Freiburg im Interview – Hardcore, Punk, Hamburger Schule und Screamo – fast alles ausser Adele.

Freiburg im Interview – Hardcore, Punk, Hamburger Schule und Screamo – fast alles ausser Adele.

Freiburg – Hardcore, Punk, Hamburger Schule und Screamo – fast alles ausser Adele.


Ein verregneter November-Abend in Berlin. Was könnte besser sein als zu einer Label-Nacht zu gehen, bei der interessante und krachige Musik zu hören ist? Im Cassiopeia auf dem RAW-Gelände findet eine solche statt: von „This Charming Man“ sind fünf Bands am Start, unter ihnen FREIBURG, die ihr neues Album „Brief und Siegel“ vorstellen werden. Die Scheibe steht auf der Pole-Position des Schreiberlings, was Punk mit deutschen Texten im Jahr 2015 angeht.

Die beiden Sänger und Texter Jonas und Tom sowie ich suchen einen ruhigen Ort zum Unterhalten. Das gestaltet sich erstmal gar nicht so einfach, denn im Backstage sind schon die ebenfalls auftretenden FJØRT mit einem Interview beschäftigt. Daher nehmen wir erst mal in einem Durchgang auf einer Bank und auf Bierkisten Platz, hell angestrahlt von weißem Neonlicht. Das veranlasst den Schreiber zu der Bemerkung, die Beleuchtung sei ja wohl eher für ein Verhör geeignet als für ein Interview, woraufhin Jonas sagte: „Ist ja ungefähr das Gleiche.“

Nach anfänglichen Einstiegsfragen nach Texten und Musik (Jonas: „Die Musik machen wir schon zusammen, egal ob es sich um ein Riff oder um eine Idee handelt. Bei den Texten sind wir relativ einfältig, sprich: die Texte die ich singe schreib ich auch und die Texte von Tom singt er auch. Und alles wird im Proberaum zusammen gebracht.“) wird es lustiger und entspannter, auch weil wir dann doch in den Backstage-Raum gehen und uns hinter einen schwarzen Tisch mit Vinyl-Plattenspielern setzen. Ach ja – heute Nacht soll noch eine Party im Club stattfinden.

FREIBURG sind jung, kennen sich dennoch schon ziemlich lange, und zwar aus unmittelbarer Nachbarschaft, da sie bis vor einer Weile auf zwei Orte verteilt in der Nähe von Gütersloh wohnten. Der „Presse-Fritz“ (Originalzitat Fusion-Newsletter) staunt über die Neuigkeit, dass der Drummer trotz Band und Freundin (die Reihenfolge ergibt sich im Text rein zufällig) mit Köln-Umweg nach London gezogen ist. Deshalb finden Gigs derzeit an den Wochenenden statt (Termine siehe unten). Am gestrigen Abend spielten die Jungs im Essener Hotel Shanghai, was eigentlich ein Club ist, aber ab und zu finden auch Konzerte statt. FREIBURG gefiel es gut dort. Tom und Jonas sprechen von einer „super Location“.

PiN: Da ich ebenfalls vom Land stamme möchte ich fragen ob die in den Texten verhandelte Tristesse etwas mit diesem Zustand zu tun hat.

Jonas: Das würde ich jetzt nicht sagen. Ich bin ja auch mal von Harsewinkel nach Frankfurt am Main gezogen für ein Jahr. Komplett anders schreibe ich durch den Ort an dem ich lebe nicht. Ich hab ja auch keine Begriffe verwendet das es nach Land klingt. Das passiert nebenbei und unterbewusst.

PiN: Zwischen den Zeilen lese ich in der Richtung schon was.

Jonas: Na, das ist schon ganz gut interpretiert.

(Alle lachen).

PiN: Wo wir schon bei Interpretationen sind: wenn von FREIBURG die Rede ist, dauert es häufig nicht lange bis das Wort TURBOSTAAT fällt. Da ich nicht der eintausendste bin der das sagen möchte, frag ich lieber mal ob ihr Jensen-Bands wie OMA HANS oder DACKELBLUT mögt.

Jonas: Absolut…und zwar alles und komplett. Egal welche Band er gerade hatte.

PiN: Gibt’s einen Favoriten?

Jonas: Einfach alles! Egal bei welcher Band er ist: es gibt immer einen roten Faden, bei dem du merkst das er dahinter steckt. Das find ich absolut bemerkenswert. Hauptsächlich geprägt habem mich DACKELBLUT und OMA HANS. Mit der erstgenannten Band bin ich richtig warm geworden und dann bin ich bei BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE gelandet, weil ich den Bandnamen grossartig fand. Seitdem ich DACKELBLUT abgefeiert hab fing ich an die anderen Sachen von den verschiedenen Jensen-Bands zu verstehen. Ich finde toll wie er mit Worten spielt und Dinge darstellt. Das ist kein typisches Songwriting für mich.

PiN: Wie ist es bei euren Texten? Setzt ihr euch hin und schreibt am Tisch Texte oder habt ihr Ideen, die ihr unterwegs sammelt und notiert?

Tom: Wenn die Idee da ist entsteht gleichzeitig das Thema. Da werden die Schnipsel zusammen gebracht.

Jonas: Bei mir ist es ähnlich: ich hab meinen Collegeblock für Texte. Manchmal fängt es nur mit einem Satz an. Ab und zu fällt mir was ein wenn ich zu Hause fernsehe. Falls ich unterwegs eine Idee hab, nehm ich mein Handy und geb’ne Memo ein. Wenn ich höre was wir gerade an Musik schreiben, schau ich nach was so passen könnte und was dabei den Text unterstreicht. Dann fängt der schwierige Teil an: den ganzen Rest dazu dichten. Entweder erinnere ich mich an irgendwas oder ich mach mir Gedanken bis mir ein passender Satz einfällt. Dann fupp…einmal kurz Pause…dann höre ich auf zu denken…dann brauch ich den Block und das muss schnell aufgeschrieben werden.

Leider ist der Text von „Tote Herzen“ jetzt treffender denn je.

PiN: Bei einem Text auf der neuen Scheibe höre ich eine deutliche politische Haltung raus. Ist das’ne Intention?

Jonas: „Tote Herzen“.

PiN: Genau.

Jonas: Ja, das ist wichtig für mich. „Kanüle abwärts“ geht auch in diese Richtung. Eigentlich kommen wir aus einem ganz anderen Bereich. Wenn du dir anguckst wie wir anfingen mit der Musik…das war noch eher Hamburger Schule. Bis hierhin war es ein langer Weg. Auch wenn ich es saugeil finde und gerne höre: bei plakativem Punk denke ich: „Das kannst du echt nicht bringen“ weil ich voll die Scheub habe und so was auch nicht schreiben kann. An „Tote Herzen“ hab ich sehr lange gearbeitet. Der Hauptsatz steht seit zweieinhalb Jahren und es dauerte lange, bis ich was komplett brauchbares daraus gemacht hatte. Leider ist der Text jetzt treffender denn je, vor allem seit dem letzten Jahr. Der Pegida-Quatsch hatte ja letztens Jubiläum. Das ist traurig. Ich wollte Politik exakter ansprechen und das Thema nicht in Nebelschwaden der Interpretation lassen, obwohl ich mich damit echt schwer tue. Inzwischen merken die Leute ja auch wieder, dass politisch mehr gemacht werden muss. Es ist schade, dass so was nicht konstant gehalten wird, sondern immer nur wichtig wird, wenn gerade was passiert.

PiN: Habt ihr den Anspruch politische Aussagen zu treffen ohne in Plattitüden zu verfallen?

Jonas: Die Grundideen für meine Texte sind eher sozialkritisch. Ein bestimmtes Thema exakter anzusprechen wollte ich schon länger angehen. Es ergab sich dann das es nicht plump daher kommt, obwohl ich so was gerne höre. Aber wie gesagt ich kann nicht so schreiben. Ich streiche tausend mal was durch und schreib es neu auf.

PiN: Ich stelle es mir viel schwieriger vor so was wie „Tote Herzen“ zu schreiben. Ich mag Texte generell mehr wenn sie nicht so leicht dechiffrierbar sind, das mag ich an „Brief & Siegel“ auch: es ist nicht gleich völlig klar um was es geht. Beim mehrmaligen Hören erschließt sich dann vielleicht, ist aber noch immer mit einem Fragezeichen verbunden.

Tom: Das passt.

Jonas: Dann haben wir alles erreicht was wir erreichen wollten.

PiN: Das ist ja super.

Tom: Dann können wir ja gehen.

(Gelächter)

Jonas: Verschlüsselt zu schreiben kam für mich schon vor Ewigkeiten. Ich hab mich bei TOCOTRONIC anfangs in so was verliebt und fragte mich: „Was will der Typ eigentlich? Super Texte – aber was ist genau Phase? Sag doch einfach was dich stört!“ Während der Abi-Zeit haben wir Texte der Nachkriegs-Lyrik durchgenommen, wo man überhaupt nichts verstanden hat. Für ein achtzeiliges Gedicht hat man anderthalb Seiten Erklärungen gebraucht um ansatzweise zu verstehen was gemeint ist. Ich fand erstaunlich, wie man so schreiben kann und seitdem bewege ich mich in diesem Bereich mit den genannten beiden Polen.

PiN: Musikalisch wart ihr anfangs von der so genannten Hamburger Schule geprägt, während „Brief und Siegel“ ja recht hart geworden ist. Macht ihr jetzt so weiter?

Jonas: Die nächste Platte wird ein Konzeptalbum…komplett stumpfer Grindcore!

(Alle lachen)

Jonas: Diesmal aber nicht geschrieben sondern geflüstert…Klar gibt’s da’ne Entwicklung. Ich kam damals aus einer Deutschpunk-Band mit wirklich plakativen Texten. Die Liebe dazu besteht natürlich immer noch. Als Tom, Lars und Nils mich mit in die Band geholt haben, hörte ich zum ersten Mal im Leben deutschsprachige Indie-Musik. Ich hatte mich vorher nicht damit befasst und es hat mich absolut geprägt. TOCOTRONIC ist ein Thema geworden und irgendwann fing es an mit Bands wie CAPTAIN PLANET. Ich glaub Lars fing als erster an TURBOSTAAT zu hören, und da man eh meistens im AJZ auf Konzerte gegangen ist, gab es natürlich viel Hardcore. Ich hab auch’ne lange Phase wo ich fast nur Screamo gehört hab – und das spiegelt sich bei uns alles, es prägt uns und ist ein Entwicklungsprozess. Ich glaub jetzt aber nicht das wir bis zur nächsten Platte Klavier spielen und Adele hören. Das wird nicht passieren.

PiN: Was war das für eine Punkband?

Jonas: Das war tatschlich so richtig Deutschpunk Richtung TOXOPLASMA. Zu der Zeit hab ich zwei ältere Bands entdeckt V – MANN JOE und DIE SKEPTIKER. Im Freundeskreis wurde ZAUNPFAHL und WISO gehört und ich mochte eher härtere Geschichten wie RAWSIDE und TOXOPLASMA.

Politik möchte ich exakt ansprechen und nicht in Nebelschwaden der Interpretation lassen.

PiN: Ihr habt aber auch zu aktuellen Punkbands’ne Affinität…auf euer neuen Scheibe singt Tobi von DUESENJAEGER mit.

Jonas: Ich wollte aufs Abschiedskonzert von DUESENJAEGER und hab’s nicht geschafft, weil ich arbeiten musste und weil es ausverkauft war. Ich hab mich unglaublich geärgert, weil Osnabrück ja auch nicht wirklich weit von uns weg ist, aber es haute nicht hin. Dann haben PASCOW in Osnabrück gespielt – die ich seitdem liebe – und DUESENJAEGER waren dabei. Wir haben vorher schon probiert, ob es mal mit einer Zusammenarbeit hinhaut. Klappte zeitlich aber nicht. Dieses mal haben wir von vornerein gesagt: „Tobi, wenn du Bock hast…!“ und dann stand er plötzlich mit uns im Studio und ich hab drei Kreuze gemacht.

Tom: Das war ein unfassbarer Moment. Man kennt die Stimme von ihren Platten mit diesen hammerguten Texten und dann steht er plötzlich auf’nem Konzert mit Chris da, der unsere Platten rausbringt – und irgendwer fasst sich den Mut ihn anzuquatschen.

Jonas: …der kannte unsere Sachen aber schon – das fand ich ganz gruselig (lacht).

Tom: Was? Der kannte das?

PiN: Warum sollte er euch nicht kennen?

Jonas: Weil wir denken wir sind vier Jungs die einfach Musik machen und damit keine Wellen schlagen. Der Hauptantrieb ist die Lust am Musik machen und deshalb reden wir das wohl auch von vornherein klein.

PiN: Aber das schlägt ja schon ein bisschen Wellen, oder? Ihr werdet aktuell von einem größeren Printmagazin gemocht. Auf deren Online-Seite hab ich heute zum ersten Mal euer neues Video gesehen.

Jonas: Auf Konzerten hat sich nicht grossartig was geändert. Als wir voriges Jahr auf Tour waren gab’s noch nix mit Printmedien und wir waren in einigen Städten absolut erstaunt wie voll es da war. Wir freuten uns auch super darüber, wie im Berliner Schokoladen. Dort finden wir es eh toll. Wir wollten mal dahin zum Abschiedsgig von SCHNELLER AUTOS ORGANISATION, sind aber nicht reingekommen, weil es schon ausverkauft war, als wir den Laden endlich gefunden hatten. Wir haben drei Lieder von draußen gehört und sind dann echt gefrustet weiter gezogen. Nach dem Gig im Schokoladen haben wir in der Roten Flora gespielt, wo es auch gut war. Das befeuert einen natürlich. Direkt mit den Printmedien hat das nicht so viel zu tun, jedenfalls ist es nicht der ausschlaggebende Punkt.

Das Pferd spring so hoch wie es muss.

PiN: Wird es von dem neuen Song-Video auch eine Single geben?

Jonas: Das ist einfach nur für uns und um ein bisschen Aufmerksamkeit zu kriegen: da gibt’s was Neues. Aber’ne Seven Inch mit’nem anderen Lied auf der Rückseite kommt nicht in Frage. Das eine Lied ist ja auch auf der Platte drauf.

PiN: Ich frag das, weil es gerade im Punk-Bereich Leute gibt, für die Seven-Inch-Singles so wichtig sind.

Jonas: Wir haben ja jetzt keinen elften Song aufgenommen der auf die B-Seite draufkommt.

PiN: Ach so. Das war meine nächste Frage.

(Gelächter)

Jonas: Wir sind getreu dem Motto „Das Pferd springt so hoch wie es muss“. Wenn zehn Songs auf die Platte sollen werden zehn aufgenommen und nicht mehr geschrieben. Das ist bei uns auch’ne Sache der Zeit.

Tom: Es gibt dann den Moment wo neun Songs fertig und einige Ideen in unseren Köpfen bestehen. Aus denen wird erst im Studio der letzte Song fertig. Das war bei der zweiten Scheibe und bei der ersten auch schon so.

PiN: Was macht ihr denn, wenn ihr nächstes mal zehn Lieder fertig habt? Schreibt ihr dann ein elftes im Studio fertig?

Jonas: Wenn wir das nächste mal zehn fertige Songs haben, dann sind wir zu spät ins Studio gegangen.

(Alle lachen)

Jonas: Deswegen schreiben wir auch nicht so viele Songs. Wenn einer oder zwei oder drei sagen: „Das ist nicht rund…das geht nicht“ dann wird etwas komplett neu gemacht. Wenn wir ein bestimmtes Riff haben was alle gut finden, dann legen wir Wert darauf, dass jeder mit allem aus dem Track super-zufrieden ist. Das ist unser Hauptziel beim Schreiben der Platte. Deshalb haben wir auch kein Ausschluß-Verfahren, wo es drei Songs zu viel gibt und wir uns fragen: „Was machen wir jetzt?“

PiN: Ich finde die Kürze der Platte auch gut. Sie fühlt sich nicht lang aber sehr intensiv an: man wird am Schlafittchen gepackt und ordentlich mitgerissen.

Tom: Gut zu hören.

Jonas: Gerade deswegen wird das auch nicht länger gehen ohne einen zu nerven. Da steckt von ersten Moment so viel Energie drin, die zu keiner Sekunde zurückgehalten wird.

PiN: Tom und Jonas, vielen Dank für das Interview!

Bandpage: www.freiburgpunk.blogsport.de
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Video: www.youtube.com/watch?v=h2IVxfXJdDI

Nächste Live-Termine:
19. Dezember 2015: Mülheim
23. Januar 2015: Hamburg – Uebel & Gefährlich (mit Love A)
24. Januar 2016: Berlin – Lido (mit Love A)


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Von |Veröffentlicht am: 07.12.2015|Zuletzt bearbeitet: 02.12.2018|2386 Wörter|Lesedauer 12 Min|Ansichten: 883|Kategorien: Interviews|Schlagwörter: , , , , , , |0 Kommentare on Freiburg im Interview – Hardcore, Punk, Hamburger Schule und Screamo – fast alles ausser Adele.|

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Über den Autor: Nico Kerpen

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