Das war 2014 – Rückblick der Autoren: Sibylle Bölling (Teil 2)

Das war 2014 – Rückblick der Autoren: Sibylle Bölling (Teil 2)

Skurrilstes Album 2014 nachträglich entdeckt

Felix Kubin & Coolhaven – Suppe für die Nacht
Neuedeutschedadaschlagerexperimentalelectronicchansons von 2006. Völlig verpeiltes Zeuchs. Grandios bekloppte Texte, grandios bekloppte Musik. Comedian Harmonists meets NDW meets Clicks & Cuts meets Opaschlager.

Skurril auch die Geschichte, wie ich das Album überhaupt entdeckt habe. Der Name Kubin war mir schon lange bekannt, bisher hab ich aber immer vermieden, mal etwas von ihm bewußt zu hören, warum auch immer. Dann postete jemand in einem Musikforum einen Bericht über ein Konzert irgendwo in Holland. Besonders erwähnte er auch die total skurrile Musik aus der Konserve, die als Beschallung vor den Gigs diente. Ich hab dann kurz nach einer ungefähren Beschreibung der Musik gefragt. Die lautete: „bei einigen Stücken deutscher Gesang (Richtung alter Schlager/Chanson), das ganze war aber recht chaotisch verfremdet.“ Ein paar Stunden später, keine weitere Information mehr, meine Antwort mit dem Posten eines Songs dieses Albums. Volltreffer und allgemeine Verwunderung. Wie kann das sein, bei der mageren Beschreibung und meiner Nichtanwesenheit beim Konzert? Nun, willst du wen beeindrucken gilt eigentlich:
1. Verrate niemals deine Geheimnisse
2. …

Aber … pssst… persönliche Beziehungen zu Konzertveranstaltern können Aha-Effekte auslösen…. (und einen nebenbei auch wunderbare Alben mit 8jähriger Verspätung entdecken lassen).

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Beste Show 2014

⃝, 29.03.2014, Waldmeister Solingen
Das neue Album war mir zu dem Zeitpunkt noch unbekannt. Um so mehr hat mich beeindruckt, wieviel atmosphärischer die Band da auf der Bühne war, gegenüber dem, was ich an vorheriger Konservenmucke der Jungs kannte. Die Drehleier auf der Bühne, die zuerst nur wir ein optischer Gag aussah, füllte teilweise den ganzen Raum und verleiht vor allem live, neben den fetten Kesseltrommeln und den perfekt zur Musik harmonisierenden Visuals, der Musik ihre einzigartige Stimmung und Tiefe. Alles wirkte auf den Punkt gespielt, der Spannungsbogen perfekt, zum richtigen Zeitpunkt die böse Keife noch ausgepackt, nachdem zuerst vor sich hingeambientet wurde… Postrockeuphorie, wie es besser nicht geht.

Bester Song 2014

Cold Body Radiation – A Clear Path
Kurzes Intro, klingt irgendwie blaß, süßlich, harmlos. Und dann… eine Melodie, die mich zu Tränen rührt, die mein Herz bewegt, die mir Schmetterlinge in den Bauch zaubert, auch ohne verliebt zu sein (achso, ich bin ja tatsächlich…aber es würde auch so funktionieren… dann passts halt so perfekt zu….hachja). Was Zinnschauer mit der zweiten Hälfte von „Ich bin deine wachsenden Arme IV“ 2013 mit mir gemacht hat, das schaffen Cold Body Radiation mit diesem Song. Schade, daß der Rest vom Album eher mau ist.

Bestes Musikvideo 2014

Meret Becker – Seven Deaths of a Bird

Okay, eigentlich ist es ein Film mit 7 Videos in einem. Ein nicht unerfolgreicher Werbefilmer kriegt ne Anfrage, ein Musikvideo zu einem Song zu drehen, findet Merets Album so toll, daß er unbedingt mehr machen will und heraus kommt mit viel Aufwand und Enthusiasmus und wenig Kohle dieser fantastische Film. U.a. mit Rolf Zacher, Anna und Katharina Thalbach, Veruschka, Monika Hansen…. Einziger Kritikpunkt: mein Lieblingssong ist nicht mit dabei.

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Phönix aus der Asche

Godflesh
Da sind sie wieder. Die Götter des 90er Industrials. Das Ende der Band und der Übergang zu Jesu waren nach außen hin irgendwie fließend, die Entwicklung von Jesu so, daß man an eine Reunion nicht glauben mochte und als die dann doch klar war und die schwache erste EP rauskam, hätte man sich gewünscht, es hätte eben diese Reunion nie gegeben. Und dann auf einmal locker aus der Hüfte geschossen „A World lit only by fire“ !!! Das nenn ich mal ein Comeback.

Enttäuschung des Jahres

This Will Destroy You – Another Language
This Will Destroy You waren ne ganze Weile eine von diesen „mir doch egal“ Postrock Bands. Postrock, irgendwie typisch im Klischee verhaftet, wenig spannend, Indie, kaum intensive Momente, auch nicht unhörbar, aber komplett ohne Eier. Dann 2010 die EP „Moving On The Edges of Things“, die einen Stilwechsel schon ahnen ließ. Und 2011 dann endlich eines der größten Alben, welches das Genre je hervorgebracht hat. Ein Album für die einsame Insel. Wird jetzt alles gut mit mir und TWDY? Viel Vorfreude aufs neue Album, dann erstmal noch das Livealbum dazwischen, erste Enttäuschung, weil halt überwiegend egale alte Songs gespielt wurden, und dann doch „Another Language“. Und was passiert? Nix passiert. So oft versucht, es regt sich nix. Gar nix. Ein Rückfall in alte Zeiten. Kein bißchen Dusternis mehr. Einzig die Darkjazz Passagen sind weiter am Start. Das ist aber das Einzige, was ich nach ein paar Monaten vom Album noch weiß. „Tunnel Blanket“ wird wohl auf ewig ein Ausrutscher (nach oben) gewesen sein. Das wird nix mehr mit mir und This Will Destroy You.

Doch nicht so enttäuschend wie zuerst gedacht

Omega Massif Split
Kalt zum Warmwerden, Geisterstadt als herausragendes Album, Karpatia als „auch noch gerade eben gut“-Album und dann Schluß. Eigentlich konsequent, wenn man sieht, wie sich andere Bands wie z.B. Isis irgendwann mal verzettelt haben. Trotzdem schade, live immer ein Erlebnis und vielleicht hätte es ja noch ne neue Geisterstadt gegeben. Nun gut, daraus wird nun nix. Die Enttäuschung ist erst groß und dann… siehe nächste Kategorie.

Bester Vorabsong des Jahres

Phantom Winter – Wintercvlt
Eines schönen Abends dann die Ankündigung auf der Omega Massif Fratzenbuchseite, es ginge mit ner neuen Band weiter und einen Vorabsong gäbe es im Stream. Was für ein Brocken!!! Duster… pardon… dvster wie die Winternacht, und böse, mächtig böse. Fieses Black Metal Gekeife und die altbekannten Omega Massif mäßig singenden Gitarren. Mal eben so aus der Lamäng als ersten Song einen der größten des Genres raushauen. So wird’s gemacht. Wer ihn noch nicht kennt, findet den Song auch auf United, der PiN-Soli-Compilation zu Gunsten von ProAsyl. Und die Vorfreude ist groß auf mehr (siehe nächste Kategorie).

In freudiger Erwartung

Phantom Winter – Cvlt
Demnächst auf Golden Antenna. Das kann nur groß werden, nach dem Vorabsong!!!

Zinnschauer am 9.1. im Waldmeister, Solingen
Zuletzt im Waldi waren 90% des Publikums komplett textsicher und haben lauthals mitgesungen. Gänsehaut pur, auch wenn man wie ich Mitsingerei eigentlich sonst nicht mag. Ob die Meute beim neuen Album auch schon so textsicher sein wird?

Moving Noises Festival, 21.2., Christuskirche Bochum
Das bessere Swingfest. Bessere Location, besseres Publikum, bessere Bands, bessere Stimmung, preiswerter, ein Act mehr (pro Tag) und 1 statt 4 Tage und vor allem: der fantastische (namensgebende) Sound, den die speziell für Dronekonzerte besonders geeignete Christuskirche hervorbringt!!! 2013 das mit großem Abstand absolute Konzerthighlight des Jahres, 2014 war dann nix, und nun gibt’s die 2015er Ausgabe dann bereits im Februar. Eigentlich kann ich das Konzerthighlight 2015 jetzt schon verkünden.

Beste Filmmusik 2014

Tatort – Im Schmerz geboren
Tatort? Wie bitte? Ja, denn das war kein Tatort, das war überhaupt kein Tatort, das war ein Kunstwerk. Der mit großem Abstand beste Fernsehfilm des Jahres, der zu recht diverse wichtige Preise eingeheimst hat. Und wodurch bezieht er einen großen Teil seiner ungeheuer dichten Atmosphäre? Durch die Musik. Von vorne bis hinten die alten Klassiker wie Beethoven, Holst, Chopin, Verdi, Bach, usw… ein Fest für den gemeinen Bildungsbürger, aber auch ein Fest für wirklich an Musik Interessierte. Der Einsatz der Stücke ist absolut perfekt. Besser kann man das in Hollywood nicht machen, kein Herr Zimmer, kein Herr Richter. Nebenbei ist das noch ein wunderbarer Einstieg in die Welt der Klassik.
http://www.youtube.com/watch?v=RnR6rgp_OWw&list=PLTFELTB1a-gsS78kwDfBxyX8utncVM3VT

2013 verpasst

Roly Porter – Life Cycle Of A Massive Star
2013 ist mir das durchgeflutscht. Es wäre ein Highlight geworden mit starken Top10 Ambitionen. Hier wird versucht, mal eben so ein paar Milliarden Jahre in ein Album zu packen und zu vertonen, wie es im All so zugeht. Klingt etwas überambitioniert, aber das Geile ist, es funktioniert. Selten hat man was Majestätischeres gehört als den orchestralen Part in „Birth“. Noch mal geht mir von Roly Porter nix durch die Lappen.

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Hype des Jahres

Antemasque
At the Drive-In/Mars Volta Nachfolger und alles überschlägt sich. Warum eigentlich? Außer nervösen Zuckungen und Brechreiz haben die Bands nie was in mir hervorgerufen. Alleine schon dieses Geplärr… gruselig. Und jetzt? Oh… alles anders, Easy Listening für deren Verhältnisse, hör doch mal rein… NIX ist anders, ein Scheiß. ADHS-Alternative mit der nervigsten Stimme im Universum mit völlig egalen Songs. Was gibt es da abzufeiern? Seid ihr alle taub?

Lahmarschigstes Album des Jahres

Pianos Become The Teeth – Keep You
The Wave Bands gingen mir schon immer auf die nicht vorhandenen Nüsse. Dieses kleinkindhafte hysterische Jammergeschreie… ich kanns nicht ab. Dazu dann diese Musik von sehr simpel gestricktem Postrock mit vereinzelten Hardcoreeinsprengseln. Okay, wenn die Hormone Salti schlagen, dann ist das vielleicht der Soundtrack der Wahl, aber aus dem Alter bin ich raus. Und nun die neue PBTT und alles wieder so: „Hör doch mal rein, ist ganz anders, das Geschrei ist weg.“ Jo, isses. Und jetzt wünscht man sich, das Geschrei wäre noch da, obwohl es in den Ohren weh tat. Aber darin steckte wenigstens noch so was wie Energie. Das ist auf dem neuen Album in Gänze abhanden gekommen. Die Songs dümpeln vor sich hin, man kann einen nicht vom andern unterscheiden, langweiligster Indiesound und die Hysterie und das Geschrei sind Gejammer pur gewichen, welches fast schlimmer als das Genöle von REMs Michael Stipe ist. Wenn es euch so dreckig geht, dann hängt euch doch hoch, ihr Jammerlappen.

Miesestes Artwork des Jahres

Pink Floyd – The Endless River
Was soll das? Ein junger Mann steht in einem Boot und fährt auf den Wolken in den Sonnenuntergang. Das sieht aus wie ne Kitschpostkarte mit nem Bibelspruch, den man in nem Pilgerort im Souvenirladen gratis zum geweihten Wasser dazu bekommt. Fürchterlich. Schlimmer wird’s nur noch, wenn man die dazu passende Webseite besucht und die Rotze auch noch animiert ist. Gut, daß ich Floyd schon immer scheiße fand.

Fickt euch ins Knie

Pegidioten!
Eigentlich ist jede Zeile zu diesen Schwachköpfen eine Zeile zu viel. Aber ihr Lieben, es ist wichtig, daß diese Schwachköpfe überall, an jeder Stelle zu hören kriegen, daß sie keine „ganz normalen Leute“ sind, daß ihre Ängste irrational sind, daß sie einfach nur einen Schuldigen suchen, für das, was sie selbst nicht auf die Kette kriegen und vor allem, daß sie nicht „das Volk“ sind, sondern sich mit jedem Schritt, mit dem sie da mitlaufen, einen Schritt weiter ins Abseits stellen. Kein Dialog, kein Verständnis, klare Kante.

Beste Zeitungsschlagzeile des Jahres

Nur Mut
Weihnachten, man umgibt sich mit lieben Menschen, ist auch in ziemlich besinnlicher Stimmung, kommt auf seinen Wegen zu den Lieben an einem Bahnhofskiosk vorbei. Die Schlagzeile vom neuesten Exemplar von Jakob Augsteins „der Freitag“ (der ein paar Tage vorher in einem wunderbaren Kommentar auf Spiegel online genau das zu den Pegidioten gesagt hat, was ich auch denke) springt mir ins Gesicht. Ein schlichtes „Nur Mut“. Ich bin begeistert. Nicht, weil ich die aktuelle politische Lage irgendwie mit rosa Brille sehe, ganz im Gegenteil. Aber diese beiden Worte sind ein Schlag in die Fresse der Pegidioten. Nur Mut, das ist der Gegenentwurf zu den angeblich „berechtigten Ängsten“, nur Mut, das ist so positiv, so einfach, das sind 6 Buchstaben, die jedem dieser Angstbeißer komplett jeglichen Wind aus den Segeln nehmen. Ich ziehe meinen Hut vor diesen sechs Buchstaben und blicke frohen Mutes ins neue Jahr, in dem sich diese unsägliche Bewegung selbst atomisieren wird. Glaubt ihr nicht?

Nur Mut!!!

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Von Veröffentlicht am: 02.01.2015Zuletzt bearbeitet: 02.12.20181976 WörterLesedauer 9,9 MinAnsichten: 1039Kategorien: Artikel, NewsSchlagwörter: , , , , 1 Kommentar on Das war 2014 – Rückblick der Autoren: Sibylle Bölling (Teil 2)
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One Comment

  1. Jo 08.01.2015 at 09:57 - Reply

    witzig! da klick ich mich hier so durch die rückblick-listen und dann…moment, die geschichte zu felix kubin kommt dir verdächtig bekannt vor :D das internet ist so klein! gruß kiwi

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