Last.fm beta – Gut verpackte Scheiße stinkt trotzdem

Last.fm beta – Gut verpackte Scheiße stinkt trotzdem

Last.fm hat eine neue beta-Version. Schon seit ein paar Wochen. Das ist zunächst an mir vorbeigegangen. Wird Zeit, sich das neue Ding anzuschauen.

Verdammt, wieso habe ich das nicht schon früher mitbekommen? Neuer Look, neue Features. Die Rede ist von meiner langjährigen elektronischen Musikliebe Last.fm. Früher schenkte ich ihr so viel Aufmerksamkeit. Das ist der Punkt: früher. Last.fm ist für mich seit Jahren wie ein ungeliebtes Haustier bei Jugendlichen – es gerät immer mehr in Vergessenheit. Wie viel neue Musik und ähnliche Künstler ich früher über diese Seite entdeckt habe. Danke dafür, Last.fm! Der Scrobbler war immer für mich da, mehr brauchte ich irgendwann nicht mehr. Ab und zu ein Blick auf die Seite, um die Charts abzuchecken, das war es dann auch schon wieder. Heutzutage mache ich das nicht mehr, ich habe andere Quellen für Musik. Kurz gesagt: Bessere. Ein Segen für mich, ein Fluch für Last.fm, denn so habe ich mich immer weiter von der Seite entfernt und den Community-Gedanken, die personalisierten Empfehlungen und das Entdecken neuer Bands woanders ausgelebt. Meinen Freunden geht’s genauso. Den Trend hat Last.fm auch erkannt und den längst überfälligen Relaunch an den Start gebracht. Nutzerfreundlicher soll es sein, besser zu bedienen und übersichtlicher. Längst überfällig, schließlich lebt Last.fm einzig von den Nutzern und ihren Daten. Wenn die ihre Musik nicht mehr scrobbeln, fehlt die Luft zum Atmen. Das soll sich jetzt wieder ändern, schließlich versprechen die Macher „the best possible music journey“, weil sie „the strongest personalised music recommendations around“ abliefern. Es ist an der Zeit, sich das mal anzugucken.

Es ist nicht immer alles geil was glänzt
Das neue Design beherzigt ganz klar eine simple Regel: „more space, less information.“ Die Benutzeroberfläche im Dashboard gründlich poliert, sieht jetzt alles ein bisschen schicker aus. Was wirklich Neues oder Besonderes suche ich vergebens. Die Bandfotos werden in kleinen runden Bildchen dargestellt, die angesagtesten Künstler versammeln sich auf meinem Dashboard in einem kleinen Ballbad. Das alles kommt mir doch sehr bekannt vor, dazu nehmen all die kleinen Spielereien zu viel Platz ein. Ähnlich bei den Empfehlungen: Die strukturierte Übersicht an neuen Songs, Alben, Künstlern und Konzerten ist einem asymmetrischem Haufen voller Mosaiksteinen gewichen. An sich eine klasse Idee, da wird’s nicht so schnell langweilig. Bloß bleibt viel zu viel weiße Fläche links und rechts einfach brach liegen, die ab und zu mit grässlicher Werbung aufgefüllt wird. Auf meiner Profilseite das gleiche Spiel. Selbst die einzelnen Charts wurden komprimiert, das Bandfoto ist der neue Herrscher. Am schlimmsten aber ist, dass die individuelle Gestaltung meines Profils und insbesondere der Charts für mehr Design Platz machen musste! Doch wie ich schon früh in meiner Kindheit durch exzessives spielen diverser Super-Nintendo-Spiele gelernt habe: Nicht das Aussehen entscheidet, es ist der Inhalt!

Neuigkeiten

„Your new home?“ – ach, ich weiß noch nicht
Das Dashboard heißt jetzt Live und bietet „Last.fm in real-time“. Last.fm verspricht es mir: Es wird mein „new home“. Bis jetzt bin ich doch eher ein ab und zu gern einkehrender Gast. Nach Ländern gehörte Künstler, angesagte Musik, ein Zähler aller Scrobbels oder ein Tool, mit dem ich bestimmte Genres aus verschiedenen Jahrzehnten entdecken kann. Alles ganz nette Spielereien, die bei mir aber nicht viel mehr bringen als ein paar Minuten Beschäftigung. Vor allem der All-Time-Scrobbler kommt wie ein Muskelspiel von Last.fm daher. Meine Startseite zeigt nach wie vor neue Bands, wer bald in meiner Nähe spielt oder was ich von einem Künstler noch nicht gehört habe. Ein guter und altbewährter Mix, der jetzt noch ein bisschen besser geworden ist. Durch die längst überfällige Implementierung aller möglichen Streaming- und Musikdienste wie Spotify, Deezer, Rdio, YouTube und sogar Hype Machine könnte bald wieder zusammen kommen, was zusammen gehört. Die nahtlose Zusammenarbeit des Players mit YouTube und meinem Spotify-Player läuft. Last.fm beeindruckt mich damit zum ersten Mal. Unter Präsentationen gibt’s eine Art Musikblog von Last.fm. Allerdings wurde fast jeder Artikel in unregelmäßigen Abständen vom Nutzer Good_Bone verfasst. Der Blog wirkt verwahrlost, wenn man bedenkt, wie viel Manpower und finanzielles Potenzial in Last.fm oder CBS steckt. Ein eher enttäuschender Punkt, der hoffentlich in Zukunft mehr Aufmerksamkeit abbekommt.

Scrobbel aller Zeiten

Vor dem Schreiben dieses Artikels hätte ich nicht gedacht, dass Last.fm mich auch nur ein Mal mit der neuen beta beeindruckt. Jetzt ist es inzwischen schon zum zweiten Mal passiert: Die Musiksammlung wurde überarbeitet und kann jetzt bis ins kleinste Detail angeschaut werden. Was und wie viel habe ich in den letzten Jahren gehört? Wie hieß nochmal dieser eine Song von dieser Party vor fünf Jahren, als ich meine Finger an der Playlist hatte? Ich glaube zwar nicht, dass ich das Feature so oft benutzen werde, aber meinem schlechten Gedächtnis arbeitet es in jedem Fall zu. Ich habe früher versucht, wirklich jedes Lied dass ich höre auch zu scrobbeln. Warum, weiß ich auch nicht mehr. Dafür kann ich jetzt sehen, welche Band ich in welchen Monaten wie oft gehört habe. Ein Paradies für Musik- und Statistikliebhaber, in das ich gerne eintauche! Paradies ist doch ein wenig übertrieben, schließlich soll es da ja ausschließlich schön sein und nur Vorteile haben. Auf Last.fm trifft das nicht mehr zu. Ich zweifle zu sehr daran, von meiner Jugendliebe in Zukunft wieder mehr zu hören. Die schönen Zeiten sind zu lange her, mittlerweile richte ich den Fokus auf andere Programme, Tools und Musikseiten. Auch Make Up und neue Skills helfen da nicht mehr weiter. Schade eigentlich.

Profilbild und letzte Titel

Jede Wette: das wird nicht gut gehen
Am Ende frage ich mich immer noch, warum ich den Relaunch verpasst habe. Vielleicht liegt es am ausbleibenden medialen Echo. Es gibt immer weniger Menschen, denen Last.fm noch viel bedeutet. Viele häufiger lese ich im Netz, dass es den Leuten am Arsch vorbeigeht oder sie so enttäuscht sind, dass sie dem Programm den Rücken zukehren. Zu Recht, denn Last.fm hängt der Zeit gehörig hinterher, auch der Relaunch kann diesen Trend nicht mehr aufhalten. Da hilft auch das ein oder andere coole neue Detail nicht. In den letzten Jahren wurde zu wenig Geld, Aufmerksamkeit und Hirnmasse in die Seite gesteckt, was sich jetzt schmerzlich bemerkbar macht. Last.fm wird sterben, manche sehen den Untergang seit der Übernahme von CBS im Jahr 2007 bevor. Heute weht ein anderer Wind, Last.fm hat zu viele Löcher in den Segeln. Das einzige Besondere ist und bleibt der Scrobbler, das zentrale Element der Seite. Der wurde aber beim Relaunch wie der unbeliebte Schwiegersohn behandelt: Er ist irgendwie da und Teil der Familie, aber ihn zu ignorieren macht das Leben doch angenehmer. All das ist nicht mehr als der verzweifelte Versuch, ein sinkendes Schiff doch noch sicher in den Hafen zu bekommen. Ich habe mich damit schon vor längerer Zeit abgefunden.

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Von Veröffentlicht am: 27.08.2015Zuletzt bearbeitet: 01.02.20191186 WörterLesedauer 6,1 MinAnsichten: 995Kategorien: Artikel, NewsSchlagwörter: , , , , 1 Kommentar on Last.fm beta – Gut verpackte Scheiße stinkt trotzdem
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Über den Autor: Marc Michael Mays

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One Comment

  1. Andreas 26.09.2015 at 15:34 - Reply

    Es ist noch schlimmer: Wo ist das Herstück der Last.FM-Community: Die Gruppen. Fast alle Tools (Add to Playlist, Tag song etc) sind weg. Es ist ein Jammer. Ich bin so sauer. Es wirkt, als hätte CBS LastFM gekauft, um es zu zerstören. Und es gibt keine Alternative im Sinne einer Userplattform. Nur noch Konsumentenangebote. Und das genau war Last FM nicht. CBS hat also erreicht, was es wollte: Marktbereinigung! Wie immer: Es gewinnt der Komerz …

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