BERICHT: Zahn, Lost In Kiev & Maserati (03.05.2022 @Lido, Berlin)

BERICHT: Zahn, Lost In Kiev & Maserati (03.05.2022 @Lido, Berlin)

Zahn, Lost In Kiev und Maserati für dreizehnfuffzig live auf der Bühne des Lido.

Zahn, eine kleine feine, eigentlich schon ganz große Band aus Berlin, eröffnete am 03.5.2022 für gleich 2 renommierte Bands der epischen, weiten Welt des Post-Rock das Konzert im Lido, Berlin. Maserati zusammen mit Lost In Kiev durch die europäischen Landschaften streifend bekamen einen bissigen Anheizer an die Seite gestellt, das Kontrastprogramm somit perfekt abgestimmt und für magere 13,50 € waren nicht annähernd Kritikpunkte auszumachen.

Chris Breuer und Nic Stockmann, stellen ebenfalls die Rhythmus-Fraktion der nicht mehr gänzlich unbekannten Noise-Rock-Formation Heads., rechneten schon damit dass ihnen der Zahn gezogen werden würde, aber für ihren erkrankten Gitarristen Felix Gebhardt aktivierte Chris kurzerhand Eric Timmann als spielenden Ersatz. Eric stammt aus seinem weitgefächerten Hamburger Freundeskreis und verinnerlichte in der raren, ihm zur Verfügung stehenden Vorbereitungszeit alle bekannten Zahn-Implantate.

Ihr erster Longplayer Zahn ist derzeit an allen Ecken und Enden ausverkauft, die neue Auflage in Auftrag gegeben, nur leider lässt sie bis September durch allseits bekannte Engpässe auf sich warten, aber wenn du ein Kassettendeck dein Eigen nennst, könnte ja auch eine der aktuell verfügbaren Exemplare im MC-Form interessant sein.

Das bisher noch unveröffentlichte Salamanda rüttelt die Patienten aus ihrer Lethargie, wärmt die abgestandenen Knochen und Gliedmaßen und Zahn brauchen maximal zwei Minuten, dann läuft die Praxis auf Hochtouren. Tseudo versteckt sich hinter Song Nummer 3 im Register im Schranck, Chris am Bass lässt brummen, Nics Schlagzeug schiebt auch einfach nur simpel an, während Erics Riffs aus der linken Ecke herüber hallen und die Dissonanzen bilden. Danach wird ein Pavian von der rockigen Melodieführung wie sie die Sludge-Rocker Torche gerne zelebrieren, angetrieben und dürfte seinen jetzt dunkel rosarot gefärbten Hintern nicht mehr wieder erkennen, nach viereinhalb Minuten irrsinnigem Wackeln mit den Po-Backen. Erinnern auch in Live-Umsetzung einzelne Tracks an von Gesang befreite The Jesus Lizard-Geschichten, tendiert das Set im weiteren Verlauf in Richtung Post-Punk, sammelt im Wartezimmer eine Bohrer Spitze Post-Rock auf, über deren Köpfe wieder ein Hauch von Krautrock-Elektronik einsticht. Durch ein hochgradig eingestimmtes Soundsystem, betonender Lichteffekt-Gestaltung aufgestachelt, zahlten die drei Musiker für ihre anteilig sitzenden 4,50 € den Hörer:innen es in Form von professionellen Instrumental Tracks heim, die je nach Titel dir die zugezogene Zerrung erträglich gestalten, deine Beine fangen sofort an den Schmerz mit positiven Schüben seinen Symptomen zu berauben oder wie durch den Staub zu erkennen, lassen sie dir moderat, flächige Synthesizer-Elemente um die Ohren fliegen für die Chris an das Tasteninstrument wechselt.

  • Zahn | (c) Nico Pfüller

Alles Staub ist auf den Erdboden zurückgekehrt und lässt ein Lust auf mehr machenden Set ausklingen. Wären diese Musiker aus Übersee, dies wäre der neue, heiße „Scheiß“-Eingriff gelungen, Wurzelbehandlung erfolgreich durchgeführt.

Nach einer kurzen Umbaupause wehen uns Lost In Kiev aus Paris aus einer anderen Himmelsrichtung ins Gesicht. 2012 hab ich die Post-Rocker im Keller vom Tief, das aktuell seiner Existenz beraubt werden soll, vor sagen wir 60 Menschen, live gesehen. In 10 Jahren passierte einiges in Bezug auf ihre Ansicht von post-rockigen Klängen, da die vier mit Veröffentlichung ihres Album Nuit Nore 2016 bedeutend mehr Prog und New-Age-Elemente integrieren. Etwas weg von Gitarren getriebenen Instrumental-Epen, setzten sie mit ihrem durch Pelagic Records unter das Volk gemischten Longplayer Persona 2019 weiter fort so dass die Musik auch gut mit Long Distance Calling vergleichbar sein mag. Ihr Sinn für Melodramatik und filmische, instrumentale Klänge die gerne auf Gesang verzichten können, verfeinern Dimitri Denat und Maxime Ingrand zusehends innerhalb ihrer Gitarrenbögen die immer wieder Zurückhaltung üben. Schlagzeuger Yoann Vermeulen und Bassist Jean Condette verschmelzen mit der anderen Bandhälfte zu einer fiktionalen, umwälzenden Masse nach Einsatz der massiv tönenden Synthesizer, die von Maxime und Jean abwechselnd wie gleichzeitig bedient werden. Programmierte Sprachsamples lassen hierbei auf zukünftige Visionen blicken. Eine gelungene Video-Projektion auf der Leinwand hebt hervor, untermalt und drückt aus worum es in den einzelnen Songs gehen könnte. Mal sind es Installationen mit und ohne Botschaften, dann sprechen wieder die Bilder für sich eine eigene Sprache. Ein opulent gestaltetes Konzert der Pariser Band, die eine Auswahl ihres seit 2007 gereiften Könnens zum Besten gibt, gut zwischen Russian Circles und We Lost The Sea in Stellung geht und sich nicht zu schade ist, Songs zu schreiben die kürzer als fünf Minuten sind. Lost In Kiev sind fertig mit ihrem Auftritt am Ende angelangt und freuen sich über Standing Ovations.

  • Lost In Kiev | (c) Nico Pfüller
  • Lost In Kiev | (c) Nico Pfüller

Jerry Fuchs, Schlagzeuger bei der Band Turing Machine, später Maserati, verstarb am 08.11.2009 bei dem Versuch sich aus einem steckengebliebenem Fahrstuhl zu befreien, bei dem er fünf Stockwerke weit in die Tiefe viel und im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlag.

Seit diesem tragischen Verlust veröffentlichten in unregelmäßigen Abständen ein neues Album und ähnlich unbeständig gehen die Maseratis alle 3-5 Jahre auf Tour, aber eine Platte zu promoten die vor zwei Jahren herauskam und aufgrund der Pandemie keine Möglichkeit bestand sie auf der Bühne vorzustellen, bringt schon etwas von Ironie mit sich, wie Matt Cherry mit einer Ansage lächelnd anmerkte.

Enter The Mirror, am 03.04.2020 auf Temporary Residence veröffentlicht feiert das zwanzigjährige Bestehen der Band und kombinierte noch kompakter ihre triumphalen Gitarren-Hooks mit krudem Synthie-Pop, der von sporadisch eingesetzten Vocoder-Stimmen unterstützt, durch die Augen eines Autors wie Philip K. Dick geblickt, selten elektrischer war.

Nach einem zweiminütigem Intro gibt uns Matt sofort seinen Killing Time Vocoder-Gesang mit auf die Schnellstraße und schon jetzt zeigt sich wieder das moderne Krautrock-Elemente, wie sie Neu! inn den siebziger Jahren schon Club kompatibel schrieben, ihre Spuren deutlich hinterließen.

Der Honig kriecht klebrig und nur unwesentlich langsamer aus den Boxen, quietscht und sägt wie die urplötzliche Landung der Marsianer in Mars Attacks auf dem Vorplatz der University Of Georgia in Athens, Georgia. Monoliths, 2009 auf der Split mit Zombi enthalten, klingelt unaufhaltsam von fern und nah über seine gesamte Spiellänge und geht durch die Hände aller Protagonisten und wieder zurück. Schön zu beobachten wie Chris McRea mal prägnant, dann wieder unterstützend seine Griffe auf den Basssaiten gestaltet und Mike Albanase, mit einer ordentlichen Dosis Wucht in die Schlagzeug Felle geht. Coley Dennis, Gitarrist und zweites verbliebenes Gründungsmitglied teilt sich mit Matt auch den Einsatz an den Synthesizern aber heute Nacht scheint er zu fehlen. Die sparsam eingesetzten, genug Raum für entführende Klanggestalten einräumenden elektronischen Sprenkel werden komplett von Mason Brown übernommen.

Gitarrist Mason war schon länger an den Kompositionen beteiligt und am 29.04.2022 via facebook-Statement als fünftes Mitglied offiziell bestätigt worden.

Matt bedient in Gestalt des End Of Man wieder das Gerät wo die Roboterstimmen herauskommen, welches neben seinem Mikrofon angebracht wurde und ruft uns die Gegenwart von John Carpenters visionären Soundtracks ins Gedächtnis, der auf dem Album Rehumanizer von 2015 mit ordentlich Captain Future-Spirit torpediert wurde.

Earth-Like und Rehumanizer setzen Gitarrenriffs in den Mittelpunkt die sich ordentlich austoben dürfen zu denen Mike Albanese unermüdlich, feingeschliffen wie ein Rupin, mit der Präzision eines Uhrwerk, direkt an vorderster Bühnenkante sein Schlagwerk zur Verfügung stellt.

Sogar Inventions von ihrem zweiten Album wird durch den Raum geschickt, dessen sich auftürmende Songstrukturen immer wieder festsetzen und nach 15 Jahren, mich genauso hypnotisiert zuhören lassen wie im Conne Island, Leipzig 2007.

No More Sages könnte gut und gerne in der gleichen Studio-Session wie Inventions For The New Season entstanden sein und begibt sich in das Team der ältesten Maserati-Songs des Konzertabends, nachdem The Eliminator, auf Pyramid Of The Sun enthalten, an den Wallwalker vom aktuellen Album weiterleitet.

Pyramid Of The Sun rundet das sehr technisch klingende Set mit einem entschlackte Rhythmus fast technoid, zeitlupenartig ab. Maserati werden vom Publikum frenetisch gefeiert und nicht wenige nutzten die minimalen Sicherheitsabstände für ausgelassenes Tanzen.

Die gleichnamige Langrille feierte 2010, ein Jahr nach Jerry Fuchs‚ Unfall sein viel zu früh geendetes Leben.

Die Grenzen von Post-Rock überwanden Maserati schon vor längerer Zeit und ihre einzigartige Mischung wird ihnen auch so schnell niemand streitig machen können. Wie sich nach dem großartigen Konzert bei einem bei einem kleinem Plausch mit Matt und Mason herausstellt, kommen in Berlin dreimal so viele Konzertbesucher:innen zu ihren Konzerten, als in ihrer Heimatstadt Athens. Nach dieser aufschlussreichen Erkenntnis, die uns alle etwas ins Lachen brachte, verabschiedete ich mich in die Nacht und wünschte noch alles Gute für die verbliebenen Auftritte.

  • Maserati | (c) Nico Pfüller

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Von Veröffentlicht am: 02.06.2022Zuletzt bearbeitet: 02.06.20221532 WörterLesedauer 8,8 MinAnsichten: 761Kategorien: EventsSchlagwörter: , , , , 0 Kommentare on BERICHT: Zahn, Lost In Kiev & Maserati (03.05.2022 @Lido, Berlin)
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