BERICHT: „Not All Wonders Have Been Lost“ – Alex Henry Foster @Privatclub, Berlin (30.06.2022)

BERICHT: „Not All Wonders Have Been Lost“ – Alex Henry Foster @Privatclub, Berlin (30.06.2022)

Bereits absolvierte Konzerte der aktuellen Alex Henry Foster UK/Europa-Tour hielten im besten Falle bis zu drei Stunden an, da fast traditionell eine Live-Umsetzung in positiver Hinsicht schnell, frenetisch aus dem Ruder läuft und die Laufzeit diverser Songs jene ursprünglichen Versionen um ein vielfaches übertrifft.

Gekoppelt mit Musiker:innen die sich in einen rauschartigen Zustand spielen und gekonnt innerhalb eines Moments von der inneren Ruhe überraschend in den stürmischen Wellengang driften, bieten definitiv beste Voraussetzungen, dass der 30.06.2022 für ein abschließendes Highlight im Privatclub am Monatsende sorgt.

Rechtzeitig akkreditiert, einige stürmische Bildaufnahmen in meinen Kamerakasten zu bekommen, beinhaltete das Engagement sehr zu meiner Freude einen Gästelistenplatz inklusive Begleitung. Prompt schickte ich Manja, einer langjährigen, guten Freundin zwei Live-Mitschnitte vom Jazz-Festival in Montreal und schon bekam ich ihre Zusage, sie würde mich in den Privatclub begleiten.

Alex Henry Foster | (c) Nico Pfüller

Sandra übernimmt auch heute Nacht eine nicht unwichtige Rolle am Merch-Stand, deckt die zahlreich erschienenen Fans mit T-Shirts, Tonträgern ein und auch einzelne Anfragen bezüglich Selfies setzt sie freundlich und lächelnd in die Tat um. Wir unterhalten uns kurz über die Möglichkeit eines Smalltalks mit der Band nach dem Konzert im Backstagebereich, sie beantwortet mir einige, spontan durch den Kopf schießende Fragen rund um die Tour, die Wichtigkeit von Merchandising-Einnahmen, farbiges Vinyl und legt mir das verbliebene, schwarze Exemplar der Live From Festival International De Jazz De Montreal Langrille beiseite.

Die Setlist im Auge des Betrachters eingefangen, mussten leider dem etwas weniger üppigen Zeitrahmen Songs wie Winter Is Coming In und The Love That Moves (The End Is The Beginng) weichen, denn Nachtruhe und Sperrstunde entwickeln je nach Lage im Kiez doch immer noch ihre eigene, abweichende Dynamik. Aber vielleicht ist ja genau das der positive Wermutstropfen, denn dafür rückt der durch Live-Session bekannte, fantastische Track Slow Pace Of The Winds in die heutige Auswahl.

Alex Henry Foster | (c) Nico Pfüller

Sef Lemelin, Gitarrist bei den Long Shadows, stimmt uns in seinem kurzweiligen 15 minütigen Instrumental-Set auf die kommenden zwei Stunden ein und verwebt dafür intensiv seine sphärischen Gitarrenteppiche miteinander, die natürlich unter dem Einfluss seiner weitreichenden Effekte stehen.

Eine einleitende, instrumentale Ouvertüre gleitet nahtlos in die sich aufbäumende Kraft von links, dem Element Luft und Slow Pace Of The Winds offeriert eine Myriade an spielenden Gegensätzen, dargeboten von einem Ensemble, das alle sechs Your Favourite Enemies-Musiker:innen wieder vereint. Ich zähle vier verschiedene Effektgeräte-beherbergende Pedal-Strecken die kaum genug Platz lassen für unüberlegte Moves, aber Alex, Sef und sein Bruder Ben behaupten den spärlichen Raum im vorderen Drittel zu ihrem Gunsten. Schillernde Percussion kollidiert mit Drone-Gitarrenriffs, die in unterschiedlichen Rhythmen gelagert, über mehrere Minuten hinweg, eine ähnliche Sogwirkung ausrufen wie wir sie von den kanadischen Godspeed You! Black Emperor kennen und lieben.

Alex Henry Foster steht für Konzerte außerhalb der eigenen Breitengrade nur ein begrenztes Kontingent zur Verfügung und die übrigen vier Elemente der Gastmusiker:innen teilen sich fair untereinander auf, so dass die Long Shadows innerhalb der Tracks manchmal ihr Instrument austauschen, was keineswegs zu Lasten seiner aufwendigen Musik geht.

Synthesizer und Gesang gehören für Miss Isabel seit 2006 nicht mehr zum musikalischen Kreis der Unbekannten, haucht den Schatten mit gefühlsbetonter Hintergrund-Stimme eine zusätzliche emotionale Kerbe zwischen Fosters überschäumende Ausbrüche und treibende Sequenzen verlassen regelrecht auf Tastendruck ihre unter Strom stehenden Keyboards. Bassist Jeff Beaulieu managt epische Bass-Grooves und ehe du dich versiehst, klemmt Ben von Zeit zu Zeit hinter dem zusätzlichen Drum-Kit und liefert Lead-Drummer Charles synchrone Unterstützung an den Fellen.

Alex Henry Foster | (c) Nico Pfüller

The Pain That Bonds (The Beginning Of The End), lenkt Lautstärke und Explosivität in aufsteigende Bahnen, dreht ordentlich an der Spannungsschraube und ist ein Indiz dafür, dass Michael Giras Musik merkliche Spuren bei Foster unbewusst eingebrannt haben dürften.

Eigentlich misst das musikalische Herzstück der Nacht, Summertime Departures (Sometimes I Dream), auf Fosters bisher einzigem Studioalbum Windows In The Sky enthalten, nur etwas über fünf Minuten, aber was die Band daraus entstehen lässt, solltet ihr einfach einmal selbst erlebt haben. Alex vermittelt uns die tiefschürfende Tragik, die Summertime Departures umgibt und spiegelt textlich betrachtet, all seine Zwiespälte und Abgründe im Umgang mit den Tod seines Vaters wieder. Klar, viele Musiker:innen verarbeiten ihre dunkelsten, traurigsten Erlebnisse in Musik und Lyrik, aber nicht alle möchten immer darüber auf Konzerten sprechen, so wie er heute.

Fast dreizehn Minuten lang bekommen Konzertbesucher:innen nach dem prägnanten Bass-Intro eine aufreibende Berg- und Talfahrt geboten, die alle Beteiligten endgültig ihre innerste Energie entfesseln lässt. Im letzten Drittel treibt der extrem nervös pumpende Beat jegliche Noten die du deinem Instrument entlocken kannst, mindestens einmal die Tonleiter rauf und runter. Miss Isabel, Alex, Ben, Sef, Jeff und Charles scheinen völlig auszurasten, tanzen im Takt der Percussion, schreien ohne Worte, hauen auf die Becken, schreddern die Saiten ihrer Gitarre, wovon sie auch die exaltierende Tonart der Trompete nicht abhalten kann.

Alex Henry Foster | (c) Nico Pfüller

Herr Foster gewährt weitere Einblicke in das innerste seiner Gedankenwelt und The Hunter entführt uns im Midtempobereich mit hörbarer Intention immer ruhiger werdend durch eine Sadcore-Passage, die in ausnahmsloser Stille endet, nachdem Streicher, Moog und Trompeten endgültig verstummt sind.

Shadow Of Our Evening Tides maximiert erneut Spielzeit in Richtung Extended-Version und improvisiert, interpretiert seinen Klang der Originalaufnahme für die Bühne neu. Dieses letzte, mit Neo-Klassik retuschierte Lied wird von Downtempo, Post-Rock aus dem Hintergrund dominiert, gestrichene Saiten, sofern sie dann noch Heile geblieben sind, tragen die gefühlvollen Worte von Alex über allerhand elektrische Wolken. Wenn auch weniger impulsiv, treffen hier die spielenden Protagonist:innen des Abends für diese letzte, tiefgehende Spur von musikalischer Katharsis, sinnbildlich an der Wegkreuzung aufeinander und die wahnsinnig trötende, surreale Klänge erzeugende Trompete hat ihre Luft damit für heute endgültig verbraucht.

Alex Henry Foster | (c) Nico Pfüller

The Long Shadows suchen den Kontakt zu den vor der Bühne noch verweilenden Fans, umarmen herzlich Konzertbesucher:innen, schütteln Hände und bedanken sich mehrmals für unser aller Erscheinen, bevor sie in die Nacht entschwinden.

Leider fällt die geplante Backstage-Konversation anscheinend ins Wasser, denn Alex wird von etlichen Fans regelrecht belagert, damit ihr Souvenir dieser nachhallenden Konzertnacht mit einer Widmung versehen wird. Mehrmals versuchen wir uns per Augenkontakt zu vermitteln, gleich könnten einige Augenblicke zu Verfügung stehen ein paar Gedanken auszutauschen. Herr Foster ist heute sehr gefragt und uns bleibt gerade so viel Zeit übrig, eine Handvoll Sätze zu transferieren denn „Susie“ (leider habe ich den richtigen Namen der netten Privatclub-Mitarbeiterin im Eifer der Nacht durcheinander gebracht), steht schon zu ihren Diensten um aufgrund der offiziellen Schließzeiten alle Besucher:innen des Feldes zu verweisen und ihnen einen sicheren Nachhauseweg zu wünschen.

Für eine freundschaftliche Umarmung ist dennoch genug Zeit und wir verbleiben mit dem Wunsch, dass der nächste Besuch in Berlin etwas mehr Zeit in der Hinterhand hält, ausgelassen eine kleine Gesprächsrunde einzuberufen.

Blöderweise hab ich die Abdeckung meines Kameraobjektivs verloren und die Privatclub-Crew versichert mir, dass dieser am nächsten Morgen garantiert auftaucht. Ganz easy per E-Mail würde mir die einschlägige Information mitgeteilt werden, wenn ich mich an dafür vorgesehene Kontaktadresse wende. Draußen, an der frischen Luft angekommen frage ich Manja ob ihr das Konzert gefallen hat und sie erwidert kurz und knapp mit prägnanten Worten.

Ja, es war laut und es hatte Seele.

Rundum ein überwältigender Ausklang des Konzertmonats Juni und alle Leser:innen, die in der Umgebung von Köln wohnen, unbedingt Alex Henry Fosters Konzert am 28.07.2022 auf der Biergartenbühne Kantine besuchen. Eintritt ist frei.

Und hier noch eine kleine Diashow

Titelbild: Alex Henry Foster | (c) Nico Pfüller

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Von Veröffentlicht am: 21.07.2022Zuletzt bearbeitet: 21.07.20221338 WörterLesedauer 7,3 MinAnsichten: 861Kategorien: EventsSchlagwörter: , , , 1 Kommentar on BERICHT: „Not All Wonders Have Been Lost“ – Alex Henry Foster @Privatclub, Berlin (30.06.2022)
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One Comment

  1. Ute Krafft 23.07.2022 at 10:52 - Reply

    jaa, genau so! danke für diesen tollen Text über die Band.

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