte“ performen und sämtliche Hip-Hop-Klischees brechen. Über die Qualität lässt sich zwar bekanntlich streiten, dennoch kann man ihm eine seine einzigartige Ausstrahlung unter keinen Umständen absprechen.

Zwei andere Berliner ließen anschließend ein weiteres Mal an diesem Abend das 90er-Jahre-Deutschrap-Herz höher schlagen. Mit ihrem, um es vorsichtig zu formulieren, „frechen“ Battlerap, bestehend aus Wortwitz, Beleidigungen und einer Menge Soul- und Funk-Beats, begeistern MC Bomber und Shacke One das Publikum im Handumdrehen. Zusätzlichen zu dem bereits bekannten Material der „PBerg Battletapes“ und der „Nordachse LP“ präsentierten die beiden auch erstmals Songs der „Nordachse #2 LP“, deren Release wohl demnächst anstehen wird. Man darf gespannt sein..

Freitag, 25. September:

Am dritten Festivaltag ließ das erste Highlight nicht lange auf sich warten: Als Teil des Konferenz-Programms trafen sich Christoph Rössler (AG Friedenspädagogik), Claudia Frenzel (Geht Auch Anders), Johannes Scholz (Fachinformationsstelle gegen Rechtsextremismus in München) und Nikel Pallat (Indigo Musikproduktion + Vertrieb). Unter dem Titel „Zwischen Frei.Wild und Freital“ fand insbesondere Letzterer, seines Zeichens ehemaliges Mitglied von Ton Steine Scherben, drastische Worte zur aktuellen gesellschaftlichen Lage Deutschlands – sowohl innerhalb als auch außerhalb der zurzeit boomenden „Deutschrock“-Szene.

Etwas später wurde ein ähnliches Thema aufgegriffen, auch wenn das Genre dabei gewechselt wurde. Man ging nun über zu deutschem Hip-Hop: Falk Schacht stellte dabei die Frage, ob dieser die Integration fördere oder behindere. Mit Chefket und Alpa Gun diskutierten zwei Rapper, wie sie unterschiedlich nicht sein könnten, die jedoch beide einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Zu einem wirklichen Ergebnis kam man in der Alten Liebe (ebenfalls Teil des neuen Klubhaus) selbstverständlich nicht, dennoch ließen die Musiker tiefe Einblicke in ihre persönlichen Erlebnisse gewähren.

Etwas abseits des Geschehens, nämlich auf dem Vorplatz des Knust, fand der „Garage Sale“ statt – ein kleiner, aber feiner Plattenflohmarkt, auf dem sämtliche Labels und Händler der Stadt ihre Schätze anboten. Ob This Charming Man, Audiolith oder Grand Hotel van Cleef, fast alle hatten Sonderedition, Raritäten, Testpressungen oder sonstiges Schmuckstücke dabei. Wer mit keinen Besonderheiten dienen konnte, bot sein Repertoire meistens zu Sonderpreisen an. Für die Plattensammlung sicherlich ein schöner Nachmittag, für den Geldbeutel jedoch einer der ganz schlimmen Sorte.

Garage Sale

Auf dem sich direkt vor dem Klubhaus befindenen Spielbudenplatz ging es derweil mächtig zur Sache. Bei spätsommerlichem Sonnenschein sammelten sich Festivalbesucher, Anwohner und Schaulustige auf der Reeperbahn und genossen Cocktails, Fast Food sowie den Auftritt des Wiener Duos Leyya. Zwar enthüllten sie ihre Identität im N-Joy Reeperbus nur bedingt, da sie ihre Viertelstunde komplett „unplugged“ verbrachten; für das Publikum war dies aber sicher ebenso angenehm wie der Electro-Pop, den die beiden am späteren Abend präsentieren würden.

Leyya

Während Woot aus Den Haag im Bahnhof Pauli rockten, ging es im Kaiserkeller stattdessen elektronisch zu. Mit Schlagzeug, Gitarre, Synthies und vor allem der ausdrucksstarken Stimme von Sängerin Claudine Muno eröffneten Monophona den musikalischen Teil des „Luxembourg Sounds Like…“-Abends. Wesentlicher Bestandteil ihrer Show war natürlich das aktuelle Werk „Black On Black“, das die Band erstmals mit in die Hansestadt brachte.

Woot

Monophona

Und nun war es endlich an der Zeit für den von Warner Music für lange Zeit geheim gehaltenen Special Guest: Niemand Geringeres als Tobi Tobsen, Das Bo und DJ Coolmann alias Fünf Sterne deluxe bespielten zur freitäglichen Prime Time das Docks. Qualitativ war das Ganze leider nicht so hochwertig wie eine einzelne Clubshow der Jungs – zu bunt gemischt war das Festival-Publikum –, dennoch merkte man deutlich, dass man gerade Zeuge eines der absoluten Highlights des Wochenendes wurde. Ob „Ja, Ja… Deine Mudder!“, „Die Leude“ oder „Wir Sind im Haus“, das Trio wurde allen Wünschen gerecht und konnte sogar den (geplanten?) Stromausfall auf der Bühne mit einer vorzüglichen Freestyle-Einlage überbrücken. Dass FSd letztendlich um einige Minuten überzogen, störte dabei natürlich niemanden – im Gegenteil, eine solche Show hätte man sich auch noch deutlich länger angucken können.

Nach kurzer Umbauphase ging es im Docks auf außergewöhnliche Art und Weise weiter: Als neunköpfiges Kollektiv enterten Rudimental die Bühne und lieferten eine unglaubliche Performance, bei der sich jedes Mitglied als scheinbar perfekt ausgebildeter Tänzer oder doch zumindest Multi-Instrumentalist präsentierte. Die aus dem Londoner Stadtteil Hackney stammende Band orientiert sich hauptsächlich an Funk, Electro und Drum’n’Bass und spielte an diesem Abend eine bunte Mischung aus ihrem Debüt „Home“, das in Großbritannien bis auf Platz 1 stürmte, sowie dem Anfang Oktober erschienenen Nachfolger „We The Generation“.

Samstag, 26. September:

Nachdem man in bester Festivalmanier den letzten Tag des musikalischen Programms größtenteils mit Ausschlafen und Nichtstun verbracht hatte, ging es erst mit Anbruch der Dunkelheit ins Getümmel. Erstes Ziel war das Uebel & Gefährlich, in dem pünktlich um 19:45 Uhr Shura und ihre Band begannen. Die Stimme der Britin, die auf der großen Bühne des MS Dockville Festivals doch leicht untergegangen war, wirkte in dieser intimen Atmosphäre deutlich ausdrucksstärker; in Verbindung zur Indoor-Lightshow kamen Tracks wie „Touch“ und „Indecision“ heute Abend endlich richtig zur Geltung.

Im kukuun spielte unterdessen Seth Sentry sein zweites Set des Festivals. Zum neuen Rap-Gott wird der Australier vielleicht nicht avancieren, dennoch bewies er mit einer guten Portion Humor, ausgefeilten Beats und jeder Menge Talent zumindest das Potenzial zum Shootingstar. Ähnliches lässt sich auch über die junge Belgierin Coely sagen, die im Nochtspeicher allerdings deutlich machte, dass sie den Hip-Hop-Begriff etwas  anders interpretiert: Während ihre Beats ein gutes Stück „oldschooliger“ klangen, verlieh sie ihren Songs mithilfe ihrer beeindruckenden Stimme häufig einen Soul- und Gospel-Touch. Vor allem durch ihre Gesangssoli, die sie immer wieder zwischen ihre Songs platzierte, sang sich die dunkelhäutige Sängerin rasend schnell in die Herzen der Menge.

In der SkyBar wurde es anschließend wieder tanzbar: Die Kölner Indie-/Electronic-Band mit dem außergewöhnlichen Namen Golf bespielte die schöne Location. Das Publikum genoss sowohl den nächtlichen Ausblick auf die Reeperbahn als auch die sanften Melodien der Band – klar, dass da auch deren Hit „Ping Pong“ nicht fehlen durfte.

In der Hasenschaukel ging es zum Abschluss des Festivals noch mal richtig emotional zu: The Franklin Electric aus Kanada spielten in der wahrscheinlich schönsten Venue der Reeperbahn. Die Besucher standen in mehreren Reihen auf der Straße, um durch die Fensterfront einen kleinen Blick oder durch die Tür zumindest ein paar Töne erhaschen zu können. Trotz der relativ großzügig bemessen Spielzeit von einer Dreiviertelstunde wollte niemand so recht das Ende wahrhaben, zu schön war der Indie/Folk – natürlich auch komplett „unplugged“ vorgetragen – des Quartetts. Nach diversen Zugaben hatte man letztendlich ein Erbarmen und entließ sich selbst sowie die überglücklichen Kanadier in die Nacht.

The Franklin Electrics

Diese bestand zu einem großen Teil aus Techno – im moondoo gab es ein einstündiges Set von Rone, anschließend ging es in der Prinzenbar mit Fjaak weiter. Während  der Franzose sich an diversen elektronischen Spielarten bediente und sogar die Geschwindigkeit seiner Tracks variieren ließ, gab es von den drei Berlinern ausschließlich „Geballer“ auf die Ohren. Das Publikum vermochte nicht in „besser“ oder „schlechter“ einzuteilen; beide Locations waren komplett voll und es wurde getanzt, bis die Füße schmerzten. Oder eben, im Falle von Fjaak sogar wortwörtlich, bis das Festival beendet war.

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Über den Autor: Gregor Groenewold

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