BERICHT: Complexity Fest, Patronaat Haarlem, 14.02.2020

BERICHT: Complexity Fest, Patronaat Haarlem, 14.02.2020

Smalltalk war noch nie meine Stärke. Dabei gebe ich mir Mühe, wirklich. Werde ich auf WG-Balkons oder eingekeilt auf Polo-Rückbänken nach meinem Musikgeschmack gefragt, nuschle ich meist etwas in der Art von „komplexe, atmosphärische Gitarrenmusik“. Darauf folgt meist ein verlegen bis perplexes Schweigen. Das hat wohl wieder nicht geklappt. 

Aber wer kann es meinen Smalltalk Opfern verdenken? Das Complexity Fest in Haarlem bewies wieder einmal in anschaulichster Manier, wie vielfältig diese Bezeichnung auszulegen ist! Seit nun vier Jahren findet das eintägige Festival in der wunderschönen Provinzhauptstadt Nordhollands statt, auf dessen Bühnen sich unter anderem Tech-Metal, Avantgarde-Electro und Free-Jazz Bands abklatschen. Sie alle eint der spielerische Umgang mit Musik und die frenetische Freude am einreißen von Grenzen und Konventionen. 

Bereits am Freitag Abend lud das Complexity-Kollektiv zur Warm Up-Party mit den drei lokalen Bands Beaten To Death, Astrosaur und Mary Fields. Leider kamen wir aufgrund der langen Anreise zu spät (als wir um 23 Uhr vor den Türen des Patronaats standen, wurden wir mit verwirrtem Kopfschütteln Heim geschickt), konnten aber am folgenden Tag noch einige begeisterte und bierseelige Bemerkungen über den Abend aufschnappen. Zunächst waren wir allerdings zur Genüge damit beschäftigt, uns im Patronaat zurecht zu finden: Der dreistöckige, futuristisch anmutende Club am Rande des Stadtkerns birgt ein kleines, düsteres Labyrinth von Gängen, Treppen und Säälen. Deutschen Veranstalter:innen würden beim Anblick der eigens auf Pop- und Rockkonzerte zugeschnittenen Location die Tränen in die Augen schießen – von ihrer Akustik ganz zu schweigen. 

Wer es darauf anlegt und zehn Stunden von Bühne hetzt, hätte an diesem Abend theoretisch die Möglichkeit, 18 Bands auf drei Bühnen zu sehen. Bei aller Liebe zur Musik, so ambitioniert sind wir nicht, außerdem verlocken die Merch-Tische und zwei Essensstände zu ausgedehnten Spaziergängen durch‘s Patronaat. Eröffnet wird das Festival vom lokalen Trio Our Oceans mit melancholischem Post-Rock und Thom Yorke-Gesang. Es folgen die japanischen Percussion Virtuosen Goat, die den Saal mit ihren Stücken aus blankem Rhythmus in Trance versetzen. Nur eine Stunde später zerlegen Herod aus der Schweiz eben jene Bühne in einem rifflastigen Metal-Malstrom, während auf der kuscheligen Kneipenbühne 3 die hyperaktiven Ni mit ihrem euphorisch-verqueren Jazz-Punk diverse Hirnwindungen verknoten. 

Thank You Scientist wiederum könnten glatt als Poster Boys der gutgelaunten Frickelei durchgehen. Immer mindestens acht Musiker auf der Bühne, der episch durchdringende Gesang Salvatore Marranos (ja!) und eine handvoll Blasinstrumente… Das grenzt schon fast an eine Sinnesüberflutung. Ähnlich ergeht es uns nach der Show von STUFF., deren Songs wie willkürlich bunte Tetris-Konstruktionen aus Samples, Rhythmen und Synthie-Effekten wirken. Das US-amerikanische Trio Night Verses wird für mich mit seinem von Visuals unterfüttertem, rasendem Ungetüm von Prog-Metal zur Neuentdeckung des Festivals. 

Zum Abend hin steigt die Vorfreude: And So I Watch You From Afar spielen gleich zwei Sets. Das erste stellt ihr multimediales Projekt Jettison vor, einem von der durch ein Streichquartett unterstützten Band untermalten Animationsfilm des Künstlers Sam Wiehl, der in eine fantastische Welt ohne Gravitation entführt. Dazwischen wüten die heißgeliebten, in Ironie und Schweiß gebadeten Belgier Raketkanon über die Bühne, oder eher durch das Publikum. Den Schlusspunkt setzt eine der spannendsten Riot Grrrl Band der Gegenwart: Otoboke Beaver aus Japan, die lustvoll mit dem Klischee des zuckersüßen „kawaii“ Pin Ups spielen, um es anschließend mit wildem Kampfgeschrei zu zerstückeln. 

Mein seeliges Grinsen klebt mir auch auf der verregneten Rückfahrt im Flixbus zurück nach Deutschland noch im Gesicht. Ich komme mit meinem Sitznachbarn ins Gespräch. Von dem Complexity Fest hätte er bisher noch nicht gehört. Was für Musik denn dort gespielt werde?

Titelbild: Complexity Fest 2020 | (c) JaapKroon Fotografie

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Von Veröffentlicht am: 26.02.2020Zuletzt bearbeitet: 26.02.2020637 WörterLesedauer 3,2 MinAnsichten: 791Kategorien: EventsSchlagwörter: , , , , , , , , , , , 0 Kommentare on BERICHT: Complexity Fest, Patronaat Haarlem, 14.02.2020
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Über den Autor: Sabrina Blaess

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