All diese Gewalt im Interview: „Ich habe nur Songs geschrieben“

All diese Gewalt im Interview: „Ich habe nur Songs geschrieben“

Wir treffen Max Rieger, Kopf hinter All diese Gewalt an einem völlig verregneten Oktobertag in einer Berliner Einzimmerwohnung, in der der Interviewtag von ihm anlässlich der Veröffentlichung des neuen All diese Gewalt Albums Andere stattfindet.

Hallo Max! Am 6. Januar hast du auf dem All diese Gewalt-Profil auf facebook gepostet „VIER JAHRE SELBSTDEKONSTRUKTION MÜSSEN REICHEN“ und damit quasi die Ansage gemacht, dass ein neues All diese Gewalt-Album kommt. Wann gab es den Punkt, wo du wusstest, dass das Album fertig ist?

Ab einem gewissen Punkt habe einfach ich gemerkt, dass es nur noch verschlimmbessern ist. Ich habe nur noch Dinge hin- und hergeschoben, aber nicht mehr, weil ich was verändern wollte, sondern aus purem Aktionismus. Das habe ich gemerkt und mir gesagt, dann geht es jetzt in die finalen Schritte und dann ist es fertig. Anfang Januar war es dann fertig gemischt. Das hatte ich zwischen den Jahren gemacht, nach Weihnachten.

Was war der erste Song des Albums, der fertig war und der das Ganze quasi losgetreten hat?

Na ja, die Frage ist immer, wann so ein Song fertig ist. Bei dem Album war es so, dass ich sehr lang in der Schwebe war und es sich überhaupt nicht wie ein Album angefühlt hat. Es ging lange so, dass ich dachte „Der Song gefällt mir. Der auch. Der Song ist gut. Der Song könnte gut werden.“ Es gab aber nichts, was sie miteinander verbindet, alle stehen so für sich. Es hat lange gedauert, bis ich dachte: „Ich will aber eigentlich ein Album machen“. Da waren eigentlich schon fast alle Songs fertig. Sonst ist der Prozess schon ein anderer, wo ich dann sage „Ich mache ein Album“. Dann brauche ich einen Opener, dann etwas für den Mittelteil, da brauche ich sowas Midtemop-mäßiges, dann brauche ich etwas Langsames für den vorletzten Song. Das gab es diesem Fall überhaupt nicht. Ich habe nur Songs geschrieben.

Wenn es diesen roten Faden nicht gab, wie bist du dann auf die Reihenfolge der elf Songs gekommen?

Das ist immer so eine Gefühlssache. Ich schiebe dann immer viel hin und her, irgendwann rastet es dann im Idealfall ein. In Fall von Andere ist es sehr spät eingerastet.

In einem Interview von 2016 vor dem Release von Welt in Klammern hast du gesagt, dass du für das nächste Album bereits vierzig Demos fertig hättest. Sind von diesen Songs letztendlich welche übriggeblieben für Andere?

Ja, auf jeden Fall. Das Stück Andere, das Titelstück, stammt aus der Zeit. Auch der Song Grenzen ist damals schon entstanden. Und der Song Maske ist tatsächlich ein Song gewesen, den ich für Welt in Klammern geschrieben hatte, der damals aber nicht auf das Album drauf gepasst hat. Den habe ich irgendwann wieder ausgegraben. Da war er noch deutlich langsamer und tiefer, mit einer ganz anderen Performance und auch einem anderen Text.

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Gab es im Vergleich zu Welt in Klammern etwas grundlegend Anderes im Produktionsprozess von Andere?

Die Basis war eine andere. Beim vorherigen Album waren die Songs alle auf Drones und Flächensounds geschichtet. Bei der Arbeit an den Songs zu diesem Album habe ich irgendwann gemerkt, dass ich teilweise Akkordwechsel machen wollte, die nicht funktionierten, wenn man sie über diese Drones legte. Dann musste ich den Drone ausmachen. Dadurch war der Prozess einfach ein anderer.

Wie kam es zum Titel des Albums? Gab es bei dem Song des gleichen Namens irgendwann den Moment, wo du gemerkt hast, dass dieser das Album besonders gut zusammenfasst oder besonders heraussticht?

Ich weiß nicht, ob das jetzt der wichtigste Song ist oder der, der alles zusammenfasst. Ich würde ehrlich gesagt sagen, dass es eher der Song ist, der nicht alles zusammenfasst. Ich setze die Songs, die alles zusammenfassen, lieber ganz an den Anfang eines Albums. Und für mich ist Halt der Song, der alles zusammenfasst und der alles vorwegnimmt, was auf dem Album passiert. Andere leistet das gar nicht. Er rückt nur deswegen in den Vordergrund, weil er eben der Titelsong ist. Es fühlte sich gut an, dass am Ende des Albums noch mal alles groß aufgeht.

Wie ein Ausrufezeichen.

Es war ganz lange umgekehrt mit dem letzten und dem vorletzten Song. Andere war der vorletzte Song, am Ende kam dann noch der Klaviersong, der auch ein schönes Ende hat. Aber das war nicht so ein „Klammer zu“-Gefühl, wie bei Andere.

Gibt es Gastmusiker:innen auf dem Album oder ist Andere wie auch Welt in Klammern ganz allein Max Rieger?

Nein, im Vergleich zum letzten Album war das dieses Mal anders. Dieses Mal habe ich vor allem mit dem Schlagzeuger Jannis Kleis gearbeitet. Er hat über die ganzen vier Jahre hinweg immer wieder Drums eingespielt, die dann auch teilweise wieder verworfen wurden. Bei bestimmt 20 Songs hat er gespielt, auf dem Album ist er auf vier Songs zu hören. Dann gab es noch Gastmusiker:innen bei einzelnen Songs. Dennis Melzer, der auch in der All diese Gewalt-Liveband spielt, als Gastgitarrist auf zwei Songs, Albertine Sarges, die Backgroundchöre auf dem Song Dein singt und Max Kraft, der Trompete am Ende von Blind spielt.

Im Produktionsprozess eines Soloalbums hat man ja viele Rollen gleichzeitig inne: Produzent, Komponist, Mischer, Musiker. Trennst du da sehr scharf?

Es gehört alles zusammen. Während ich einen Song schreibe, produziere ich ihn auch. Während ich ihn produziere, mische ich ihn gleichzeitig. Ein Sound kann nur überzeugend sein, wenn er eine bestimmte Lautstärke hat, weil er eine bestimmte Vorder- oder Hintergründigkeit haben muss. Da kann man nicht so richtig sagen, ob das das Songwriting, Produzieren oder Mischen ist. Als die Platte fertig war, habe ich mir extra Zeit genommen und alles von vorne aufgesetzt, um noch die letzten 15% rauszuholen. Das ist darin resultiert, dass ich während dem Mixprozess für die Hälfte des Albums noch mal Gesang aufgenommen habe und bei zwei Songs noch mal neue Drums.

Holst du dir bei einer All diese Gewalt-Produktion Feedback?

Es gibt ausgesuchtes Feedback von einem sehr kleinen Kreis an Freunden.

So zum Abschluss noch die Frage zu anderen Projekten, in denen du involviert bist. Stichwort: Die Nerven. Da gab es vor Kurzem einen Post, dass ihr die Aufnahmen zum Album abgeschlossen habt. Wie ist da der Stand? Gibt es einen Zeitplan?

Zeitpläne sind momentan sowieso eine schwierige Angelegenheit, aber was ich sagen kann, ist, dass wir an einem Album arbeiten und dass es fertig geschrieben ist. Die Bandaufnahmen sind fertig, die Overdubs sind gemacht, diesen Monat (Oktober 2020) nehmen wir die Vocals auf. Danach werde ich mich damit viel einschließen, weil es das erste Die Nerven-Album ist, was ich selbst produziere. Bei allem, was ich mache, merke ich immer, dass die Distanz sehr gesund ist und diesen Luxus zu haben, mal einen Monat keine Sekunde davon anzuhören, es einfach komplett zu vergessen, und dann aber nach diesem Monat wieder anzuhören… Manchmal ist es vielleicht schon weiter, als man denkt. Es ist eine gute Zeit, sich für so etwas Zeit zu nehmen, weil wir überhaupt keinen Druck haben. Niemand erwartet momentan von irgendjemandem eine Veröffentlichung. Vor allem bei einer Band wie Die Nerven, wo ein Album auch extrem mit einer Tour gekoppelt ist. Wir sind halt eine Liveband und wollen die Musik auch auf die Bühne bringen, was jetzt bei All diese Gewalt eher hintergründig ist. Also: Die Nerven-Album kommt, aber wann, ist noch offen.

Klingt ja auch so, also wäre das Album im Produktionsprozess und noch gar nicht fertig.

Könnte aber schneller gehen, als man denkt.

Vor einigen Wochen hat Casper ein Foto aus dem Studio gepostet, wo du auch zu sehen bist. Kannst du zu dem Projekt etwas sagen?

Da kann ich noch gar nichts zu sagen. Das kommt noch alles raus, aber es ist noch zu früh.

Danke für das Gespräch!

Titelbild: Max Rieger aka All diese Gewalt | (c) www.alldiesegewalt.bandcamp.com

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Von Veröffentlicht am: 10.11.2020Zuletzt bearbeitet: 06.01.20211341 WörterLesedauer 6,7 MinAnsichten: 1063Kategorien: InterviewsSchlagwörter: , 0 Kommentare on All diese Gewalt im Interview: „Ich habe nur Songs geschrieben“
Von |Veröffentlicht am: 10.11.2020|Zuletzt bearbeitet: 06.01.2021|1341 Wörter|Lesedauer 6,7 Min|Ansichten: 1063|Kategorien: Interviews|Schlagwörter: , |0 Kommentare on All diese Gewalt im Interview: „Ich habe nur Songs geschrieben“|

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Über den Autor: Julian Schmauch

Dozent für Musikproduktion an der Deutschen Pop und der EMS in Berlin. Autor bei BackstagePro, Bonedo und Reverb. Spielt bei Chaos Commute. Remixer, Songwriter und Sounddesigner.

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