BERICHT: Pop-Kultur Festival, 23. -25.08.2017 Berlin
Punkt 17:30 stehe ich erwartungsvoll im Soda Club in der Kulturbrauerei. Es ist Mittwochabend, und gleich soll hier das große Spektakel beginnen.
Mir wurden Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa Klaus Lederer und Musicboard-Berlin-Chefin Katja Luckers versprochen. Von den Dreien kriege ich erstmal nicht viel zu sehen, dafür ist es aber sehr warm und stickig. Die Rettung gibt es an der Bar: kühle und vor allem kostenlose Getränke. Ein Privileg, von dem nicht nur ich in den nächsten Tagen Gebrauch machen sollte. Um mich herum drängen sich nämlich eine Menge Menschen, die mindestens genauso viel schwitzen wie ich. Ein paar davon habe ich während der drei Festivaltage kennen gelernt, fast alle sind Musiker oder auf dem Weg dorthin. Sie alle wurden ausgewählt für das Nachwuchsprogramm des Pop-Kultur Festivals, insgesamt waren es 250 junge Menschen aus der ganzen Welt.
Ziel ist es Kontakte zu knüpfen, ins Gespräch zu kommen, bei Workshops Neues zu lernen und zu diskutieren. Über Musik, die Welt oder wenn es sein muss auch über das Wetter.
Das klappt am Besten an der Bar – praktisch, dass der Alkohol gratis ist, dann sitzt die Zunge auch etwas lockerer. Das Meiste davon ist am Mittwochabend im Soda Club noch nicht passiert. Viele kennen sich schon, andere stehen noch verloren in der Menge. Gut, dass die versprochenen Redner, dann doch noch auftreten. Es waren nicht die typischen Danksagungen und Pflichtworte, sondern alle drei vermitteln, dass sie voll hinter dem Festival stehen, und sich freuen dort am Rednerpult zu stehen.
Sie stellen sich klar gegen den Boykott der „BDS-Kampagne“. Die hatte Musiker dazu aufgerufen, das Festival zu boykottieren, da die israelische Botschaft, eine kleine Menge Geld für Reisekosten gezahlt hat, und somit als Partner des Festivals aufgelistet war. Daraufhin sagten viele arabische, aber auch finnische oder sogar englische Musiker ab.
Katja Lucker, die Direktorin des Festivals, war „sehr wütend“, und wenn ich mich richtig erinnere ließ Klaus Lederer sogar das Wort „Scheißparolen“ fallen, mindestens jedoch einen gleichwertigen Ausdruck.
Der Rest der Eröffnung war kurzweilig, am Ende noch ein paar Programmtipps und schon kann es losgehen.
Erst einmal verschaffe ich mir auf einem landkartengroßen Faltplan einen Überblick über die Konzerte, Ausstellungen, Talks und Installationen in den nächsten drei Tagen.
Ich hatte mir schon zwei bis drei Konzerte pro Abend eingekreist, doch das sieht ziemlich mickrig auf dem riesigen Zettel aus. Diversität wurde hier sehr groß geschrieben.
Ich werde gefragt, ob ich denn bei jenem Konzert war, oder jenen Künstler gehört habe. Meistens musste ich verneinen, und hatte bis dahin auch noch nie etwas von dem Musiker gehört. Ich bin einfach von diesem unglaublichen Angebot überfordert. Schnell komme ich mir sehr vor, als wäre alles wichtige in der Musikszene an mir vorbei gegangen. Und das, obwohl ich mir extra zwei Wochen vorher eine „Pop-Kultur Festival Playlist“ erstellt hatte um mich intensiv vorzubereiten.
Und das ist auch schon der größte aber einzige Kritikpunkt am Pop-Kultur Festival. Sehr viele Veranstaltungen finden gleichzeitig statt oder überschneiden sich. Ich wünsche mir, noch sehr viel mehr sehen zu können, aber es is immer ein Abwägen zwischen einem sehr guten Konzert und einem noch besseren.
Das was ich sehe ist unglaublich gut. Sophia Kennedy macht für mich musikalisch den Anfang. Gelassen wechselt sie durch die unterschiedlichsten Musikstile, verwebt sie miteinander und drückt allem ihren ganz eigenen Stempel auf. Ihr roter Ganzkörperlatexanzug wird auch nur noch vom Brautkleid-tragenden Sänger der „Liars“ übertroffen. Fazit: super Konzert, hätte wohl nicht besser starten können.
Ich werde durch die unterschiedlichsten Stile geworfen. Am ersten Abend kriege ich noch die geballte Wucht von Soft Grid (unbedingte Empfehlung!) um die Ohren geschmissen, um gleich danach im Kesselhaus Abra zuzuhören. Die R’n’B Künstlerin ist absolutes Kontrastprogramm zum Krachtrio aus Berlin.
Die Sängerin aus Atlanta steht alleine auf der Bühne hinter ihr ein Abbild von ihr selbst auf einer Leinwand, dass sich in der nächsten Stunde durch alle Farbpaletten von glitzernd bis durchsichtig bewegt. Ihre Stimme – der Hammer, und die Fanbase groß. Sie gilt ein bisschen als der Star an dem Abend. Ich treffe kaum jemanden, der nicht zu Abra wollte.
Der Donnerstag verläuft etwas chaotischer. Let’s eat Grandma machen noch einen sehr geordneten Einstieg, danach begann für mich eine kleine Odyssee von Konzert zu Konzert. Der Anfang bei La Femme, da kurz raus um für 5 Minuten bei Alexis Taylor zu saunieren. Ein kleiner Abstecher bei Anna Meredith und dann wieder zurück zu La Femme.
Nichts will so recht fesseln, also bleibt nur eine Lösung: zurück an die Bar. Nach ein paar Gesprächen und (natürlich immer noch kostenlosen) Getränken setzt eine kleine Völkerwanderung zu den schon erwähnten Liars ein. Den im Programmheft schon angekündigten „boshaft-berstenden Krach“ gibt es dann tatsächlich auf die Ohren, so dass ich zufrieden mit dröhnenden Ohren nach Hause fahren kann.
Dann bleibt nur noch ein Tag – der Freitag. Kino ist immer gut denke ich mir und setze mich in die ersten vierzig Minuten der Sleaford Mods-Doku „Bunch of Kunst“. Nach allem was ich gesehen habe absolut empfehlenswert, nur kam ich leider noch nicht dazu, den Film zu Ende zu schauen.
Das Kino verlasse ich nämlich für die Band Jakuzi aus der Türkei. Nicht nur die Band selbst wurde mir empfohlen, sondern auch der Anblick des Sängers. Das kann jeder für sich entscheiden. Was wohl unbestritten ist, ist die schöne und mitreißende Musik, die das Trio auf die Bühne bringt.
Mein kleines persönliches Highlight sind die beiden nächsten Konzerte. All diese Gewalt spielt im Kesselhaus. Erst wundere ich mich, dass eine Band, die ich definitiv in die kleinen Clubs verorte, in der größten Location spielt. Die Musik von Max Rieger entfaltet sich in dem großen Saal aber unglaublich gut. Die verschiedenen Ebenen fächern sich durch den Raum – so habe ich die Musik noch nie gehört.
Danach gehe ich gleich weiter zu Friends of Gas. Deren Debutalbum wurde von Max Rieger produziert und ist definitiv eines der besten Punkalben des letzten Jahres. Der Frannz Club ist viel zu voll, und ich verrenke mir fast den Hals, weil ich das ganze Konzert lang an einer Säule mitten im Raum vorbei schauen muss. So sehr kann Musik also weh tun, allerdings sind das Schmerzen die sich lohnen. Die fünf Musiker liefern das ab was ich erwarte und das machen sie sehr sehr gut.
Ein gelungener Abschluss für drei Tage völlige Reizüberflutung im positivsten Sinn.
Das Pop-Kultur Festival hat sich jetzt schon als Marke etabliert. Hier prallen unglaublich interessante Musik, Ideen und Menschen aufeinander und alles so gefördert, wie es sonst nur in der „Hochkultur“ üblich ist. Die Messlatte für das nächste Jahr wurde sehr hoch gelegt, doch ich bin zuversichtlich, dass das Team um Katja Lucker es schafft, das Niveau mindestens zu halten.
Wenn dein Album, Song oder Video als Premiere auf prettyinnoise.de veröffentlicht werden soll kannst du hier mehr erfahren:
Wenn du einen Gastbeitrag auf prettyinnoise.de veröffentlichen möchtest kannst du hier mehr erfahren: